Junge Demonstrantinnen und Demonstranten blockieren eine Hauptverkehrsstraße in der georgischen Hauptstadt Tiflis
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Georgien Ein Land in der Hand von NGOs?

Stand: 17.05.2024 19:28 Uhr

Die Regierung Georgiens behauptet, sie wolle Transparenz über die Finanzierung der Zehntausenden NGOs im Land. Das Gesetz habe die USA zum Vorbild. Außerdem warnt sie vor einem Maidan in Georgien. Was ist dran?

Von Silvia Stöber, zzt. Tiflis

Wie viele NGOs gibt es in Georgien?

Seit Aufkommen der Massenproteste gegen das Gesetz zu "ausländischer Einflussnahme" in Georgien wurden Posts über eine angeblich hohe Zahl an Nichtregierungsorganisationen dort verbreitet. Max Otte, 2022 für die AfD Bundespräsidentenkandidat, schrieb von "25.000 NGOs, 1 pro 148 Bürger". Seine Quelle, ein anonymer Twitter-Account, benannte die Herkunft der Zahl nicht.

Verwendet hat sie auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im georgischen Parlament von der Regierungspartei "Georgischer Traum", Nikoloz Samcharadse. In einem BBC-Interview sagte er: "Wir haben 25.000 aktive Nichtregierungsorganisationen in Georgien". Pro Kopf gerechnet sei das eine der höchsten Zahlen weltweit.

Finden lässt sich die Zahl von 26.000 NGOs in einem Datenblatt, das 2019 vom Forschungsdienst des Europaparlaments herausgegeben wurde. Dort steht allerdings schon die Einschränkung, wonach schwer einzuschätzen sei, wie viele von diesen NGOs tatsächlich aktiv seien. Denn es sei einfach, eine solche Organisation zu gründen. Ihre Auflösung hingegen sei eine bürokratische Herausforderung. Der Forschungsdienst bezieht sich dabei auf einen Bericht der US-Organisation USAID zu zivilgesellschaftlichen Organisationen aus dem Jahr 2017.

Schaut man in den aktuellen Bericht, den USAID im Oktober 2023 herausgegeben hat, findet sich eine wesentlich konkretere Angabe: Dort heißt es, dass das Nationale Statistikamt Georgiens von 31.339 registrierten Organisationen lediglich 4.051 als aktiv anerkennt. Als ein Grund für den großen Unterschied wird erneut das "schwerfällige Liquidationsverfahren" angeführt.

Außerdem zählten zu den mehr als 30.000 registrierten Organisationen auch öffentliche Einrichtungen, die ebenfalls einen Status als "nicht-kommerzielle juristische Personen" hätten. Der Abgeordnete Samcharadse hätte also die staatliche Statistikbehörde mit der korrekten Angabe von 4.051 zitieren müssen, wenn er "aktive NGOs" meint.

"In der öffentlichen Wahrnehmung sind zwischen 40 und 60 Organisationen einigermaßen prominent, aber oft gibt es auch kleine Initiativgruppen auf dem Land", sagt der Politikwissenschaftler Hans Gutbrod, der an der Ilia State University in Tiflis lehrt. Ein wirkliches Vereinswesen im westlichen Stil gebe es in Georgien hingegen kaum.

Will die Regierung mit dem "Agenten-Gesetz" Transparenz erreichen?

Die Notwendigkeit des Gesetzes begründet die georgische Regierung damit, dass das Volk ein Recht habe zu erfahren, wer die zehntausenden NGOs im Land finanziert. Tatsächlich gibt es diese Transparenz bei Organisationen, die aus Europa und den USA Gelder erhalten. Das lässt sich einfach nachvollziehen zum Beispiel bei Transparency International Georgia, der Wahlbeobachterorganisation ISFED oder auch der Nachrichtenplattform civil.ge, wenn man deren Namen zusammen mit dem englischen Wort funding in die Internetsuche eingibt.

Außerdem müssen Geldgeber wie die EU, Staaten oder auch Organisationen in den USA in der Regel jährlich Rechenschaftsberichte mit entsprechenden Angaben vorlegen.

Die EU beispielsweise gibt an, Georgien im Zeitraum 2021 bis 2024 Mittel in Höhe von 340 Millionen Euro bereitzustellen, wobei der größte Teil in Programme für Wirtschaft, Institutionen, Rechtsstaatlichkeit und weitere Bereiche fließt, von denen der Staat profitiert - was die georgische Regierung wiederum aber nicht thematisiert, wenn sie von ausländischer Einflussnahme spricht. An zivilgesellschaftliche Organisationen gab die EU zwischen 2015 und 2022 ein Betrag von 22,5 Millionen Euro.

Transparenz auch über Einflussnahme aus Russland?

Theoretisch würde sich das Gesetz über "ausländische Einflussnahme" auch auf Geldgeber aus Russland und alle weiteren Staaten beziehen. Doch davon spricht die georgische Regierung nie. Oppositionspolitiker erhalten eine Erfassung von Geldern aus Russland für schwierig, weil oft "graue Kanäle" unter Umgehung zum Beispiel der Gesetzgebung zur Parteienfinanzierung genutzt würden, die eine Finanzierung aus dem Ausland verbietet. Georgische Journalisten fanden in den vergangenen Jahren aber Hinweise darauf, dass Privatpersonen Geld aus Russland erhielten und dies an prorussische Parteien spendeten.

Derlei Praktiken aufzudecken und zu verhindern, daran hat die Regierung offenbar kein Interesse. Die Abgeordnete Ana Natswlischwili von der Partei Lelo sagt, einen Gesetzentwurf der Opposition mit neun Schritten gegen ausländische Einflussnahme habe die Regierungspartei nicht einmal zur Befassung im Parlament registriert.

NGO-Gesetz nach US-amerikanischem Vorbild?

Als Rechtfertigung zur Einführung von Gesetzen zur Registrierung "ausländischer Agenten" wird immer wieder der Foreign Agents Registration Act (FARA) angeführt, der 1938 in den USA eingeführt wurde, um politische Einflussnahme aus Nazi-Deutschland und der Sowjetunion zu verhindern.

Allerdings gibt es deutliche Unterschiede zum Gesetz in Georgien. Dieses verlangt eine Registrierung von allen Organisationen, die mehr als 20 Prozent Finanzierung aus dem Ausland erhalten, zum Beispiel auch Hilfsorganisationen für Kranke und Behinderte.

Bei FARA sind hingegen Organisationen ausgenommen, die allein religiösen, schulischen, akademischen oder wissenschaftlichen Zwecken dienen oder der bildenden Kunst nachgehen. Nicht betroffen sind auch Organisationen zur Linderung menschlichen Leids zum Beispiel durch medizinische Hilfe. FARA betrifft auch nur Organisationen, bei denen ein "Agent" als Vertreter einer anderen Person handelt, die wiederum das Recht hat, diesen "Agenten" zu kontrollieren.

Als "ausländischer Agent" wurde in den USA beispielsweise die vom chinesischen Staat kontrollierte Zeitung "China Daily" registriert, die dann Offenlegungspflichten unterlag, aber weiterhin in den USA erschien. Kritiker des Gesetzes in Georgien befürchten hingegen, dass es wie das "Agenten-Gesetz" in Russland zur Einschränkung der Zivilgesellschaft eingesetzt wird.

Premierminister Irakli Kobachidse verwies bei einer Pressekonferenz in Berlin zudem auf angebliche Regelungen der EU-Kommission und vergleichbare Gesetze in EU-Staaten. Bundeskanzler Olaf Scholz entgegnete, dass Pläne in der EU zur Bekämpfung ausländischer Einflussnahme ein anderes Konzept verfolgten und voraussichtlich auch nicht umgesetzt würden. Ein entsprechendes Gesetz in Ungarn habe der Europäische Gerichtshof zurückgewiesen.

Steht die Mehrheit der Menschen in Georgien hinter der Regierungspartei?

Umfragen aus dem vergangenen Jahr zeigten, dass die Regierungspartei "Georgischer Traum" bei der Parlamentswahl im Oktober wieder mit einer Mehrheit rechnen könnte, die meisten Oppositionsparteien hingegen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern würden. Nach Beginn der Massenproteste wurden noch keine seriösen Umfragen zu dieser Frage veröffentlicht.

Andererseits ergeben diese Umfragen seit Jahren, dass 80 Prozent der Menschen für einen EU-Beitritt sind, darunter sind viele Wähler der Regierungspartei, die bislang immer bekundet hatte, für den EU-Beitritt zu sein, auch wenn sie die von der EU gestellten Aufnahmebedingungen nur ansatzweise erfüllte.

Wenn die EU die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen ausschließt, solange die Regierungspartei antidemokratisch handelt, stehen die Wähler im Herbst vor der Entscheidung, ob sie für den "Georgischen Traum" und damit gegen den weiteren Weg in die EU stimmen wollen. Allerdings müssen sich die Oppositionsparteien bis dahin so aufstellen, dass sie eine wählbare Alternative bilden.

Ein Maidan in Georgien?

Die georgische Regierung spricht von "radikalen Demonstranten" und warnt vor einem Abgleiten in gewalttätige Auseinandersetzungen und einem Versinken des Landes in Chaos mit dem Verweis auf die Maidan-Proteste in der Ukraine im Jahr 2013 und 2014. Regierungsgegner und Oppositionspolitikerinnen wie die unabhängige Abgeordnete Teona Akubardia weisen Vergleiche zum Maidan hingegen zurück.

Die Proteste verliefen bislang von Seiten der Protestierenden friedlich. Bei den Kundgebungen vor dem Parlament und anderen zentralen Plätzen herrscht eine freundliche, mitunter ausgelassene Stimmung.

Die Polizei schritt vor allem dann ein, wenn Parlamentsdebatten bevorstanden und Demonstranten die Eingänge zu blockieren drohten. Mehrmals stürmten Polizeikräfte auch auf friedliche Demonstranten los, es gab Verletzte und zahlreiche Festnahmen. Aus Polizeistationen berichteten Festgenommene von Misshandlungen. Mehrere prominente Regierungsgegner wurden von Männern in Masken verprügelt.

Die abendlichen Märsche und Blockaden der Hauptverkehrsstraßen in der Hauptstadt Tiflis ließ die Polizei allerdings bislang zu und leitete den Verkehr um.

Akubardia weist den Maidan-Vergleich auch wegen der Annexion der Krim und dem Beginn des Krieges in der Ostukraine in der Nachfolge der Maidan-Proteste zurück. Die Gebiete Südossetien und Abchasien seien bereits von russischen Truppen besetzt, dies seit dem Krieg 2008 Russlands gegen Georgien.