Die niederländische Firma ASML stellt Maschinen zur Chipproduktion her.
europamagazin

Standort Europa "Wir reden neue Technologien zu Tode"

Stand: 04.05.2024 04:08 Uhr

Europäische Firmen machen sich Sorgen, dass ihr Standort den Anschluss auf dem Weltmarkt verliert: Führende Manager fordern von der EU einen größeren Fokus auf Innovation und Zukunftstechnologien.

Wenn Uwe Lauber an den alten Backstein-Fabrikhallen aus dem 19. Jahrhundert vorbeiläuft, wirkt er auf den ersten Blick nicht wie ein Treiber klimafreundlicher Technologien. Der Vorstandsvorsitzende von MAN-ES, der Energiesparte der Volkswagentochter MAN, lässt am Stammsitz in Augsburg noch immer Diesel-Schiffsmotoren produzieren, die auf den Weltmeeren jede Menge CO2 ausstoßen.

Doch Lauber ist auch Vorreiter einer neuen grünen Energiequelle: Großwärmepumpen. "Die Größe, Dimension und Leistungsdichte unserer Großwärmepumpen finden Sie nirgends auf Welt. Damit könnte man eine ganze Stadt wie Augsburg mit Energie versorgen", schwärmt er. Doch statt in Augsburg nimmt Lauber derzeit die größte Wärmepumpe der Welt im dänischen Esbjerg in Betrieb.

Ein Kraftwerk im dänischen Esbjerg.

Die größte Wärmepumpe der Welt steht im dänischen Esbjerg - dabei sähe Hersteller MAN-ES sie lieber in Deutschland stehen.

Die schwarze quaderförmige Anlage versorgt 100.000 Menschen klimaneutral mit Wärme, sodass das alte Kohlekraftwerk nebenan abgeschaltet werden kann. Als Süddeutscher ist Uwe Lauber wütend darüber, dass es Zukunftstechnologien in Deutschland schwerer haben als anderswo. "Es ärgert mich, dass ich meine Technik ins Ausland bringen muss. Wir könnten Großwärmepumpen auch in Deutschland vorantreiben, aber diese Technik im Sinne der Dekarbonisierung ist in vielen Köpfen noch nicht etabliert."

Neben Großwärmepumpen entwickelt Lauber auch Elektrolyseure für grünen Wasserstoff und Reaktoren zur Methanol-Synthese. In allen Bereichen bremsten hierzulande Bürokratie und komplizierte mehrstufige Genehmigungsverfahren die Anwendung aus, klagt er. "Deutschland findet keinen Ansatz, neue Technologien zügig genehmigen zu können. Unsere eigenen Prozesse hindern uns daran. In Deutschland habe ich das Gefühl: Wir reden erstmal neue Technologien zu Tode, anstatt zu sagen: Gib dem eine Chance."

Fünf maßgebliche Zukunftsindustrien

Lauber fordert mehr Pragmatismus und Entschlossenheit bei der Umsetzung klimafreundlicher Innovationen. Dabei geht es auch um die Frage, welche Rolle Europas Wirtschaft beim digitalen und ökologischen Wandel einnimmt. Jüngst forderte Ex-Zentralbankchef Mario Draghi zusätzliche 500 Milliarden Euro pro Jahr, um "Investitionslücken" in Europa zu schließen. Draghi will im Sommer im Auftrag der EU-Kommission einen detaillierten Bericht für eine wettbewerbsfähigere EU vorlegen.

Eines der wettbewerbsfähigsten Unternehmen Europas ist ASML aus dem niederländischen Veldhoven. Der Konzern stellt die leistungsfähigsten Maschinen zur Chipproduktion her. Auf diese europäische Spitzentechnologie sind Konzerne wie Intel, TSMC und Nvidia angewiesen. Schlüssel zum Erfolg war, dass ASML frühzeitig Milliardenbeträge in Forschung und Entwicklung investiert hat.

Roger Dassem

ASML-Finanzvorstand Roger Dassem sieht in Europa große Defizite bei Zukunftstechnologien.

Aus Sicht von Finanzvorstand Roger Dassen ist ASML eine der Ausnahmen in Europa, das im globalen Wettbewerb immer mehr den Anschluss verliere: "Ich sehe nicht, dass Europa die fünf maßgeblichen Industrien ausreichend fördert: Halbleiterindustrie, Biotechnologie, Autoindustrie, Batterietechnologie und grüne Energiequellen."

Dassen sieht bei diesen kritischen Industrien zu viele nationale Alleingänge anstelle eines geeinten europäischen Vorgehens mit einer Art New Industrial Act, um weltweit Technologieführer zu bleiben. "Wenn diese systematische Förderung nicht passiert, wird Europa nicht mehr mit den Vereinigten Staaten und Asien konkurrieren können. Das wäre ein Jammer."

Schnelles Handeln zur Aufholjagd

Die nächste EU-Kommission müsse schnell und entschlossen handeln, glaubt man auch am Institut Imec im belgischen Löwen - einer der führenden Hightech-Forschungseinrichtungen Europas. Imec-Chefstratege Jo De Boeck sieht zwar Europas Forschung auf einer Spitzenposition. Doch für die Umsetzung gebe es hierzulande deutlich weniger Risikokapital als in den USA oder China: "Wir müssen sicherstellen, dass Europa den Kapitalmarkt stärker einbindet und neue Player hinzukommen, die das Wachstum von Start-ups besser unterstützen", fordert er.

Ein Beispiel sei künstliche Intelligenz. Europa könne bei der Entwicklung von sicherer, nachvollziehbarer und verantwortungsbewusster KI die Führung übernehmen, wenn man sich entschlossen darauf fokussiere. Allein beim Thema Risikokapital gebe es in den USA jedoch Steuervorteile gegenüber Europa, weswegen viele europäische Start-ups in die USA umsiedelten.

Doch nicht nur die USA - auch China hat in der Industrie inzwischen die Nase vorn, wie die europäischen Experten mit Sorge eingestehen. Das Reich der Mitte drohe die industrielle Basis Europas "zu untergraben", glaubt Ex-EZB-Chef Draghi. MAN-ES-Vorstand Uwe Lauber hält die Chinesen schlicht für smarter, während Deutschland oft ängstlich und gehemmt agiere.

Seine nächste Großwärmepumpe wird fast drei Mal so groß wie die in Esbjerg - und steht im dänischen Aalborg. Laubers Wunsch, eine Großwärmepumpe in Deutschland aufzubauen, wird sich auf absehbare Zeit nicht erfüllen: "In Deutschland benötigen Genehmigung für Großanlagen bis zu fünf Jahre", klagt er.

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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die Europamagazin-Reportage am 05. Mai 2024 um 12:35 Uhr.