Studiogespräch: Igor Levit, jüdischer Pianist

Aktuelle Stunde 08.11.2023 UT Verfügbar bis 08.11.2025 WDR

Pianist Igor Levit: "Wo ist die breite Solidarität jetzt?"

Stand: 08.11.2023, 20:33 Uhr

Igor Levit ist ein weltweit berühmter Pianist. Er kommt aus einer jüdischen Familie und berichtet im WDR-Interview, wie er die Reaktionen auf die Lage in Israel und die Solidarität mit Jüdinnen und Juden zurzeit wahrnimmt.

Levit ist in Russland geboren, Mitte der 90er kam er mit seiner jüdischen Familie nach Deutschland. Als sogenannte Kontingentflüchtlinge. Schon im Alter von drei Jahren hat er angefangen Klavier zu spielen.

Der bekannte Pianist spielt auf Demonstrationen, engagiert sich für Klimaschutz und gegen Rechtsextremismus, ist zudem Mitglied bei den Grünen.

WDR: Deutschland ist das Land des „Nie wieder“. Auch glaubwürdig denke ich, aber Sie sagen, das sollte sichtbarer werden.

Igor Levit: Ja, Glaubwürdigkeit von Worten steht und fällt mit Taten. Und ich glaube ich spreche hier für viele meiner jüdischen Freunde, aber auch einfach Mitbürgerinnen und Mitbürger. So groß die Worte häufig waren in letzter Zeit, so erschreckend und ja auch traurig machend, wenig und klein waren die Taten.

Igor Levit im Interview mit Susanne Wieseler

Was meinen Sie mit Taten?

Igor Levit: Schauen Sie, am 7. Oktober, ziemlich genau vor einem Monat, wurde auf israelischem Territorium ein Pogrom gestartet, ein Massenmord, ein Massaker an Juden. Nicht anderes ist da passiert. Eine der schlimmsten, die schlimmste Attacke, der schlimmste Angriff auf jüdisches Leben seit der Schoa. Es vergingen keine zehn Minuten gefühlt - ich kann keine Minutenanzahl hier oder Stunden nennen - aber keine wenigen Augenblicke, schon fingen viele, viele Menschen mit dem „Ja, aber“ an.

Man gab mir als Juden nicht mal Raum zum Trauern, schon begann aus Teilen der Gesellschaft das Verlangen nach Kontextualisierungen. Oder böser ausgedrückt: Es kamen so Sätze wie „So was kommt von so was“. Und was wir erleben seit Wochen, ist einerseits eine für alle sichtbare, brutale Explosion an Judenhass. Aus radikal islamistischer Richtung, aus rechtsextremer Richtung und auch, das frustriert mich sehr, von Teilen der Linken. Wir sehen das jeden Tag auf deutschen Straßen, auf europäischen Straßen, in den Vereinigten Staaten. Und verglichen dazu, verglichen mit dieser Emotion, wo ist da die Mitte der Gesellschaft, die aufsteht und sagt: „Bis hierher und nicht weiter“? Wo ist sie?

WDR: Also die Demonstrationen müssten größer sein pro Israel?

Igor Levit: Ja, für Jüdinnen und Juden in dieser Welt. Das ist noch so viel mehr als einfach nur pro Israel. Ja, auch. Aber nicht nur.

WDR: Herr Levit, wenn wir auf die Politik gucken: Wir haben Robert Habeck gehört, wir haben unseren Ministerpräsidenten hier, der sehr deutlich geworden ist, wenns um Antisemitismus geht, der heute eine Kampagne startet, der gleich zu einem Schweigegang geht hier in Köln - ein Solidaritätsakt. Aus der Politik kommen doch ganz gute Zeichen, oder?

Igor Levit: Schauen Sie, aus der Politik kommen gute Worte. Ja. Sie haben Robert Habecks Video angesprochen. Ihren Ministerpräsident. Kevin Kühnert, der im Fernsehen bei Markus Lanz auf den Punkt beschrieben hat, worum es geht. Ich kann parteiübergreifend Politikerinnen und Politiker nennen, die sich sehr, sehr deutlich, Gott sei Dank, hingestellt haben. Aber wissen Sie, deutliche Worte zum Thema Antisemitismus höre ich als Jude in diesem Land häufig - gesichert zweimal im Jahr: am 9. November und am 27. Januar.

Die Realität sieht aber aus, dass man mir seit Jahren sagt, es gäbe No-Go-Zonen, ich dürfe mich quasi nicht als Jude zeigen in bestimmten Bereichen. Eine Bankrotterklärung staatlicher Institutionen. Ja, man spricht. Aber noch mal: Sprache geht nicht immer in Taten über. Und jetzt sehen wir eine Situation, in der Davidsterne auf Häuser geschmiert werden, in der Eltern ihre Kinder nicht auf die jüdische Schule schicken, weil sie Angst um sie haben. In der die Gemeindemitglieder einfach Angst haben, einfach in einer Beklemmung sich befinden sondergleichen.

Und ich frage noch einmal: „Verglichen mit all den Krisen, die wir in den letzten Jahren erlebt haben, wo in Windeseile aus allen Richtungen der Mitte der Gesellschaft sofort solidarische Zeichen gezeigt wurden. Wo ist die breite Solidarität jetzt? Wo ist sie?

Das Interview führte Susanne Wieseler für die Aktuelle Stunde im WDR Fernsehen.

Anmerkung der Redaktion: Das Interview wurde zur besseren Lesbarkeit sprachlich geglättet. Inhalt und Sinnzusammenhänge wurde aber nicht verändert.

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