Zwei Versichertenkarten der AOK liegen auf einem Tisch.
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Vor allem Ältere betroffen Risiken und Nebenwirkungen beim Kassenwechsel

Stand: 29.04.2024 08:59 Uhr

Online-Dienstleister behaupten, sie könnten beim Wechsel von der privaten in die gesetzliche Krankenkasse helfen. Die GKV kritisieren "systematischen Rechtsmissbrauch", Verbraucherschützer warnen.

Von Moritz Hartnagel, SWR

Wenn die Rente niedrig ist, die Beiträge in der privaten Krankenversicherung im Alter aber immer weiter steigen, ist die Verzweiflung oft groß. So manch einer würde dann gerne wieder in die gesetzliche Versicherung wechseln, um Beiträge zu sparen.

Doch ab dem 55. Lebensjahr kommen Privatversicherte nur noch sehr schwer in die gesetzliche Versicherung zurück. Der Gesetzgeber will nämlich weitgehend verhindern, dass Versicherte, die jahrelang nicht in die Solidargemeinschaft eingezahlt haben, im Alter davon profitieren.

Zurück in die Gesetzliche Krankenversicherung - Was steckt hinter den Angeboten?

Moritz Hartnagel, SWR, plusminus, 17.04.2024 21:45 Uhr

Anbieter werben offensiv

Verschiedene Anbieter machen sich jedoch offenbar genau diese Verzweiflung privat versicherter Menschen zunutze und sprechen gezielt Über-55-Jährige und Rentner an. Die Veron Versicherungsmakler GmbH mit Sitz in Nürnberg ist nur einer von zahlreichen Anbietern. Ihre Webseite hat den griffigen Namen "raus-aus-der-pkv.de".

Dort heißt es: "Leider wird oft behauptet, dass ein Wechsel aus der privaten Krankenversicherung zur gesetzlichen Krankenversicherung über dem 55. Lebensjahr nicht möglich ist. Diese Aussage ist falsch!" Und solch ein Wechsel sei in vielen Fällen bares Geld wert: Eine Ersparnis von über 150.000 Euro sei keine Seltenheit.

Gewerbegründung in Tschechien

Wie der Wechsel konkret funktionieren soll, erfahren Interessenten erst bei einer telefonischen Beratung. In einem Gespräch mit einem 85 Jahre alten Rentner, das Plusminus dokumentiert hat, erklärt die Beraterin am Telefon, ein Dienstleister würde für ihn ein Gewerbe in Tschechien eröffnen. Dadurch werde er in Tschechien sozialversicherungspflichtig. Ein Jahr später könne er dann in die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland wechseln. Er selbst müsse kein einziges Mal nach Tschechien fahren und auch sonst nichts weiter tun.

Er müsse dafür ein Jahr lang monatlich 250 Euro zahlen, sowie im Erfolgsfall 9.000 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer an einen externen Dienstleister - insgesamt also über 12.000 Euro. Die Beraterin erzählt, die Veron Versicherungsmakler GmbH habe das schon Tausende Male so durchgeführt. Ist dieses Vorgehen rechtens?

Regelung wird zu rechtlichem Schlupfloch

Tatsächlich gibt es ein rechtliches Schlupfloch: Wer mindestens zwölf Monate lang im Ausland krankenversichert war, kann nach dem Ende des Auslandsaufenthalts in die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland wechseln. Diese Regelung ist für Personen gedacht, die auch tatsächlich im Ausland arbeiten und sich in der Zeit auch überwiegend dort aufhalten.

Aus Sicht von Anke Puzicha von der Verbraucherzentrale in Hamburg geht aus dem von uns dokumentierten Telefonat jedoch klar hervor, dass es sich hier um ein Scheingewerbe handelt, da die Person nicht wirklich ihren Lebensmittelpunkt nach Tschechien verlagert. Somit sei ein Versicherungswechsel auf diese Weise unzulässig. "Die Anbieter wissen sehr wohl, warum sie ihre Methode nicht klar veröffentlichen. Personen, die auf diese Weise die Versicherung wechseln, riskieren, wegen Sozialbetrugs beschuldigt zu werden", kritisiert sie.

Undurchsichtiges Konstrukt

Die Veron Versicherungsmakler GmbH teilt auf Anfrage schriftlich mit, sie sei nur ein Datensatzhändler. Die vom Callcenter erhobenen Kundendaten würden an weitere Dienstleister weitervermittelt werden. Selbst habe man keine Vertragsbeziehungen mit Wechselwilligen.

Tatsächlich bekommt der am Telefon beratene 85-Jährige aus Stuttgart einige Tage nach dem Telefonat ein Schreiben von einem weiteren Dienstleister. Plötzlich ist nicht mehr von Tschechien, sondern von Polen die Rede. Und nun wird es konkret: Er soll eine Vollmacht unterschreiben. Am Telefon wird ihm erklärt, mit der Vollmacht werde eine polnische Anwaltskanzlei ein Gewerbe für ihn als Handelsvertreter in Polen eröffnen. Nach einem Jahr könne er dann in die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland wechseln.

Ein hohes Risiko

Doch das Risiko ist hoch: Wenn die Versicherung nachträglich dahinter kommt, dass es sich um ein reines Scheingewerbe gehandelt hat, kann sie auch Jahre später noch den Eintritt in die gesetzliche Versicherung rückabwickeln. Die betroffene Person fliegt dann aus der gesetzlichen Krankenkasse - mit dramatischen Folgen.

Versicherungsmakler Thorulf Müller hat immer wieder Kunden, die auf solche Angebote eingegangen sind und das später bitter bereut haben. "Und dann sitzen die plötzlich ohne Krankenversicherung da - in einer Lebensphase, wo ich eigentlich die Krankenversicherung wirklich dringend brauche", sagt er. "Das ist elend. Die können danach dann mit einem Basistarif zum Sozialamt und sich Sozialbedürftigkeit bestätigen lassen im Sinne von Grundleistungen, damit sie den Basistarif wenigstens noch weiter einigermaßen finanziert kriegen."

"Systematischer Rechtsmissbrauch"

Offensichtlich ist das Problem den gesetzlichen Krankenkassen bekannt. Bereits 2022 hat der GKV-Spitzenverband in einem Rundbrief vor "systematischem Rechtsmissbrauch" gewarnt. Weiter heißt es in dem Brief: "In letzter Zeit haben sich Hinweise ergeben, dass Personen angeben, in der Tschechischen Republik oder Slowakischen Republik Erwerbstätigkeiten ausgeübt zu haben, um aufgrund der dadurch erworbenen gesetzlichen Versicherungszeiten Zugang zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung in Deutschland zu erhalten. Es besteht der Verdacht, dass die Erwerbstätigkeiten fingiert sind."

Wenn das schon länger bekannt ist: Warum gibt es diese Angebote dann immer noch? Constantin Papaspyratos vom Bund der Versicherten sagt, den Krankenkassen seien in vielen Fällen die Hände gebunden. "Sie sind darauf angewiesen, im Ausland - wie in diesem Fall zum Beispiel Polen - Informationen anzufragen. Nach meiner Einschätzung ist es so, dass die zuständigen Einrichtungen im Ausland hier in vielen Fällen überfordert sind und die Problematik nicht verstehen und deswegen bei der Datenlieferung ein Stück weit hilflos dastehen", sagt er.

"Das führt dann zu der Schwierigkeit, wenn die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland Daten aus Polen benötigt und sie nicht zeitnah und vollständig bekommt, dass das den ganzen Prüfablauf massiv in die Länge zieht - mit der Konsequenz, dass erst mal unter Umständen jahrelang gar nichts passiert", so Papaspyratos. Die Politik sei gefordert, die Gesetze zu verschärfen.

"Haben nicht umsonst Schutzrechte"

Maria Klein-Schmeink ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen und Mitglied im Gesundheitsausschuss. "Wir können schauen, welches Gesetz geeignet ist, um eine Regelung zu finden", sagt sie. "Ich meine aber, es kann nicht sein, dass jemand Tausende Euro daran verdient, dass es eine Umgehung des deutschen Sozialrechts gibt. Wir haben ja nicht umsonst diese Schutzrechte für die gesetzliche Krankenversicherung."

Und Dirk-Ulrich Mende von der SPD will prüfen, ob es im Zuge des geplanten Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes  - kurz: GVSG - eine Möglichkeit gibt, gegen solche Anbieter vorzugehen.

Anke Puzicha von der Verbraucherzentrale Hamburg sagt, es gebe keinen Grund dafür, sich auf solche Anbieter einzulassen. Sie rät Menschen, die wirklich ein Problem mit steigenden Versicherungsbeiträgen im Alter haben, dazu, einen Tarifwechsel innerhalb der privaten Versicherung zu prüfen. Meist ließen sich die Beiträge dadurch deutlich senken. Das sei "tausendmal besser", als auf ein Angebot einzugehen, das nicht rechtssicher sei und sich der Gefahr auszusetzen, am Ende aus der gesetzlichen Versicherung zu fliegen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste in der Sendung "Plusminus" am 17. April 2024 um 21:45 Uhr.