Hass gegenüber Jüdinnen und Juden - Wie sich Antisemitismus an Berliner Hochschulen zeigt

Di 28.11.23 | 11:41 Uhr
Hanna Veiler, (Prasidentin Jüdische Studierendenunion Deutschland, JSUD) spricht am 17.11.2023 auf der 2. Kundgebung von Fridays for Israel vor der Humboldt-Universität zu Berlin. (Quelle: Snapshot-Photography/T.Seeliger).
Snapshot-Photography/T.Seeliger
Video: rbb24 | 30.11.2023 | Material: rbb24 Abendschau | Bild: Snapshot-Photography/T.Seeliger

Seit dem 7. Oktober, also dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel, werden an Berliner Hochschulen vermehrt Israel-kritische und antisemitische Vorfälle gemeldet. Ein jüdischer Studierender schildert seine Emotionen. Von Wolf Siebert

Für den Berliner Studenten Lior Steiner sind Israel-Kritik und Antisemitismus keine abstrakten Phänomene, über die man lediglich politisch oder wissenschaftlich diskutieren kann. Der 18-jährige jüdische Student an der Freien Universität Berlin (FU) fühlt sich seit dem 7. Oktober, dem Tag des Terrorangriffs der Hamas auf Israel, emotional verletzt: Äußerungen im Erstsemester-Chat und hasserfüllte Parolen bei einer Demo auf dem FU-Gelände haben ihn traurig, aber auch wütend gemacht: "Mich verletzen Aussagen, die Israel das Existenzrecht absprechen, die den Terroranschlag verteidigen oder billigend in Kauf nehmen durch eine angebliche Besatzung der palästinensischen Gebiete seit fünfundsiebzig Jahren.“

Mich verletzen Aussagen, die Israel das Existenzrecht absprechen, die den Terroranschlag verteidigen oder billigend in Kauf nehmen durch eine angebliche Besatzung der palästinensischen Gebiete seit fünfundsiebzig Jahren.

Der Berliner Student Lior Steiner

Klarer Anstieg eindeutig antisemitischer Vorkommnisse

Hat die FU, haben Berlins Universitäten ein Antisemitismus-Problem? Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (Rias) sammelt entsprechende Vorfälle und gibt einmal im Jahr einen Bericht heraus. Die Antwort: Zwischen 2019 und Ende 2022 gab es im Hochschulbereich zehn antisemitische Vorfälle: persönliche Anfeindungen, antisemitische Schmierereien oder Aufkleber.

Zwischen dem 7. Oktober - dem Tag des Terrorangriffs - und dem 9. November hat es demnach bereits acht eindeutig antisemitische Vorkommnisse gegeben: überwiegens Posts in Studierenden-Chat-Gruppen oder auf der Social Media-Seite der FU. Inhaltlich werde das Existenzrecht Israels in Frage gestellt, heißt es von der Rias. Israel werde dämonisiert oder das Handeln der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern mit der Verfolgung und Vernichtung der Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus gleichgesetzt. Zudem lägen weitere Meldungen vor, bei denen die RIAS erst klären müsse, ob es sich um antisemitische Äußerungen handle.

Was ist antisemitisch?

2019 haben hat die deutsche Hochschulrektorenkonferenz eine eindeutige Erklärung gegen Antisemitismus abgegeben: "An deutschen Hochschulen ist kein Platz für Antisemitismus." Damit reagierten Hochschulen auf den Mordanschlag auf die Synagoge in Halle. Die Erklärung [hrk.de] war auch als Aufforderung an alle Hochschulen zu verstehen, sich hier zu engagieren.

Die Hochschulleitungen legten damals die Antisemitismus-Definition der Holocaust Remembrance Alliance [holocaustremembrance.com] zugrunde. Die Allianz, der auch Deutschland angehört, wurde gegründet, um die Aufklärung und Erforschung des Holocausts und die Erinnerung an ihn weltweit zu fördern: "Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen."

Die Allianz nennt auch Beispiele für Antisemitismus aus dem gesellschaftlichen Alltag, darunter:

  • der Aufruf zur Tötung oder Schädigung von Juden im Namen einer radikalen Ideologie
  • falsche, entmenschlichende, dämonisierende oder stereotype Anschuldigungen gegen Jüdinnen und Juden als Kollektiv
  • das Bestreiten der Tatsache oder des Ausmaßes des Holocausts
  • die Aberkennung des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, auch die Selbstbestimmung, in einem eigenen Staat zu leben
  • Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik der Nationalsozialisten

Rias prüft auch den Kontext von Äußerungen

Rias nun prüft in jedem Einzelfall, ob es sich um Antisemitismus handelt. So komme es "bei einer Äußerung in einer Chat-Gruppe darauf an, auf welchen Gesprächskontext sich diese bezieht und an wen eine Nachricht adressiert ist", erklärte Rias rbb|24.

Es geht also immer um den Kontext. So sei bei einer Schmiererei oder einem Schriftzug im öffentlichen Raum nicht nur der Inhalt ausschlaggebend. Es könne auch eine Rolle spielen, wo dieser Vorfall stattgefunden habe. "Rias Berlin unterscheidet auch zwischen Kritik an Israel, die mit der Kritik an anderen Staaten vergleichbar ist, und solcher, die wir als antisemitisch einordnen."

Antijüdische Äußerungen aus dem linken Spektrum

Lior Steiner hat an der FU auch antijüdische Äußerungen aus dem linken Spektrum erlebt: "Mich empören auch Äußerungen, die das Judentum als internationales Judentum darstellen, als Kapitalisten, und das kommt ziemlich stark von der linken Seite."

Eine ähnliche Erfahrung hat Henri Armke schon 2019 gemacht. Armke studierte an der Humboldt Universität Berlin. In einer inoffiziellen Whatsapp-Lerngruppe von Biologiestudenten wurden antisemitische Äußerungen gepostet. Man machte sich über Anne Frank lustig und zeigte Hitler-Bilder. Da dies ohne Konsequenzen blieb, beschloss das Studentenparlament, eine Beratungsstelle für Fälle von Antisemitismus einzurichten.

Am Ende aber verlief die Idee im Sande, denn es fehlte die Unterstützung durch das linke Lager, sagt Henri Armke, der zu dieser Zeit an der Humboldt-Universität in der antifaschistischen Arbeit engagiert war: "Die progressive Linke macht zwar antirassistische Arbeit, aber sie betreibt auch eine strenge Hierarchisierung von Diskriminierung. Das führt dazu, dass in ihren Theorien der Antisemitismus als Diskriminierung fehlt, weil Juden nach dieser Weltsicht weiß, privilegiert und überlegen sind. Und deshalb drehen einige aus dem linken Milieu gerade jetzt bei dem Thema völlig durch." Bei strafrechtlich relevanten Vorfällen und einer Strafanzeige sollten die Täter auch exmatrikuliert werden, so Armke.

Was tun Berlins Hochschulen?

Anfang November sprachen sich dann Berlins Hochschulleitungen gemeinsam gegen Antisemitismus aus und gegen jegliche andere Form von Diskriminierung aufgrund der Nationalität und ethnischen Zugehörigkeit, der Religion und der Weltanschauung. Das schließt auch die Diskriminierung von Muslimen und palästinensischen Studenten ein, wie es hieß. Ein Balanceakt der Universitäten also in einer Phase der hochemotionalen Auseinandersetzung unter vielen Studenten.

Und was tun die Hochschulen konkret?

rbb|24 hat bei sechs Berliner Hochschulen nachgefragt, was sie nun konkret tun, um den Appell der Hochschulrektorenkonferenz gegen Antisemitismus von 2019 mit Leben zu erfüllen. Einige siedelten das Thema Antisemitismus unter dem Dach einer "Antidiskriminierungsbeauftragten" oder einer entsprechenden Kommission an. Es werden Kurse und Workshops zum Thema "Antidiskriminierung" angeboten, seltener zu "Antisemitismus", hieß es.

  • Die Berliner Hochschule für Technik beschloss 2021 nach einem intensiven Aufarbeitungsprozess ihren Namen zu ändern, denn der alte Namenspatron Christian Peter Wilhelm Beuth war als Antisemit untragbar geworden
  • Die Hochschule für Wirtschaft und Recht gab sich im vergangenen Februar eine Satzung, in der Diversität und der Schutz vor Diskriminierung verankert sind und antisemitische Zuschreibungen ausdrücklich erwähnt werden
  • Die Humboldt-Universität erklärte, ein Antidiskriminierungs- und Diversitätsbüro aufzubauen und kündigte an, dass "die Ausschreibungen dafür demnächst" erfolgten
  • Und die Freie Universität teilte mit, in Kürze einen Antisemitismusbeaufragten einsetzen zu wollen. Bei zwei aktuellen, mutmaßlich antisemitischen Vorfällen habe sie Strafanzeige gestellt

Richtige Schritte, sagt FU-Student Lior Steiner, aber sie hätten früher kommen müssen, und nicht erst nach Protesten jüdischer Studenten. Er hätte sich auch gewünscht, dass die Universitätsleitung im digitalen Bereich energisch durchgegriffen hätte: "Die Instagram- und Twitter-Kanäle der FU haben normalerweise 20 oder 30 Kommentare, nach dem 7. Oktober waren es 600 bis 700. Obwohl die FU ein Social Media-Team hat, hätte das zumindest in den Kommentaren aufklären müssen, wenn es sich um Falschinformationen gehandelt hat, das verstehe ich nicht."

Sendung: rbb24 Abendschau, 28.11.2023, 19:30 Uhr

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