Schäfer fürchten um Berufsstand - "Wenn wir keinen Weg finden, mit den Wölfen zu leben, dann sehe ich schwarz"

Di 12.03.24 | 13:44 Uhr | Von Riccardo Wittig und Tony Schönberg
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Schafe von Schäferei Kath in der Uckermark
Video: rbb|24 | 12.03.2024 | Material: rbb24 Brandenburg aktuell | Bild: rbb

Statistisch gibt es in Brandenburg jeden Tag eine Wolfsattacke auf Nutztiere. Die Angst vor weiteren Angriffen ist bei den Tierhaltern enorm. Viele Schäfer machen sich zunehmend Sorgen um ihren Berufsstand, berichten Betroffene aus der Uckermark.

"Komm, komm, kommmm!" Mit lauten Rufen lockt Schäfermeister Jens Kath ein einzelnes Schaf über seinen Hof in Friedrichsfelde (Uckermark). Nachdem in der vergangenen Woche vermutlich Wölfe eine Herde im Angermünder Ortsteil Wilmersdorf angegriffen haben, war es verschwunden. "Wenn man genau hinguckt, sieht man, dass am linken Hinterlauf Wolle runterhängt", sagt Kath. "Da müssen wir genauer hingucken."

Dafür muss das Tier aber zunächst mit in den Stall. Vorsichtig tippelt es hinein und wird dort von Kath und zwei seiner Kollegen auf den Rücken gedreht. Akribisch prüfen sie das Fell. "Wenn man hier genau hinguckt, sieht man die Verletzung und hier ist alles geschwollen."

Mutmaßlicher Wolfsangriff löste Großeinsatz aus

Jens Kath führt mit seiner Familie in Friedrichsfelde eine Lehrschäferei - inzwischen schon in der siebten Generation. Insgesamt 600 Schafe groß ist der Bestand. Wolfsattacken habe es immer wieder mal gegeben. Allein im vergangenen Jahr seien es fünf gewesen. "Aber der letzte war in seiner Art und Weise, in seiner Dimension, einzigartig. Wir holen bei Übergriffen den Rissgutachter und der sagte nur: In dieser Form hat er es auch noch nicht erlebt. Und der macht das schon elf Jahre."

Der Schäfer geht von gleich mehreren Wölfen aus, vor denen seine Schafe bis an die Bahnstrecke Berlin-Stralsund geflüchtet waren. Es hatte Beeinträchtigungen im Bahnverkehr gegeben und einen Großeinsatz von Bundespolizei, Polizeihubschrauber, Landwirten sowie Bahnmitarbeitern ausgelöst. Neben verletzten, hat es auch tote Schafe gegeben. Von den insgesamt 35 Tieren gingen 20 verloren, da sie in alle Richtungen geflüchtet waren. Trotz intensiver Suche fehlen auch eine Woche später noch immer 14 Schafe.

Mehr Aufwand für Schutzmaßnahmen

Für die Schäferei Kath bedeuten die zunehmenden Angriffe nicht nur einen wirtschaftlichen Schaden. Schließlich war die kleine Herde bei Wilmersdorf als Festessen für Ostern eingeplant. Den Kunden musste abgesagt werden. Darüber hinaus gebe es eine Gefahr für den Berufsstand, sagt Schäferin Julia Kath. Denn sie müssen immer mehr Aufwand in den Schutz der Tiere investieren.

Dass die Übergriffe auf Nutztierhaltungen tatsächlich zugenommen haben, belegen Zahlen des Landesumweltamtes (LfU) [lfu.brandenburg.de]. Laut Rissstatistik hat es allein im vergangenen Jahr in Brandenburg 358 sogenannte Schadensereignisse vermutlich durch Wölfe gegeben. Davon waren in 266 Fällen Schaf- und Ziegenhalter betroffen, bei denen 1.281 Schafen oder Ziegen getötet wurden. Zum Vergleich: 2015 wurden bei Übergriffen 483 Schafe und Ziege getötet.

Bei Wild oder Rindern gibt es hingegen im gleichen Zeitraum zum Teil deutliche Schwankungen. Zu den Zahlen von 2023 ließ das LfU allgemein verlauten: "Die anhaltenden Nutztierrisse erklären sich hauptsächlich durch noch immer nicht flächendeckend umgesetzte Herdenschutzmaßnahmen, insbesondere auch in den Gebieten, in denen es schon lange Wölfe gibt.“ So seien in zwei Drittel der Weidetier-Risse nur unzureichende und in 23 Prozent lediglich die Mindestschutzmaßnahmen umgesetzt worden.

Motivation für Beruf geht verloren

Bei der Herde von Schäfermeister Kath seien die empfohlenen Herdenschutzmaßnamen getroffen gewesen. Geholfen hat es nichts. "Wenn es so weiter geht und wir keinen Weg finden, irgendwie mit den Wölfen zu leben, dann sehe ich schwarz", sagt Schäferin Julia Kath. Schäfermeister Jens Kath ergänzt: "Wir leben davon, haben die Schafhaltung auf einen rentablen Zweig geführt und dachten, wir sind für die Zukunft gut aufgestellt." Nun muss er erstmal auf das offizielle Gutachten warten, das ihm die Wolfsrisse bestätigt. So lange gibt es auch keine Entschädigungszahlungen.

Andere Schäfer in der Uckermark berichten, nach wiederholten Wolfsangriffen zunehmend die Motivation für ihren Beruf zu verlieren. Eine von ihnen ist Gunda Jung. Sie ist mit ihren rund 250 Pommernschafen auf Wanderschaft entlang der Oder und hat ebenfalls bei mehreren Übergriffen Tiere verloren - zuletzt im Februar.

Zumindest in dieser Saison gehe es aber weiter. So ist sie auf dem Weg zur sogenannten Landschaftspflege in den Nationalpark Unteres Odertal. Dafür hat die Schäferin noch einmal die Sicherheitsvorkehrungen ihrer mobilen Zäune verstärkt. Neben einer doppelten Zäunung und einer Höhe von 1,20 Meter - 90 Zentimeter sind die Mindestanforderung des Landes an den Wolfsschutz - wolle sie nun noch extra Stromkabel über den Zaun ziehen. Sollte aber auch das nicht helfen, denke sie ernsthaft darüber nach, ihren Hirtenstab an den Nagel zu hängen.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 11.03.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Riccardo Wittig und Tony Schönberg

41 Kommentare

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  1. 41.

    Der Wildverbiss an jungen Bäumen und Populationsdichten von heimischen Pflanzenfressern und Schwarwild etc. deuten jedenfalls nicht darauf hin, dass wir zu hohe Wolfspopulationen haben.
    Seit wann bedrohen Spitzenprädatoren die natürlichen Habitate zu Land, zu Wasser und in der Luft?? Das ist ja mal was ganz neues, dass die in irgendeiner Form künstlich per Abschuss oder Fischerei dezimiert werden müssten.

  2. 40.

    Nur zwei Beispieel:

    "...Hamburgs Umweltbehörde gibt mittlerweile Verhaltenstipps ...."
    https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Erneut-Woelfe-am-Hamburger-Stadtrand-gesichtet,wolf4778.html

    "Wolf kommt jede Nacht ins Dorf"
    https://www.kreiszeitung.de/stories/wolf-kommt-jede-nacht-ins-dorf-behoerde-bewohner-sollen-doch-froh-sein-91691948.html

  3. 39.

    Sie sind hervorragend in der Theorie, tatsächlich, aber das reicht hier leider nicht aus. Der Schäfer kennt die Praxis.
    Sie verwehren sich selbst die Realität außerhalb Ihrer subjektiven Sicht. Tunnelblick nennt man das wohl.

  4. 38.

    Genau, die bösen streunenden Hunde sind Schuld. Warum ist da nur keiner drauf gekommen, wie gut, dass Sie uns aufklären.

  5. 37.

    Der doo.. Schäfer weiß das alles nicht, wie gut, dass Sie ihm das erklären können, was der doo.. Schäfer alles falsch macht, ohne das Sie je Kontakt zu Schaf und Wolf gehabt haben. Da stellen sich ja die Nackenhaare hoch, bei dieser Engstirnigkeit und Einseitigkeit der Diskussion.
    Sie machen die Schäfer und Landwirte dafür verantwortlich, dass die zu große Population der Wölfe zu einem Ungleichgewicht ausartet? Geht’s noch?
    Ich kann nicht glauben, dass das noch etwas mit dem Wolf zu tun hat. Da geht es um Rechthaberei zulasten der Schäfer, da kämpft man gegen Windmühlen.

  6. 36.

    Ich lebe im Speckgürtel, indem noch zu Lebzeiten auch Landwirtschaft betrieben wurde und bin aber seit meiner Kindheit auch viel im "ländlichen". Sie dürften auch bemerkt haben, dass wir hier um Erkner eine wunderschöne Naturlandschaft mit viel Wald und Seen haben. Habe auch als Kind Grimms Märchen gelesen, konnte aber von alledem in der Realität wenig endecken. Weder ist der Fuchs listig noch der Wolf böse und Rotkäppchens Großmutter in Gestalt des Wolfs ist mir auch nicht über den Weg gelaufen.
    Im Gegenteil, von allen Bewohnern der "Naturlandschaft" blieb mir bisher der flächendeckend blutrünstig mordende Wolf verborgen. Allerdings laufen mir im Speckgürtel viele umherschei..ende nicht angeleinte Hunde der größeren Bauart ständig über den Weg. Bei hinreichender Entfernung kann man diese Vierbeiner auch für alles mögliche halten, wenn man mal vom untypischen Sozialverhalten gegenüber dem Wolf absieht.

  7. 35.

    Erstens ist es nicht so, dass wir Menschen ständig und flächendeckend durch Schaf-, Ziegen-, Pferd-, Rinder- oder was auch immer domestizierte Herden laufen. Das ist ja nun die absolute Ausnahme, wo der Hirte oder was auch immer selbst vor Ort sein muss!
    Zweitens müssen es nicht Kangals sein (denn Bären streifen meines Wissens nicht durch deutsche Lande) und sie werden auch in Deutschland bei min. zwei mir bekannten publizierten Schafsherden längst erfolgreich als Herdenschutz eingesetzt. Hängt wahrscheinlich wieder mal vom Bundesland ab.
    Und drittens, ja vernünftiger Herdenschutz mit Hunden muss in der Herde aufgebaut werden. Genauso wie der Hütehund ja auch. Das ist richtig, aber wenn man damit nicht anfängt, sondern nur nach Abschuss schreit, wird sich nichts ändern. Im Übrigen müssen die Wolfsrudel sehr stark dezimiert werden, dass sie vollständig ihre ökologische Funktion verlieren, diese Art der Wölfe können sie dann im Zoo oder Tierpark bestaunen.

  8. 34.

    Leider kann man hier keine Videos teilen. Aber kommen Sie mal aus ihrer städtischen Blase heraus und verbringen mal Zeit in den ländlichen Regionen. Wir müssen hier mit den Wölfen leben. Aber das ist wohl ein grundsätzlicher Konflikt zwischen Stadt- und Landbevölkerung und deren konträrer Lebenseinstellung

  9. 33.

    Meines Wissens haben Länder mit wesentlich mehr Scharfen zB. Ungarn schon immer mit dem Wolf gelebt.
    Nur im Land der schwarz Seher soll es wieder nicht gehen.

  10. 32.

    Die Jahrhunderte langen Waldrodungen nahmen erst nach dem Dreißigjährigen Krieg Fahrt auf, als sich die bisherigen Wohnstätten, ganze Dörfer und Städte in Wüstungen verwandelt hatten und natürlich auch Wald abgebrannt war. Da kam nicht der LKW mit dem in 48 Stunden aufgebauten Fertighaus. Die Menschen fingen wieder bei Null an, brsuchtrn nicht nur vor Witterung schützende Häuser, sondern auch Schutz vor Raubtieren. Wir können darüber philosophieren, warum woanders nur 8 Männer pro Schiff ganz dringend mehrere tonnenschwere Wale fingen, wo vielleicht auch einer genügt hätte. Wenn der Mensch erkennt, dass Glücksspiel ihm meist mehr kostet, als es einbringt, kann ihm geholfen werden. Künftig.

  11. 31.

    Problemlos? Spaziergänger bekommen Schnappatmung. Der liebe Fifi von Otto (gern auch Ottilie) Normalo will ja bloß spielen. Für ein Nachtlager in Deutschlands weitläufigen Naturlandschaften inkl. Nachtpferch benötigen sie schon fast eine komplette Roadcrew. Man stelle sich vor - ohne Pferch und der morgendliche Jogger/Biker quer durch die Herde - das mediale Geschrei, von dem des Gefahrensuchers mal abgesehen, wird enorm. Betroffen sind ja nicht "nur" Schafe und Ziegen, auch Gatterwild, Kühe, Pferde. Wir leben hier in einem dicht besiedelten Land, nicht in einer weitläufigen Steppe und von den vielen wundervollen Herdenschutzhunden sind nur zwei Rassen zugelassen, der Kangal ist es nicht. Ausgebildte HSH fallen nicht vom Himmel und im Tierheim gibts die auch nicht. Kommen sie in der Realität an. Ein wirksamer Schutz ist nur durch einen ausgewogenen, lageangepassten Mix aus allen Möglichkeiten machbar. Wenn dazu die "Entnahme" von Wölfen in Herdennähe gehörte, wäre das Ok.

  12. 30.

    Der verantwortungsvolle Schäfer stellt womöglich auch Hinweisschilder auf. Was absolut keine Pflicht ist. Seine Aufgabe ist den Schutz der Herde zu gewährleisten. Mit oder ohne Beschilderung. Auch mit Herdenschutzhunden.
    Einerseits könnten Hinweise (bezogen auf Ihr Beispiel)womöglich hilfreich sein, andererseits möchten Sie den Schäfer damit nicht zusätzlich belasten. Was nun?

    Ein belegbares Beispiel dafür, dass der Wolf „keine Scheu mehr vor Siedlungen und Menschen“ hat, können Sie sicherlich benennen.





  13. 28.

    Ich befürchte, Sie verrennen sich da in eine fixe Idee. Herdenschutzhunde mögen ein einigen Fällen die Lösung sein. Es handelt sich aber leider um durchaus nicht ungefährliche Tiere, die in unserer dicht besiedelten Landschaft nicht uneingeschränkt verwendbar sind. Es bedarf eines Bündels von Maßnahme, von denen der Herdenschutzhund nur ein Aspekt sein kann.

  14. 27.

    Natürlich lösen Herdenschutzhunde und nur Herdenschutzhunde das Problem. Mit Herdenschutzhunden können sie mit ihrem Nutzvieh problemlos durch Naturlandschaften ziehen und weiden.

  15. 26.

    Es fordert doch niemand die Ausrottung des Wolfs. Eine maßvolle Regulierung der Bestände sollte im Interesse einer Koexistenz von Weideviehhaltung und angemessener Wolfspopulationen aber durchaus möglich sein

  16. 25.

    Was ist denn das Ergebnis dieser massiven Jahrhunderte langen Waldrodungen, Bejagungen und regionalen Ausrottung sämtlicher Raubtiere?
    Kaputte und immer weiter degenerierende völlig instabile Habitate. Wieviele der einst heimischen Tierarten (auch Vögel) haben denn dieses Schauspiel überlebt?
    Glücklicherweise setzte in den letzten Jahrzehnten, wenn auch langsam, politisch endlich ein Umdenken ein. Anstatt nun vernünftigen Herdenschutz zu betreiben, fordert der Osterlamm-Züchter lieber den kompletten Abschuss und die Ausrottung des Wolfs und nimmt dabei lieber die weitere Zerstörung unserer Ökosysteme in Kauf.

  17. 24.

    Das war ja vor dem Kaiser ;-) Ist eben eine andere Generation. Die ist nicht nachts mit den Hütehunden draußen, sondern sieht sich im Warmen 'Der mit dem Wolf tanzt' an und will wie auch die Bauren und die anderen FREIEN Unternehmer Gewinne privatisieren, Kosten sozialisieren. Ach ja 358 VERMUTLICHE Wolfsattacken, bei dem Wolf den es diesmal erwischt hat, war es definitiv wieder ein Auto. Der eine zu schnell, der andere hat nicht den Zebrastreifen in der bald zu fällenden Allee genutzt, welche fällig ist ob Auto und freier Schußbahn

  18. 23.

    Ja, ja, diese Liebe, um die Lämmer zu fressen, und die meisten frisst der Mensch. Immer der selbe Unsinn. Wir sind das Problem, immer und überall. Die Menschen

  19. 22.

    Wir können nicht wegen wegen einem Tier die ganze Landschaft mit Schutzzäunen zubauen und unter Strom setzen. Diese sind weitere Gefahrenquellen für andere auch besonders schützenswerte Tierarten. Auch Herdenschutzhunde werden per se die Probleme nicht lösen. Wir brauchen einen pragmatischen Umgang mit dem Wolf, genauso wie wir es mit anderen Neubürgern (Waschbär, Nandus, Enoks etc.) handhaben. Vor allem muss die Lösungsfindung losgelöst sein, von Wünschen und Träumen grüner NGO‘s und urbanen Hobbybiologen.

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