Näherinnen und Näher in Bangladesch

Was die Einigung auf ein EU-Lieferkettengesetz bedeutet

Stand: 16.03.2024, 09:44 Uhr

Nach langem Ringen haben sich die EU-Staaten auf ein Lieferkettengesetz geeinigt. Ein großer Schritt zur Wahrung der Menschenrechte oder ein Kompromiss mit großen Schwächen?

Wenn Firmen in der Europäischen Union Waren importieren, sollen sie künftig sicherstellen müssen, dass entlang der Lieferkette Menschenrechte eingehalten werden und die Umwelt keinen Schaden nimmt. Das ist das Ziel des Lieferkettengesetzes, auf das sich die EU-Staaten am Freitag geeinigt haben. Deutschland hat zwar nicht dafür gestimmt, eine Mehrheit kam trotzdem zustande. Gelten soll es allerdings - anders als ursprünglich geplant - nur für EU-Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von mindestens 450 Millionen Euro. Wie groß also ist der Fortschritt? Fragen und Antworten.

EU sagt Ja zum Lieferkettengesetz

WDR aktuell - Der Tag 15.03.2024 10:13 Min. Verfügbar bis 15.03.2025 WDR 3


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Was soll künftig konkret verboten sein?

Europäischen Unternehmen ist es beispielsweise untersagt, Erzeugnisse zu beziehen, die durch Kinderarbeit zustande gekommen sind. Sie dürfen auch keine T-Shirts oder andere Kleidung ordern, die in Textilfabriken außerhalb Europas von Arbeiterinnen und Arbeitern für sehr niedrige Löhne oder unter gesundheitsgefährdeten Bedingungen hergestellt wurden. Bei der Produktion von Gütern, etwa der Gewinnung von Erdöl, dürfen Menschen, Tiere und Umwelt nicht gefährdet werden.

Wie wird dokumentiert, dass Standards eingehalten wurden?

"Dafür gibt es zertifizierte Verfahren", sagt Matthias Mainz von der IHK NRW dem WDR. Unternehmen könnten beispielsweise eigene Mitarbeitende schicken, die sich vor Ort davon überzeugen, dass die Menschenrechts- oder Umweltstandards eingehalten werden. Sie könnten aber auch Dienstleister aus Deutschland oder vor Ort mit der Kontrolle beauftragen. Die Ergebnisse könnten dann etwa in einen Prüfbericht oder in eine Datenbank einfließen.

Wie sieht es mit der zivilrechtlichen Haftung von Unternehmen aus?

"Grundsätzlich besteht die Gefahr, dass einem Unternehmen von einem Dritten ein falsches oder ein unvollständiges Bild von der Einhaltung der Menschenrechts- oder Umweltstandards übermittelt wird", sagt Mainz. Insofern komme auf Firmen mitunter ein Nachkontrollaufwand hinzu. Ob ein Unternehmen bei einer falschen oder unvollständigen Darstellung der Standards in Haftung genommen werden kann, hänge davon ab, ob die Verantwortlichen vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben. "Das wird im Zweifelsfall von Gericht zu Gericht unterschiedlich bewertet und kann letztendlich für Unternehmen ein Unsicherheitsfaktor sein", so Mainz.

Wird das Gesetz die Ziele erreichen können?

"Wir setzen große Hoffnungen auf das Gesetz", sagt Franziska Humbert von der Entwicklungsorganisation Oxfam gegenüber dem WDR. Aus ihrer Sicht ist das Gesetz ein Meilenstein im Kampf für bessere Menschenrechts- und Umweltstandards. Es habe sich schon beim deutschen Lieferkettengesetz, das seit Anfang 2023 gilt, gezeigt, dass die Unternehmen nunmehr die Standards in den Blick nehmen und für ihre Einhaltung Sorge tragen. Es sei gut, dass nun auch auf europäischer Ebene Konzerne in die Pflicht genommen würden.

Aber es gibt auch Kritik: "Wir sind enttäuscht, dass das Vorhaben so ausgehöhlt wurde", sagt Johanna Kusch von der Organisation "Initiative Lieferkettengesetz". Denn es gelte nur noch für größere Firmen und demnach nur noch für ein Drittel der ursprünglich vorgesehenen Unternehmen, in Summe für rund 5.500 Firmen. Dennoch zeigte sie sich erleichtert, dass die Mehrheit zustande kam.

Lockerungen mindern die Wirksamkeit?

Ähnlich äußert sich Laura Niederdrenk von WWF Deutschland. Die stark abgeschwächte Version sende allerdings "ein fatales Signal an alle Menschen, die nun weiterhin unter Missständen in den Wertschöpfungsketten leiden" müssen. "Die Zweifel am Willen der EU, faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, werden mit dieser Entscheidung immer größer", so Niederdrenk.

Auch Finn Schufft, Referent für Unternehmensverantwortung des Vereins Germanwatch e.V. ist zwar zufrieden, dass es überhaupt ein Lieferkettengesetz gibt. Allerdings seien "ja nochmal neue Ausnahmen dazu gekommen" bei den Unternehmen, die erfasst werden, sagt Schufft - und das reduziere aus seiner Sicht "im Zweifel am Ende die Wirksamkeit des Gesetzes, denn wir reden über zunächst 0,01 Prozent aller europäischen Unternehmen, die da erfasst sind".

Nun muss das Lieferkettengesetz noch das Europäische Parlament passieren. Das gilt aber als sicher.

Unsere Quellen:

  • WDR-Korrespondent Thomas Spickhofen in Brüssel
  • Matthias Mainz von der IHK NRW gegenüber dem WDR
  • Franziska Humbert von der Entwicklungsorganisation Oxfam gegenüber dem WDR
  • Laura Niederdrenk von WWF Deutschland in einer Pressemitteilung
  • Nachrichtenagentur epd
  • Nachrichtenagentur dpa
  • WDR-Morgenecho vom 16.03.2024

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