Wohnungsnot in Berlin - Wenn selbst der Wohnberechtigungsschein nicht hilft

Mi 07.02.24 | 10:58 Uhr | Von Birgit Raddatz
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Archivbild: Sozialbauten am Mehringplatz in Kreuzberg in Berlin. ( Quelle:Picture Alliance / Schoening)
Audio: rbb24 Inforadio | 07.02.2024 | Birgit Raddatz | Bild: Picture Alliance / Schoening

Eine Wohnung mit fairer Miete in Berlin zu finden, ist fast unmöglich - besonders für Suchende mit wenig Geld. Dafür gibt es eigentlich den WBS. Den könnten über eine Million Menschen in Anspruch nehmen - doch Sozialwohnungen fehlen. Von Birgit Raddatz

Sandra Bierings Wohnung in Berlin-Buch ist gemütlich eingerichtet. Zwei Kinderzimmer, ein Wohnzimmer, eine kleine Küche und ein Bad. Hier lebt sie schon seit zwölf Jahren mit ihren zwei Kindern und ihrer Katze. Aber schon seit mehreren Jahren braucht sie eine größere Bleibe - 60 Quadratmeter misst ihre aktuelle Wohnung nur. "Meine Vorstellung wären 80 Quadratmeter und mindestens vier Zimmer", sagt die 34-Jährige. Denn bald kommt ihr drittes Kind zur Welt, ihre Tochter hat unter anderem Autismus. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) drängt ebenfalls darauf, dass sie umzieht, weil die Wohnung für ein autistisches Kind zu klein sei.

Aber Sandra Biering findet im Umkreis der Schule ihrer Tochter keine bezahlbare Wohnung. Dabei hat sie einen Wohnberechtigungsschein (WBS) mit besonderem Wohnbedarf. Derzeit kostet ihre Wohnung rund 650 Euro, bis 1.000 Euro dürfte die neue maximal teuer sein. "Ich bin sogar bereit, die neue Wohnung erst zu renovieren, wenn es sein muss."

Höhere Einkommensgrenzen seit vergangenem Jahr

Beim Berliner Mieterverein ist das Problem bekannt. Eigentlich sei der WBS dafür da, dass Menschen mit geringem Einkommen sich auf mietpreisgebundene Wohnungen bewerben können, sagt Geschäftsführerin Ulrike Hamann-Onnertz. Doch im vergangenen Jahr hat der Berliner Senat die Einkommensgrenzen nach oben korrigiert.

Ein Zweipersonen-Haushalt darf im Jahr nun maximal 39.600 Euro netto verdienen, um eine vergünstigte Wohnung zu erhalten. Für eine einzelne Person liegt die Grenze bei maximal 26.400 Euro netto. Hamann-Onnertz hält das Vorgehen des Senats für "fahrlässig", wie sie sagt: "Wir sind dafür, dass man bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften auch die Mittelschicht versorgt. Aber wenn man das tut, dann sollte man auch die Prozente ausweiten.“

Derzeit werden etwas mehr als 60 Prozent der Wohnungen bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften an Menschen mit WBS vermietet. Hamann-Onnertz plädiert dafür, dass es mindestens 75 Prozent sein sollten. Dann könnten auch verschiedene Stufen für die WBS-Grenzen gesetzt werden, so die Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins. "Stattdessen hat man quasi das Kontingent gleich gelassen, aber die Zahl der Berechtigten erhöht."

Gaebler verteidigt höhere Einkommensgrenzen für WBS-Berechtigte

Der Berliner Stadtentwicklungsenator Christian Gaebler (SPD) verspricht, die große Lücke zwischen der Zahl an Menschen mit WBS und den dafür angebotenen Wohnungen zu verringern. Dies geschehe, indem durch die Wohnungsbaugesellschaften mit Landesbeteiligung "über den tatsächlich geförderten Bestand hinaus eine deutlich größere Zahl an Sozialwohnungen bereit" gestellt werde, sagte Gaebler am Mittwoch im rbb.

Der Senator verteidigte die Heraufsetzung der Einkommensgrenzen für einen WBS und die damit steigende Zahl der Anspruchsberechtigten, denn schließlich "steigen die Löhne", so Gaebler. Vielen Leuten wären sonst beide Wege verwehrt - die Suche auf dem für sie unerschwinglich teuren Wohnungsmarkt und die Suche nach Wohnungen für Menschen mit Wohnberechtigungsschein.

Zwar sei aktuell die Zahl der Anspruchsberechtigten gestiegen, so Gaebler, doch im Mehrjahresvergleich sei man nun bei der Zahl von vor fünf Jahren, ergänzte Gaebler.

Nur noch knapp 90.000 Sozialwohnungen

Offenbar entscheiden sich Vermietende nicht für Menschen wie Sandra Biering. Nach Wohnungsbesichtigungen werde sie gar nicht erst zurückgerufen, sagt sie. "Ich denke, die Vermieter nehmen dann lieber das Doppelverdiener-Pärchen mit WBS als die dreifache Mutter."

Ein zweites Problem, das hinlänglich bekannt ist: In Berlin gibt es immer weniger mietpreisgebundene Sozialwohnungen. Laut der zuständigen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen gab es Stand Ende vergangenen Jahres noch 90.654 Sozialwohnungen. Und der Anteil sinkt, da für viele Wohnungen die Bindungen auslaufen und dann auf dem freien Markt angeboten werden können.

Dieser Mythos der sozialen Mischung wird oft angeführt, wenn es um Verdrängung geht und nicht dann, wenn man auf Gebiete schaut, wo Menschen wohnen, die viel Einkommen haben.

Ulrike Hamann-Onnertz, Berliner Mieterverein

Keine Kontrolle bei Fehlbelegung

Eine weitere Herausforderung: Wer einmal in eine mietpreisgebundene Wohnung eingezogen ist, muss in Berlin schon seit Anfang der 2000er Jahre nicht mehr nachweisen, dass er oder sie weiterhin berechtigt ist dort zu wohnen, selbst wenn das Einkommen steigt. Bis dahin zahlten Mieter, deren Einkommen über die WBS-Grenze gestiegen waren, eine Fehlbelegungsabgabe.

Mit der Abschaffung dieser Fehlbelegungsabgabe wollte Berlin einst eine soziale "Durchmischung" von Quartieren sicherstellen. "Dieser Mythos der sozialen Mischung wird oft angeführt, wenn es um Verdrängung geht und nicht dann, wenn man auf Gebiete schaut, wo Menschen wohnen, die viel Einkommen haben", kritisiert Hamann-Onnertz. Denn auch Menschen mit mittlerem Einkommen fänden in Berlin kaum noch Wohnungen, zögen demnach immer weg.

In diesem und im und kommenden Jahr betrifft das insgesamt noch einmal 28.000 Wohnungen, rechnet Ulrike Hamann-Onnertz vom Berliner Mieterverein vor. Der Verein würde sich wünschen, dass Bindungen verlängert werden könnten. "In der derzeitigen Lage, in der Neuvermietungen bei rund 19 Euro pro Quadratmeter liegen, glaube ich ehrlich gesagt wenig daran, dass private Eigentümer bereit sind, zu verlängern. Aber es gibt natürlich noch die Genossenschaften und die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften."

Fehlbelegungsabgabe wieder einführen?

Eine Fehlbelegungsabgabe wieder einzuführen, um die wenigen Sozialwohnungen an Menschen mit niedrigem Einkommen vermieten zu können, davon hält die Geschäftsführerin vom Berliner Mieterverein allerdings nur bedingt etwas: "Dann muss man natürlich überlegen, wohin geht denn diese Abgabe? Geht sie nur an den Vermieter, dann hat ja niemand etwas davon, denn es verpflichtet den Vermieter noch nicht, eine neue Wohnung zu bauen."

Sandra Biering jedenfalls hat die Hoffnung auf eine größere und bezahlbare Wohnung fast aufgegeben. Wenn ihr Kind geboren ist, wird sie es wohl erst einmal bei ihrem neuen Partner aufwachsen lassen. "Das kann ja eigentlich nicht sein, dass mein Kind deswegen von mir getrennt sein muss", sagt sie.

Sendung: rbb24 Inforadio, 07.02.24, 07:25 Uhr

Beitrag von Birgit Raddatz

39 Kommentare

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  1. 39.

    Und auch die umsiedeln, die in viel zu großen Wohnungen leben und natürlich diese bescheuerten Altverträge auf heutiges Mietniveau angleichen.
    Die Politik hat viel zu tun - den wenigen Wohnraum richtig verteilen und die Altmieten anheben(Mietgerechtigkeit)

  2. 38.

    Ich kenne viele WBS Haushalte welche bei der Anmietung ein geringes Einkommen hatten oder Kinder. Viele dieser Haushalte haben aber jetzt ein hohes Einkommen oder die Kinder sind aus dem Haus. Sie bleiben aber in den günstigen oder zu großen Wohnungen, vielleicht sollte man das angehen um neuen jungen Familien oder Einkommenschwachen mehr Chancen aufzuzeigen?

  3. 37.

    Willste schnorren und ne WBS Wohnung - dann auf nach Berlin - das ist ja bekannt, bis im letzten Winkel Deutschlands und der gesamten Welt.
    Dazu noch günstiger und überfüllter ÖPNV und Alles ein bisschen Schmuddelig.

  4. 35.

    Soll irgendwo gebaut werden- Wohnungsbau/preiswert oder teuer oder Infrastruktur oder Gewerbe/Industrie- wird doch sofort dagegen demonstriert oder eine Bürgerinitiative gegründet.
    Wenn viel zu wenig gebaut wird und der Zuzug seit Jahren hoch ist, wird es keinen preiswerten Wohnraum geben.
    Es müsste preiswert, schnell und unbürokratisch gebaut werden- aber in der Bundesrepublik, wohl unmöglich ?

  5. 34.

    Genau ! Das wäre auch nach meinem Geschmack. Ich freue mich schon zusammen mit Katrin Göring-Eckhardt und den Grünen auf die Vollendung dieser Vision. Lange kann es nicht mehr dauern. Die Weichen sind gestellt !

  6. 33.

    Gerecht wäre, wenn jeder Berliner und zukünftige Berliner, einen WBS bekommt - statt mehr als Eine Million Berechtigter, sind es dann 3,8 oder 4 Millionen Berechtigte.
    ,,Dann gibt es garantiert, mehr Sozialwohnungen, auch ohne Wohnungsbau,,
    Und dazu, garantiertes Grundeinkommen und kostenloser ÖPNV oder gleich Sozialhilfe für Alle.

  7. 32.

    Ich würde Sie auch nicht nehmen, mit negativer Schufa.
    Die Kosten, die Sie vielleicht verursachen, durch ungenügende Zahlungsmoral, ungenügende Ordnung/Sauberkeit, durch vielleicht Vorstrafen, etc., bleiben dann nämlich an der Allgemeinheit hängen.
    Eine Gesellschaft muss auch nach bestimmten Regeln und Grundsätzen handeln, sonst geht die Gesellschaft unter.
    Und Wohnungslosen, würde ich meine Wohnung und damit mein Eigentum, überhaupt nicht überlassen.

  8. 31.

    Ja - und zum Schluss, keine Kaufkraft mehr in den Innenstädten, Dank WBS und Bürgergeld.
    Wer es sich leisten kann macht die Mücke, ins Umland oder gleich nach Meck-Pomm

  9. 30.

    WBS ist für'n Arsch!.. besitze selbst einen und bin wohnungslos. Wenn man dann bei Baugenossenschaften was nehmen will, fällt man raus wegen negativer schufa.. Das nennt man sozial? Finde sowas kann man auch nicht gemeinnützig nennen.

  10. 29.

    WBS-Scheine, Wohnungsgenossenschaften, Bürgergeld, Sozialamt - am Ende bezahlt das Alles der Steuerzahler, der Arbeiten geht und für seine Miete und seinen Lebensunterhalt, selbst aufkommen muss.
    Der ,,Vater Staat,, macht Wahlgeschenke und der Fleißige Normalbürger, soll dafür die Zeche zahlen- indem Alles teurer wird - - Wer die Mieten Nicht selbst bezahlen kann, kann auch Nicht direkt in der Innenstadt von Berlin oder Potsdam leben - Bürgergeld-Empfänger und Geringverdiener wollen direkt in der Innenstadt leben und Arbeiter/Angestellte sollen weit weit pendeln ???

  11. 28.

    Wir als Familie mit 3 kleinen Kindern, sind vor wenigen Jahren ins Havelland gezogen - in Berlin war eine große Wohnung, nicht mehr bezahlbar/ oder Zig Interessenten.
    Mein Arbeitsweg mit der Bahn beträgt jetzt auch nur, ca. 30 Minuten - für Uns, war es eine sehr gute Entscheidung ins Umland zu ziehen, raus aus Berlin.

  12. 27.

    Eine Million Menschen leben schon im direkten Berliner Umland und auch außerhalb vom direkten Berliner Umland, gibt es viele größere und kleinere Städte und Kommunen - mit Regio Anschluss, mit Ärzten, mit Einkaufsmöglichkeiten - für Jeden, etwas dabei.
    Sind vor Jahren auch aus Berlin hinausgezogen/Beste Entscheidung, Viele Grüße.

  13. 26.

    Dann muss der Staat auch endlich selbst bauen und staatlich vermieten - will der Staat aber nicht - das Bauen sollen Private machen - und der Staat will nur reglementieren, verteuern und sein Beamtentum aufrechterhalten und noch vergrößern.
    Neue preiswerte Wohnungen wird es Nicht mehr geben - der Staat will Nicht mehr bauen und Private, haben so langsam die Schn... voll vom Bauen

  14. 25.

    Der Senat macht nix . Meine Tochter 80% schwer Behinderung WBS100 mit besonderen wohnbedarf sucht seit fast ein Jahr und findet nichts. Private wie landes eigene Vermieter . Bei der Wohnungsbesichtigung. 10 Person . Leider nie eine Chance. Man bekommt auch nie Rückmeldung das die Wohnung an jemanden anderen vermietet wurde. Man sollte die vermitung wieder in staatlich Hand nehmen

  15. 24.

    Wer hat denn das Bauen erst extrem verteuert durch horrende Auflagen?
    Die Bauwillgen,die Mieter oder.....
    Die Baustandards für einfaches wohnenwerden immer höher,muss das sein?
    Im Luxussegment kann man ja teuer und Feudalismus bauen, wenn man noch den Platz findet wie man will.
    Was wir brauchen sind schnell für den normalen Bürger bezahlbare grosse und kleine Wohnungen.

  16. 23.

    Der Artikel beschreibt gut ein Dilemma. Das Wohnen auf Kosten der Allgemeinheit, über Jahrzehnte, wird oft als ungerecht wahrgenommen. Weil das Prinzip „Brötchenpreise nach Einkommen“ jede Anstrengung für gute Einkommen letztendlich als nicht mehr lohnenswert erscheinen lässt. Wer soll sich anstrengen, wenn es auch ohne geht?
    Es gibt ein bewährtes Hilfsmittel für Solidarität: Das Wohngeld.
    Und die Politik ist der größte Kostentreiber beim Wohnungsbau. Politiker, die das preiswertere Bauen ermöglichen, habe gute Chancen...gewählt zu werden.

  17. 22.

    Warum wird der "Wohnberechtigungsschein" nicht ersatzlos gestrichen, wenn es keine "berechtigten Wohnungen" gibt?

  18. 21.

    Bei mir in Brandenburg gibt es sowohl Arbeit, als auch Arztpraxen und Einkaufsmöglichkeiten. Und alles auch noch zu Fuß erreichbar. Besuch kommt mit dem Regio oder mit dem Auto und stellt sich auf die vielen freien Parkplätze rund um das Haus. Was bin ich froh über meine Entscheidung vor Jahren aus Berlin wegzuziehen.

  19. 20.

    Ich glaube nicht, daß es am WBS liegt. Entweder zu viele vor Ihnen da oder da brauche ich nur in mein Umfeld rein lauschen und war sehr erstaunt.16 h Dauerkrach ja wir dürfen das und Mutti darf das Rund um die Uhr.Gibt da auch Menschen, die ziehen die Mucke so hoch , da versteht man in den eigenen 4 Wänden nichts mehr. Hatte Nachbarn vor der Tür zu trampeln , weil von mir müsste man das ja nicht. Aber ich soll?Hatte sich der eine Nachbar mal erlaubt zu sitzen. Den Rest fragst feiern Sie weiter?Würde zwar an Diskriminierung Grenzen. Aber das müsste man erst beweisen.

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