Israel: Werden sich Grenzen verschieben?

Aktuelle Stunde 09.10.2023 Verfügbar bis 09.10.2025 WDR Von Anke Kückelhaus

Israel-Experte Peter Lintl: Das wird eine neue Phase im Konflikt einläuten

Stand: 09.10.2023, 19:46 Uhr

Es ist unklar, ob es einen größeren Plan hinter den Hamas-Angriffen gibt, sagt Peter Lintl, Experte für Israel und den Nahostkonflikt. Im WDR-Interview redet er auch über die Risiken einer Bodenoffensive.

Peter Lintl ist Experte für Israel und den Nahostkonflikt bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Im Interview bei WDR 5 spricht er über den Angriff der Hamas auf Israel und über mögliche Entwicklungen des Kriegs.

WDR: Der israelische Regierungschef Benjamin Netanyahu hat bereits erklärt, dass Israel nun von vor einem langen und harten Krieg stehen würde. Weshalb geht er davon aus?

Dr. Peter Lintl - Stiftung Wissenschaft und Politik

Lintl: Weil es letztlich nach diesen verheerenden Terroranschlägen das Ziel Israels sein wird, so etwas in der Zukunft zu verhindern. Und das lässt sich eigentlich nur machen, wenn man die Herrschaft der Hamas mehr oder weniger beendet oder zumindest versucht, sie zu beenden. Das wird ein einen langen Krieg bedeuten. Gleichzeitig hat die Hamas ja über 100 Geiseln genommen und das wird die Sache enorm verkomplizieren.

Angriff der Hamas auf Israel: "Wird langer Krieg"

WDR 5 Morgenecho - Interview 09.10.2023 07:25 Min. Verfügbar bis 08.10.2024 WDR 5


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Zur Befreiung der Geiseln soll sich Israel schon auf eine Bodenoffensive vorbereiten. Welche Risiken birgt die eine?

Bodenoffensive bedeutet, dass es sehr viel mehr tote israelische Soldaten geben wird, auch sehr viele tote Palästinenser. Und natürlich, dass sich Israel in den Straßenkampf mit Häuserkampf festbeißen wird. Das heißt, das ist genau das, was sehr lange dauern wird und sehr blutig letztlich bleiben wird, ohne dass man genau sagen kann, ob es gelingen kann, diese Geiseln auf diesem Weg zu befreien.

Lassen Sie uns schauen, darauf schauen, wer von wem in diesem Konflikt Unterstützung bekommen kann und bekommen wird. Von wem kann die radikalislamische Hamas weitere Unterstützung erhoffen? Genannt wird immer der Iran. Was heißt das?

Im letzten Jahr hat sich dieses sogenannte Achse des Widerstands wieder aufgetan oder wieder zusammengefunden. Das heißt im Wesentlichen, dass der Islamische Dschihad und die Hamas jetzt wieder Verbündete von Hisbollah, vom syrischen Regime und dem Iran sind. Der Iran wird weiter versuchen, Geldlieferungen an die Hamas in irgendeiner Form zu zahlen.

Waffenlieferungen werden jetzt im Moment wahrscheinlich sehr, sehr schwierig werden. Aber gleichzeitig kann die Unterstützung natürlich in der Form kommen, dass der iranische Proxy, die Hisbollah, in diesen Krieg mit einsteigt. Und das wäre natürlich ein Schreckensszenario für Israel, weil dann ein Mehr-Fronten-Krieg stattfinden würde und Israel sich auf zwei sehr gut ausgerüstete Feinde konzentrieren müsste.

Vom Libanon aus soll es ja bereits Angriffe gegeben haben.

Ja, es gab bereits Angriffe, aber man kann noch nicht davon reden, dass die Hisbollah schon eine Kriegspartei ist. Also das sind einzelne Gefechte. Aber noch ist die Hisbollah nicht in den Krieg eingetreten.

Israel wird unterstützt von den europäischen Staaten, den USA natürlich. Wer steht im Nahen Osten selber auf der Seite Israels?

Das ist etwas schwierig zu sagen. In den letzten Jahren gab es ja Annäherungen zwischen den Golfstaaten. Jetzt war die Annäherung mit Saudi-Arabien im Gespräch und schon länger gibt es Friedensverträge mit Jordanien und Ägypten.

Gleichzeitig muss man natürlich sagen, dass diese Staaten sich in den letzten Wochen eher bedeckt gehalten haben. Sie haben nicht klar diese Angriffe der Hamas verurteilt, sondern sie haben eher dazu aufgerufen, dass die Gewalt zu beenden sei. Israel muss auf diese Angriffe reagieren. Im Moment kann man nicht von einem Waffenstillstand sprechen. Von daher sind viele in Israel auch etwas enttäuscht über die Reaktion der arabischen Staaten derzeit.

Bundeskanzler Olaf Scholz meinte, dass alles dafür getan werden müsse, dass es keinen Flächenbrand mit unkalkulierbaren Folgen für die ganze Region gibt. Wie groß ist diese Gefahr?

Das ist im Moment schwer zu sagen, weil man nicht genau weiß, ob es einen größeren Plan hinter dieser Aktion gibt, ob es konzertiert ist mit der Hamas. Also gegebenenfalls wäre ein Szenario, dass sobald Israel eine Bodenoffensive beginnt, dass die Hisbollah einschreitet.

Das weiß man derzeit nicht, ob es einen solchen Plan gibt. Man kann nur versuchen, Druck auf den Iran und gegebenenfalls auch die Hisbollah, soweit das möglich ist, auszuüben, nicht einzuschreiten. Aber ob es einen solchen Plan gibt, wie gesagt, das weiß man derzeit nicht.

Wir sagen häufiger "Es ist es schwer zu sagen" heute früh, und das ist ja verständlich in der Situation, nachdem das passiert ist. Aber der Nahostkonflikt beschäftigt uns schon seit Jahrzehnten. Gibt es einen Zeitpunkt, wo Sie sehen, viele Staaten haben nicht mehr hingeguckt, was sich da tatsächlich wieder zusammenbraut?

Sicherlich ist es so, dass viele internationale Beobachter konsterniert waren, dass die Entwicklungen on the ground nicht mehr beobachtet wurden, einfach weil nichts mehr voranging, weil sich die Situation zwar permanent verschlechtert hat, aber auch diese Warnungen vor einer Verschlechterung machen Menschen natürlich müde. Man guckt nicht mehr hin. Und da gab es sicherlich Ermüdungserscheinungen bei der internationalen Gemeinschaft. Das ist sicherlich richtig.

Gleichwohl muss man jetzt sagen, was wir die letzten Tage gesehen haben, wird eine neue Phase in dem Konflikt einläuten. Das ist nicht einfach nur eine neue Runde von Gefechten zwischen der Hamas und Israel. Das wird Dinge verändern, eben weil Israel wahrscheinlich Bodentruppen einsetzen wird. Damit ist zynischerweise natürlich wieder mehr Aufmerksamkeit da. Aber ja, Sie haben recht, die letzten Jahre wurde dieser Konflikt aus einer Reihe von Gründen weniger beachtet.

Israel ist im Krieg. Spielen die innenpolitisch umstrittene Regierung, wenn wir auf den Umbau der Justiz schauen oder die Rolle Netanyahus, jetzt überhaupt noch eine Rolle?

Ich vermute, dass der Umbau der Justiz jetzt erst einmal gestoppt sein wird. Es wird bereits diskutiert, dass es eine große Koalition mit der Opposition geben soll. Das ist noch nicht ganz klar, ob das kommen wird.

Aber das ist eigentlich die natürliche Reaktion, die in Israel in Krisenzeiten wie diesen getan wird. Wir müssen jetzt abwarten, was das gibt, welche Überlegungen Netanyahu hier zeitigt. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass es zu einem Regierungsumbau oder zumindest einer Aufnahme von einzelnen Oppositionsparteien kommen wird.

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