Unterricht in einer Integrationsklasse
mittendrin

Geflüchtete aus der Ukraine Der schwierige Weg ins deutsche Schulsystem

Stand: 14.05.2024 16:23 Uhr

Mehr als 200.000 geflüchtete Kinder und Jugendliche wurden allein aus der Ukraine im vergangenen Jahr hierzulande unterrichtet. Viele lernen Deutsch in den internationalen Vorbereitungsklassen - bis zu zwei Jahre lang.

"Groß, größer … und wie geht es weiter?", Clara Vauth unterrichtet Deutsch in der Internationalen Vorbereitungsklasse an der Gesamtschule Rodenkirchen. Vor ihr stehen Sofiia, Inna und Ilya aus der Ukraine und Ivica aus Kroatien. Sie haben sich nach ihrer Körpergröße sortiert. "Am größten", ergänzt die 15-jährige Sofiia. "Wer ist der Größte?", fragt Clara Vauth weiter. Die Schüler überlegen, Steigerungen fallen ihnen schwer.

"Hier spiegelt sich immer die politische Weltlage"

In der internationalen Vorbereitungsklasse sitzen Schülerinnen und Schüler aus Syrien, Afghanistan und osteuropäischen Ländern, vor allem aber aus der Ukraine. "Hier spiegelt sich immer die politische Weltlage", sagt Clara Vauth, die eigentlich Deutsch- und Geschichtslehrerin ist. Maximal 18 Schüler und Schülerinnen können es pro Vorbereitungsklasse sein.

"Ein schönes Arbeiten, wenn man gemeinsam den Weg ins Schulsystem planen kann", meint Clara Vauth. Aber es sei auch ein ständiges Kommen und Gehen. Bis zu zwei Jahre können die Schüler in dieser Vorbereitungsklasse begleitet werden. In dieser Zeit beginnen sie bereits in der Gesamtschule Rodenkirchen mit der schrittweisen Integration in den regulären Unterricht. Daher sind in jeder Unterrichtsstunde unterschiedlich viele Kinder in verschiedenen Alters- und Klassenstufen und mit ganz unterschiedlichen Lernniveaus.

#mittendrin aus Köln: Vorbereitung von Geflüchteten in Willkommensklassen

Ingrid Bertram/Marina Onneken, WDR, tagesthemen, 29.04.2024 22:25 Uhr

Kinder mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen

Manche, die hier ankommen, sagt Clara Vauth, sprechen perfekt Englisch, und andere müssen erstmal die lateinische Schrift oder überhaupt Schreiben lernen. Hat man mit den einen Kinder Fortschritte beim Deutschlernen gemacht, kommen plötzlich neue Kinder, die von der Stadt der Schule zugewiesen werden.

"Dann stehen auf einmal wieder Schüler vor der Tür, aus drei verschiedenen Ländern, die können auf 'Hallo, wie geht es Dir?' nicht antworten und die anderen versuchen, Anschluss in der 9. Klasse zu finden. Oft wissen wir nur einen Tag vorher, dass jemand Neues kommt und dann geht es wieder von vorne los", erzählt Vauth.

Sofiia aus der Ukraine: "Es war eine sehr schlimme Flucht"

Sofiia Yakina nimmt bereits in vielen Fächern an den normalen Schulstunden der 8. Klasse teil. In der Vorbereitungsklasse ist sie die Beste, kann sich bereits auf Deutsch unterhalten. Vor einem Jahr, erzählt sie, sei sie aus Mariupol geflohen.

Ihre erwachsene Schwester, die damals schon in Deutschland war, hat sie aus der von den Russen besetzten Stadt herausgeholt. Mit Busverbindungen sind sie nach Deutschland geflohen. "Das war so viel Stress, zu viele Gefahren, es war eine sehr schlimme Flucht." Mehr Details gibt sie nicht Preis.

Viele der Kinder hier haben wie Sofiia eine Flucht hinter sich. Doch gesprochen wird darüber wenig - Sofiia spricht noch nicht mal mit ihren ukrainischen Freundinnen darüber. "Ich glaube, so ist es einfacher für uns", sagt sie.

Knappe Mittel für die Vorbereitungsklassen

"Eigentlich müsste hier ein traumasensibler Unterricht stattfinden", sagt Lehrerin Vauth. Den schulpsychologischen Dienst habe sie auch schon zu Rate gezogen. Aber oft fehle es an Übersetzern, um die Kinder bei so sensiblen Themen tatsächlich erreichen zu können.

Die Mittel für die Vorbereitungsklassen sind knapp bemessen. Insgesamt ist für eine Vorbereitungsklasse eine halbe Lehrerstelle zusätzlich vorgesehen. Da es an der Gesamtschule zwei internationale Klassen gibt, ist es hier eine ganze Stelle, und die reicht immer noch nicht aus. Das Team ist in Rodenkirchen deutlich größer: Zwei Lehrkräfte kümmern sich ausschließlich um den Deutschunterricht. Stundenweise geben noch vier weitere Fachlehrer Englisch und Mathe, damit die Integration möglichst schnell gelingt.

Das gehe nur, weil die Schule mit insgesamt 1.700 Schülern sehr groß sei, sagt Schulleiterin Kerstin Gaden. So habe sie mehr Möglichkeiten, Mittel umzuschichten, als kleinere Schulen. Mehr Lehrpersonal zu bekommen, sei aber bei knappen Mitteln und dem Lehrermangel aussichtslos. "Und das heißt, immer dann, wenn ich diese Integrationsklasse gut ausstatte, dann nehme ich woanders Ressourcen weg."

Eine Lehrerin steht vor Schülerinnen und Schülern einer Vorbereitungsklasse in einem Klassenraum

In ihren Klassen herrsche ein ständiges Kommen und Gehen, sagt Lehrerin Vauth.

In kleinen Gruppen wird Muttersprache gesprochen

Anders als Sofiia brauchen viele Kinder mehr Zeit. Da zum Beispiel gerade viele Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine in den Klassen sind, bilden sich Gruppen, in denen sie untereinander ihre Muttersprache sprechen. Das helfe nicht immer beim Deutschlernen, weiß auch Clara Vauth.

Der Übergang ist schwer, selbst für die Besten unter ihnen. Immer wieder hört sie von ihren Kollegen und Kolleginnen aus den regulären Klassen: "Das klappt nicht: Sie können keine mündlichen Beiträge leisten, sie können keinen Analysen formulieren, und dann müssen die Schüler und Schülerinnen wirklich hart arbeiten. Das ist kein leichter Übergang."

Wechsel in reguläre Klassen könnte problematisch werden

Zum nächsten Schuljahr müssen aber gerade nach zwei Jahren Krieg in der Ukraine viele von ihnen in die regulären Klassen wechseln. Und das könnte nicht leicht werden. Viele kommen zu den ohnehin schon großen Klassen zusätzlich dazu und bräuchten eigentlich Begleitung.

Das gehe letztlich auch zu Lasten des Bildungssystem, sagt Kerstin Gaden. "Wenn wir bisher maximal 28 Schüler in den Klassen haben, dann werden es künftig 30 Kinder, und dann wird es schwierig mit der individuellen Förderung."

Das betreffe nicht nur die leistungsschwächeren Schüler und Schülerinnen, sondern auch die leistungsstärkeren. "Wir haben keine Ressourcen mehr, allen gerecht zu werden."

Sofiia und ihre Mitschüler und Mitschülerinnen denken schon weiter - sie haben Pläne. Der 15-jährige Ivica aus Kroatien zum Beispiel möchte Programmierer werden. Er arbeite jetzt schon an einer App, die beim Sprachenlernen helfen soll. Und Sofiia überlegt, ob sie eine Ausbildung macht wie ihre Schwester oder vielleicht doch das Abitur. Ihrer Klassenlehrerin, erzählt sie, traue es ihr zumindest zu.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 29. April 2024 um 22:25 Uhr.