Salvador Illa spricht auf einer Pressekonferenz.
analyse

Nach der Katalonien-Wahl Unabhängigkeit ade?

Stand: 13.05.2024 15:15 Uhr

Erstmals seit der Katalonien-Krise haben die Separatisten keine Mehrheit mehr im katalanischen Regionalparlament. Wahlgewinner sind die spanischen Sozialisten, doch auch ihnen stehen schwierige Koalitionsverhandlungen bevor.

Von Kristina Böker, ARD Madrid, zurzeit Barcelona

Am Tag nach der Wahl herrscht auf den Flaniermeilen Barcelonas ganz normaler Alltag, so scheint es. Wahlplakate sind kaum noch zu sehen, geschweige denn Fahnen der Unabhängigkeitsbewegung, die früher für gewöhnlich die Häuser nach Wahlen schmückten. Erstmals seit der Katalonien-Krise haben die Separatisten keine Mehrheit mehr im katalanischen Regionalparlament - eine Zäsur.

Etwa 200 Kilometer entfernt, jenseits der Grenze im südfranzösischen Argelès-sur-Mer, meldet sich Separatistenführer Carles Puigdemont am Montagmorgen zu Wort. In Spanien droht ihm bis zum Inkrafttreten der Amnestie die Verhaftung, seitdem er 2017 in einem rechtswidrigen Verfahren versucht hatte, Katalonien von Spanien zu lösen.

Drei Sitze hat Puigdemonts konservativ-liberale Separatistenpartei "Junts" zugelegt, seine potentiellen Mitstreiter-Parteien verloren aber deutlich. In Puigdemonts Wahlkampfzentrale in Südfrankreich, in die seine Anhänger zuletzt zum Wahlkampf pilgerten, verkündet er gewohnt selbstbewusst, er wolle trotz fehlender Separatisten-Mehrheit regieren: "Ich sehe mich als Präsident, wir wären fähig, ein stabileres Bündnis aufzustellen als die Sozialisten."

Wahlsieger ohne gesicherte Regierungsmehrheit

Aber die Wahlgewinner sind die Sozialisten, die Partei des spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez, etwa das Pendant zur SPD in Deutschland. Sánchez feiert auf "X" das "historische Ergebnis". Und sein Vertrauter, Spitzenkandidat Salvador Illa, wird in der Wahlnacht umjubelt, als er verkündet: "Katalonien hat sich für ein neues Zeitalter entschieden".

Allerdings ist er bisher ein Wahlsieger ohne gesicherte Regierungsmehrheit. Zwar würden die Sitze der Sozialisten zusammen mit zwei weiteren linken Parteien exakt für die 68 nötigen Sitze zur absoluten Mehrheit reichen.

Aber die separatistische Republikanische Linke (ERC) des bisherigen Regionalpräsidenten Pere Aragonès hat angesichts ihrer Wahlschlappe angekündigt, in die Opposition zu gehen. Aragonès selbst tritt zurück. Allerdings könnten die Sozialdemokraten auch ohne die ERC - wie Puigdemonts Separatisten - eine Minderheitsregierung anstreben, in Spanien nicht unüblich.

"Die Idee der Eigenständigkeit Katalonies ist damit nicht tot", Kristina Böker, ARD Madrid, zurzeit Barcelona, zum Wahlergebnis

tagesschau24, 13.05.2024 10:00 Uhr

Erfolg für Ministerpräsident Sánchez

In Katalonien ist nun also nicht klar wer regieren wird, schlimmstenfalls müssen die Katalanen erneut wählen. In der Hauptstadt Madrid war in der Wahlnacht aber zumindest eines klar: Die meisten Beobachter werteten in den Polit-Talks das Ergebnis als Erfolg der Versöhnungspolitik des spanischen Ministerpräsidenten Sánchez.

Der hatte seit seinem Amtsantritt 2018 den Dialog mit den gemäßigten Separatisten der ERC gepflegt und sich zuletzt mit der höchstumstrittenen Amnestie für Taten rund um das illegale Unabhängigkeits-Referendum 2017 die Stimmen der Separatisten für seine Wiederwahl gesichert.

Selbst in der konservativen Tageszeitung "El Mundo", die mit Sánchez bisweilen hart ins Gericht geht, kommentiert der Journalist Juanma Lamet: "Heute haben auch die Amnestie und die Aussöhnung gewonnen."

Separatismus auf dem Rückzug

Allerdings wirkten die Katalanen schon vor der Zusage der Amnestie "separatismusmüde". Auch an Jahrestagen der Verfechter eines eigenständigen Kataloniens zog es längst nicht mehr so viele Menschen auf die Straßen wie in den Hoch-Zeiten der Bewegung.

Umfragen im Vorfeld der Wahl ergaben, dass das Thema Separatismus in der Liste der wahlentscheidenden Themen lediglich auf Platz sieben landete. Unter anderem hinter dem Umgang mit Umweltthemen, etwa den schlimmen Dürren der vergangenen Jahre. Politkwissenschaftlerin Paola Lo Cascio forscht seit Jahren zu dem Thema und sieht zudem, wie ihre Studierenden über den Separatismus denken.

Diese Debatte sei fern ihrer Alltagssorgen, so Lo Cascio: "Man kann sagen, dass junge Menschen, zumindest Studentinnen und Studenten, derzeit vor allem durch andere Themen mobilisiert werden: Arbeit zum Beispiel, öffentliche Dienstleistungen. Und vor allem beschäftigt sie das Problem, Wohnungen zu finden."

Für ein unabhängiges Katalonien waren vor der Wahl laut einer Studie des katalanischen Meinungsforschungsinstituts CEO nur noch 42 Prozent der Bürger Kataloniens, 50 Prozent sind demnach gegen eine Abspaltung von Spanien. Vor sieben Jahren war das Verhältnis noch umgekehrt.

Tot ist der Separatismus damit nicht, die Idee eines unabhängigen Kataloniens dürfte weiterleben, aber für die Masse der Menschen scheint sie nicht mehr zentral zu sein. Und auch das gestrige Wahlergebnis spricht dafür: Abgesehen von den wenigen zusätzlichen Sitzen für Puigdemonts "Junts" (plus 3) und einer neuen rechtspopulistischen Separatisten-Partei (plus 2), sind die Wahlgewinner die großen Parteien. Denn neben den Sozialdemokraten hat auch die konservative "Partido Popular", das Pendant zur deutschen CDU, zugelegt.

Schwierige Koalitionsverhandlungen stehen bevor

Unabhängig von alldem will Puigdemont wieder regieren. Die Verhandlungen dürften für alle Beteiligten äußerst kompliziert werden. Wer eine Minderheitsregierung anführen will, muss zunächst im Regionalparlament gewählt werden. Die Sozialisten wären darauf angewiesen, dass sich die linken Separatisten enthielten.

Oder: Die Separatisten wären darauf angewiesen, dass sich die Sozialisten zugunsten eines Regionalpräsidenten Puigdemont enthielten. Mit Letzterem würde Puigdemont die Zentralregierung erneut herausfordern und womöglich Sánchez Versöhnungskurs konterkarieren. Zudem würde er so die Sehnsucht der Bürgerinnen und Bürger nach einer Politik für Themen jenseits des Separatismus ignorieren.

Zwei Monate haben die katalanischen Parteien laut Verfassung Zeit, bis eine Regierung stehen muss. Da voraussichtlich noch in diesem Monat das Gesetz über die Amnestie verabschiedet werden dürfte, könnte Puigdemont zur Wahl des Regionalpräsidenten wohl persönlich erscheinen. Die für ganz Spanien spannende Frage ist, ob er als Kandidat, als Oppositionsführer oder als Polit-Rentner heimkehrt.

In einer früheren Version dieses Beitrags war davon die Rede, dass die Separatisten erstmals seit den 1980er-Jahren keine Mehrheit mehr im Regionalparlament hätten. Korrekt ist, dass dies erstmals seit der Katalonien-Krise der Fall ist. Wir haben dies nach einem Hinweis entsprechend korrigiert.

Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete am 13. Mai 2024 tagesschau24 um 10:00 Uhr und Deutschlandfunk um 13:28 Uhr.