Montage von Solarpaneelen auf einem Hausdach.
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Beschwerden über Anbieter Die Schattenseite des Solar-Booms

Stand: 12.05.2024 10:35 Uhr

Die Nachfrage nach Solaranlagen ist ungebrochen. Doch in der Branche gibt es auch zweifelhafte Firmen, die von ihren Kunden hohe Vorauszahlungen verlangen und dafür keine Gegenleistung erbringen.

Von Jörg Hommer, SWR

Seit fünf Jahren lebt Familie Kopp ohne Dach über dem Kopf. Lediglich eine Plane schützt ihr Haus vor Wind und Wetter. Bereits 2019 wollten die Kopps ihr Dach mit Solarziegeln neu eindecken, dazu zwei Stromspeicher anschließen lassen.

Victoria Kopp erinnert sich, dass die Firma ein Komplettangebot vorgelegt habe: Rückbau des Altdaches, Entsorgung, Aufbau des neuen Daches und so weiter, "also wirklich das Rundum-Sorglos-Paket". So müsse man nicht verschiedene Firmen miteinander koordinieren, sondern nur warten, bis es fertig sei und sich dann freuen. 155.000 Euro zahlen sie für das Paket.

Keine Leistung trotz Anzahlung

Doch aus dem Traum der eigenen Solaranlage wurde ein finanzieller und juristischer Albtraum, der bis heute anhält. Das Dach ist mittlerweile ein Sanierungsfall, der verantwortliche Betrieb zahlungsunfähig. Für die Beauftragung eines anderen Solarbetriebs fehlt es der Familie an Geld.

Mindestens achtzehn weitere Kunden derselben Firma konnte tagesschau.de recherchieren. Allen ist es zwischen 2022 und 2023 ähnlich ergangen. Einige haben trotz hoher fünfstelliger Anzahlung keine Leistung bekommen, andere nur teilweise oder mit erheblichen Mängeln.

Markt für Verbraucher schwer zu durchschauen

Liefer- und Leistungsstörungen sowie Probleme mit der Gewährleistung sind auch in diesem Jahr die häufigsten Beschwerdegründe von Verbrauchern. Das teilt der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) mit. Die Zahl der Beschwerden im Zusammenhang mit der Montage von Solaranlagen habe sich 2023 gegenüber dem Vorjahr verdreifacht.

Auch viele andere Kunden haben gegenüber tagesschau.de geschildert, wie sie mutmaßlich dubiosen Geschäftemachern beim Kauf einer Solaranlage aufgesessen sind, dafür zum Teil hohe Kredite aufgenommen haben und am Ende entweder mangelhafte oder gar keine Leistung erhalten haben.

"Es ist nicht von vornherein für Verbraucher zu erkennen, ob man wirklich eine gute Firma hat oder jemand, der jetzt auf den Boom aufspringt", sagt Florian Becker vom Bauherrenschutzbund e.V. Er empfiehlt Verbrauchern, sich in jedem Fall von der Firma einen Mustervertrag aushändigen zu lassen und auf keinen Fall größere Vorauszahlungen zu akzeptieren. Auch Abschläge sollte man nur nach erbrachter Leistung zahlen. Sonst habe man bei Mängeln keinerlei Druckmittel mehr gegenüber dem beauftragten Betrieb.

Kunden müssen doppelt zahlen

Hohe Abschlagszahlungen können schnell zu einem finanziellen Fiasko für Betroffene werden. Das mussten auch Kunden der Firma Envoltec aus Leipzig im vergangenen Jahr feststellen. Im November meldete das Unternehmen nach zwei Jahren Insolvenz an. Hunderte Kunden blieben ohne Wechselrichter, ohne angeschlossene Anlage zurück, obwohl sie dafür bereits hohe Anzahlungen im fünfstelligen Bereich geleistet hatten.

Für Rechtsanwalt Jens Reime, der einige geschädigte Kunden vertritt, steht der Verdacht des gewerbsmäßigen Betrugs im Raum. Es sei immer dieselbe Kundschaft angesprochen worden, also Eigenheimbesitzer, die dringend Bedarf für eine Solaranlage hatten. "Und genau dort setzen die unseriösen Marktteilnehmer an", so Reime. Wohin die Anzahlungen Hunderter anderer Kunden von Envoltec geflossen ist, ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft Leipzig.

Fachkräftemangel trifft auf Solarboom

Erst Ende April hat der Bundestag das sogenannte "Solarpaket zwei" verabschiedet. Das Gesetz soll für einen anhaltenden Boom der Solaranlagen sorgen. Der Fachkräftemangel trifft allerdings auch die Solarbranche hart. Umso mehr erscheint es ratsam, dass Verbraucher bei der Auswahl der Betriebe vorsichtig sind; vor allem aber ist oft viel Geduld gefragt.

Der öffentlich bestellte Sachverständige Rolf Gühring beobachtet, dass der Solarmarkt mehr und mehr zu einem Verkäufermarkt wird, bei dem Aufträge an Subunternehmer vergeben werden: "Auch ich bekomme mit, dass Firmen in Deutschland ihr Unwesen treiben, die nur als Vertriebspartner liefern, aber nicht selbst errichten - oder nur eine Teillieferung. Dafür kassieren sie aber das ganze Geld der Kunden, machen sich dann aus dem Staub und schaden so eigentlich der Solarbranche."

Schutz vor Mängeln

Der vzbv rät Verbrauchern in jedem Fall, einen Vor-Ort-Termin mit dem Unternehmen zu vereinbaren. Man sollte die Angebote gut prüfen, ob für die Montage und den Netzanschluss tatsächlich alle nötigen Bauteile und Arbeiten aufgeführt sind und zur Vergleichbarkeit Komponenten und Leistungen als Einzelpreis ausgewiesen werden.

"Ebenso sollten Verbraucher danach fragen, ob sie bei der Inbetriebnahme eine Dokumentation nach VDE-Vorschrift bekommen werden", meint der Sachverständige Gühring. "Falls Firmen das nicht zusagen können, kann sich der Verbraucher sicher sein, dass diese Firma nicht in der Lage ist, fachgerecht zu installieren."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der SWR in der Sendung "Marktcheck deckt auf" am 07. Mai 2024 um 21 Uhr.