Nahaufnahme Eschweiler: Scholz da, wir hier

Aktuelle Stunde 25.01.2024 02:58 Min. Verfügbar bis 25.01.2026 WDR

"Er soll mal auf den Tisch hauen": Bundeskanzler Scholz in Eschweiler

Stand: 25.01.2024, 19:49 Uhr

Prominenter Gast mit miesen Umfragwerten: Kanzler Scholz war zu Besuch in Eschweiler, einem Örtchen, das noch immer mit den Folgen der Flut kämpft. Die Stimmung schwankte zwischen Verständnis und Ärger.

Von Nina Magoley

Seit Monaten befinden sich die Beliebtheitswerte der Ampel-Regierung im Keller. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gehört derzeit nicht gerade zu den beliebten Politikern. Als der Kanzler vor gut zehn Tagen beim EM-Vorrundenspiel der deutschen Handballer vom Stadionsprecher der Berliner Mercedes-Benz-Arena offiziell begrüßt wurde, war die Antwort ein gellendes Pfeifkonzert.

Scholz mit Fanschal im Handball-Stadion

Pfeifkonzert beim Handball-Spiel

Bei einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts infratest dimap im Dezember gaben 78 Prozent der Befragten an, mit Scholz "gar nicht zufrieden" zu sein.

Auf dünnem Eis in Eschweiler

Unter solchen Voraussetzungen ist der Ortstermin in Eschweiler, wo die Menschen vor gut zwei Jahren von der Flut überrascht wurden, ein Gang auf dünnem Eis. Doch Scholz wurde am Donnerstag halbwegs gnädig empfangen. Er war gekommen, um das St.-Antonius-Hospital zu besuchen, das im Juli 2021 vom Flüsschen Inde überschwemmt worden war. Der Schaden belief sich auf 120 Millionen Euro. Es dauerte ein Jahr, bis im St.-Antonius-Hospital wieder Normalbetrieb herrschte.

Christiane Schubert über den anstehenden Besuch von Olaf Scholz in Eschweiler

"Schöne Geste": Christiane Schubert

Immerhin: Es sei gut, dass der Kanzler sich den gebeutelten Ort jetzt mal selber anschaue, sagen viele, die der WDR am Donnerstag in Eschweiler befragt. Der Besuch des Kanzlers sei "eine sehr schöne Geste", findet Friseurin Christiane Schubert. Diese Aufmerksamkeit freue sie: "Auch hier waren große Schäden, und darüber ist sehr wenig berichtet worden."

"Gut, dass Scholz gekommen ist", findet auch ein älterer Herr in der Fußgängerzone, und zeigt, wie hoch das Wasser hier gestanden hat. "Dann sieht er mal, was hier gewesen ist." Ob Scholz seine Arbeit gut mache? "Schwer zu sagen", meint der Mann nachdenklich, "er kann sich ja nicht um alles kümmern".

Der unsichtbare Kanzler

Passant (SPD-Mitglied) in Eschweiler zum anstehenden Besuch von Olaf Scholz

"Öfter Mal auf den Tisch hauen"

Als Typ sei Scholz ganz in Ordnung, sagt ein anderer Mann am Obststand. Er selber sei zwar SPD-Mitglied - doch von Scholz als Kanzler habe er mehr erwartet. Wenn die Regierung "fokussiert auf eigene Positionskämpfe" sei, gerate "sehr schnell der Bürger aus dem Auge" - und dieses Risiko wachse im Moment deutlich. Dann sagt der Genosse etwas, was fast alle an diesem Tag in Eschweiler feststellen: "Ich würde mir wünschen, er würde öfter mal mit der Faust auf den Tisch hauen."

Oft wird Olaf Scholz als "unsichtbar" beschrieben. Mangelnde Führungskraft wird ihm vorgeworfen. Oppositionspolitiker fordern Neuwahlen, Medien unken, dass Scholz seine reguläre Amtszeit eventuell gar nicht mehr zuende bringen wird. Wobei Neuwahlen nur dann möglich wären, wenn Scholz im Parlament eine Vertrauensfrage verlöre.

"Es läuft so viel schief"

Zwei Passantinnen in Eschweiler zum anstehenden Besuch von Olaf Scholz

"Keine rosigen Aussichten"

Der Frust über die derzeitige politische und gesellschaftliche Situation ist an diesem kühlen Donnerstagmorgen auch in Eschweiler deutlich herauszuhören. Doch so sehr will man die Schuld gar nicht allein beim Kanzler sehen. "Die meisten sind unzufrieden mit der Ampel-Politik", stellen zwei junge Frauen fest. "Alles wird teurer, zukunftsperspektivisch sieht es nicht so rosig aus." Mit Scholz persönlich habe das aber wohl weniger zu tun. "Es läuft so viel schief, was einfacher sein könnte", sagt ein Mann, "es ist alles viel zu kompliziert, zu viel Bürokratie, die viel kaputt macht."

Angst vor AfD

"Drei Parteien für ein Land - das ist schwierig", findet auch ein junger Iraker, der in einem Döner-Grill hinter der Theke steht. Scholz sei ein "netter Typ, aber kein Politiker". Die Folgen trage nun ganz Deutschland: "Die AfD geht hoch, alles wegen der Ampel." Ihm mache das Angst: "Ich bin seit elf Jahren in Deutschland, habe einen Aufenthaltstitel, jetzt wäre ich davon betroffen, abgeschoben zu werden."

Das Erstarken der AfD schreiben die meisten der chaotischen Anmutung der Ampel-Koalition zu. Flüchtlinge, Finanzkrise, Bauernproteste - Scholz sei nicht nah genug am Volk, sagt eine junge Frau. "Die Parteien müssen näher zusammenstehen." Seit zwei Jahren "Kuddelmuddel", ärgert sich ein Mann, "alle drei Parteien müssen weg, die kommen auf keinen gemeinsamen Nenner". Die Stimmung in Deutschland sei gekippt.

Bürgermeisterin Nadine Leonardt von Eschweiler zum Scholz-Besuch

07:52 Min. Verfügbar bis 25.01.2026


Fehler in der Gesundheitspolitik

Auch Joost Ney, der in der Innenstadt eine Apotheke betreibt, ist frustriert. Noch immer ist sein Geschäft in provisorischen Containern untergebracht - 2021 stand die Apotheke unter Wasser. "Auf vieles, was zugesagt wurde, warte ich noch immer", sagt er. Immerhin: Bei der Besichtigung des Krankenhauses hatte Scholz am Morgen versichert, dass so lange Hilfsgelder fließen würden, bis alles wieder hergestellt sei.

Apotheker aus Eschweiler zu Olaf Scholz und der Ampel-Regierung

Apotheker Ney aus Eschweiler

Doch Apotheker Ney ärgert sich vor allem über die Gesundheitspolitik der Ampel. Die werden aus seiner Sicht von der Bundesregierung "sehr vernachlässigt". Die Branche sei abhängig von Lieferketten und Produzenten aus Asien, dadurch entstünden enorme Versorgungslücken, während gesundheitspolitisch immer weiter eingespart werde. "Das rächt sich", warnt der Apotheker

Scholz: "Als Bundeskanzler trage ich die Verantwortung für die Regierung"

Häufig wird auch Scholz' scheinbar mangelnde Selbstkritik kritisiert. Vorwürfe lässt er meist an sich abperlen und verweist auf vermeintliche Erfolge. In einem langen Interview mit der "Zeit" vom Donnerstag verweist er sogar auf die Fehler seiner Vorgänger: "In den vergangenen zehn, 15 Jahren ist viel zu viel liegen geblieben, weil Regierungen Konflikte vermieden haben." Die Koalition gehe "nicht den leichten Weg, sondern mutet sich angesichts der großen Herausforderungen Konflikte zu".

Aber er räumt auch Fehler ein: "Als Bundeskanzler trage ich die Verantwortung für die Regierung. Punkt." Es sei "abwegig, zu sagen, ich hätte nichts damit zu tun". Es sei "leider" zu selten gelungen, wichtige Beschlüsse ohne langwierige öffentliche Auseinandersetzungen zu treffen. "Das müssen wir uns ankreiden lassen, und darauf hätte ich gut verzichten können."

Über dieses Thema berichten wir auch im WDR-Fernsehen, am 25.01.2024 in der Aktuellen Stunde.

Unsere Quellen:

  • WDR-Reporter vor Ort
  • Zeitungsinterview mit der "Zeit" von Donnerstag
  • Material der Nachrichtenagentur dpa