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Europawahl 2024

Harald Vilimsky aus Österreich spricht vor Teilnehmern eines Treffens der rechten EU-Fraktion ID.
Europawahl

Neues EU-Parlament "EU wird mit stärkeren Rechten fertig werden müssen"

Stand: 17.05.2024 07:36 Uhr

Bei den Wahlen zum EU-Parlament wird ein massives Erstarken rechter Parteien erwartet. Aber wie organisieren sich die rechten Abgeordneten der verschiedenen Länder im Parlament - und was bedeutet das für Europa?

Bei der Europawahl zeichnet sich ein Rechtsruck ab. Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien könnten laut den meisten Vorwahlumfragen in den EU-Staaten ein Viertel der Sitze im neugewählten Europaparlament erringen und damit einen sehr viel größeren Einfluss auf den künftigen Kurs der EU ausüben. 

Die Forderung, die EU ganz abzuschaffen, ist zwar von keiner Partei mehr laut zu hören. Der Ruf nach einer Veränderung der Institutionen - bis hin zu einer EU ohne Europaparlament - dagegen schon, am lautesten von der AfD.

Allerdings sind die Parteien, die zum rechten Rand gezählt werden, unterschiedlich erfolgreich und lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Von einer gemeinsamen Strategie sind die sich teilweise in gegenseitiger Abneigung verbundenen Parteien weit entfernt.

Entsprechend unterscheidet sich auch das Abstimmungsverhalten der beiden rechtspopulistischen Fraktionen im Europaparlament - zum Beispiel, wenn es um Migration oder die Ukraine geht.

Nicola Procaccini in einer Plenarsitzung des Europäischen Parlaments.

Nicola Procaccini von der rechten Partei "Fratelli d'Italia", die in Italien die Regierung stellt, ist im EU-Parlament Ko-Vorsitzender der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR).

Die beiden rechten Fraktionen

In der "Fraktion der Konservativen und Reformer" (EKR) gilt bisher die ehemalige polnische Regierungspartei PiS mit 27 Abgeordneten als dominierende Kraft. Politisch einflussreicher ist aber inzwischen die mit zehn Sitzen deutlich schwächere italienische "Fratelli d'Italia", die Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni im Europaparlament den Rücken stärkt.

Ungarns Ministerpräsident Victor Orban strebt mit seiner Fidesz-Partei in die EKR, die derzeit insgesamt 68 Abgeordnete stellt und sich einen kräftigen Zuwachs auf bis zu 80 Parlamentarier erhofft.

Die "Fraktion Identität und Demokratie" (ID) kommt im derzeitigen EU-Parlament dagegen nur auf 59 Abgeordnete. Sie ordnen ihre Fraktion noch rechts von der EKR ein. In der ID herrscht die Erwartung vor, die EKR zu überholen und auf mehr als 80 Abgeordnete im neuen Europaparlament zu kommen.

Während die EKR den Fokus im Wahlkampf mehr auf Wirtschaftsthemen richtet und die EU "wieder funktionsfähig" machen will, verfolgt die ID eine dezidiert EU-kritische Politik - bis hin zur AfD-Forderung, das Europaparlament langfristig abzuschaffen. In der ID dominiert die italienische "Lega", gefolgt vom französischen "Rassemblement National" ("Nationale Versammlung", RN). Auch die neun AfD-Abgeordneten sind hier vertreten.

Konkurrenz oder Zusammenarbeit?

Zwischen beiden Fraktionen herrschte eine große Dynamik, inhaltlich und personell. Übertritte von der italienischen "Lega" zu Melonis "Fratelli d'Italia" hatten die ID geschwächt und die EKR-Fraktion gestärkt.

In Frankreich kämpfen gleich zwei rechtsextreme Parteien um die Wählergunst. Hier hofft Eric Zemmour mit seiner Partei "Reconquete!" ("Rückeroberung") nach vorne zu kommen - im Gegensatz zu seiner französischen Rechtsaußen-Konkurrenz aber in der EKR.

Der AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah erhofft sich nach der Wahl eine deutlich stärkere Zusammenarbeit: "Beide Fraktionen sind bereit dazu und wollen ihre Stärken nutzen."

Inhaltliche Unterschiede

Trotzdem gibt es inhaltliche Unterschiede schon beim zentralen Thema Zuwanderung: Melonis "Fratelli d'Italia" unterstützt den EU-Migrationspakt und eine bessere Binnenverteilung der Geflüchteten, die von der polnischen PiS und der ungarischen Fidesz genauso abgelehnt wird wie von der AfD.

Deren Verhältnis zur französischen RN wiederum hatte einen Dämpfer bekommen, nachdem ein AfD-Geheimtreffen in Potsdam bekannt geworden war, bei dem Ideen für eine massenhafte Abschiebung von Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund ("Remigration") formuliert wurden. Marine le Pen von der RN und Meloni reagierten mit Verwunderung, weil sie mit moderaten Tönen mehr Wähler der Mitte gewinnen wollen. In der AfD heißt es inzwischen, das Verhältnis zur RN sei wieder besser.

Durch die Konkurrenz der rechtspopulistischen Parteien innerhalb Frankreichs, Belgiens und Italiens wird eine mögliche Einigung oder auch Vereinigung der beiden rechten Fraktionen im Europaparlament weiter kompliziert.

Das Thema Russland

Die Nähe zu Russland einiger Parteien könnte als zusätzlicher spaltender Faktor wirken. Die AfD, die französische RN, aber auch die FPÖ in Österreich positionieren sich mit einer russlandfreundlichen Strategie, während etwa die polnische PiS davon nichts wissen will.

Abgeordnete rechter Fraktionen sollen außerdem für eine russlandgefällige Politik geschmiert worden sein. Der Vorwurf wurde von den ermittelnden belgischen Staatsanwälten allerdings bis heute nicht durch konkrete Summen und Namen unterfüttert und soll sich vor allem auf Geheimdienstinformationen aus Polen und Tschechien stützen.

Die Verhaftung eines Mitarbeiters des AfD-Spitzenkandidaten Krah wegen mutmaßlicher China-Spionage verstärkte mitten im Wahlkampf das gegenseitige Misstrauen der beiden Rechtsaußen-Fraktionen. Zuvor war ein anderer AfD-Abgeordneter in Verdacht geraten, Geld von einem russlandnahen Online-Portal bekommen zu haben. Der Fall belastet den AfD-Wahlkampf - könnte sich aber auch auf andere Parteien auswirken, wenn die belgischen Ermittlungsbehörden mit neuen Details kommen.

"Die EU wird mit einer stärkeren Rechten fertig werden, und sie wird das auch tun müssen", erwartet der Politikwissenschaftler Matthias Dembinski vom Leibnitz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung. "Ein Beispiel ist Giorgia Meloni in Italien, die unter dem Druck des Ukraine-Krieges auf einen europafreundlichen und pragmatischen Kurs umgeschwenkt ist." Es zeige sich auch in den gemeinsamen Beschlüssen zur künftigen Migrationspolitik - "und nicht nur dort".

Andreas Meyer-Feist, ARD Brüssel, tagesschau, 15.05.2024 14:01 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 11. Mai 2024 um 22:15 Uhr.