Der Frust des Berliner Polizeibeauftragten - Wenn’s wirklich wichtig wird, ist er außen vor

Mi 10.05.23 | 18:45 Uhr | Von Boris Hermel und Sabine Müller
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Polizeibeauftragter Alexander Oerke. (Foto: rbb)
Video: rbb24 | 10.05.2023 | Material: rbb24 Abendschau | Bild: rbb

Alexander Oerke ist seit August 2022 Bürger- und Polizeibeauftragter. Er kümmert sich um Beschwerden gegen Behörden und Polizei. Sein Fazit nach den ersten Monaten: Bei schweren Fällen bekommt er nicht die Infos, die er braucht. Von B. Hermel und S. Müller

Als der Verwaltungsrichter Alexander Oerke im vergangenen Jahr sein Amt als Berliner Bürger- und Polizeibeauftragter antrat, erklärte er in einem "taz"-Interview, ihm sei bewusst, wie groß die Erwartungen seien. Zu belasten schien ihn das nicht, im Gegenteil: "Ich begrüße das", sagte er selbstbewusst. Nun, gut neun Monate später, stellt Oerke im Abgeordnetenhaus am Donnerstagmittag seinen ersten Tätigkeitsbericht offiziell vor. Im rbb-Interview klingt Ernüchterung durch, wenn er klagt, dass er sich Sorgen mache, "weil ich dieser Aufgabe natürlich gerne so nachkommen möchte, wie sich der Gesetzgeber dies gedacht hat". Das ist seiner Meinung nach aber längst nicht immer gewährleistet. Vor allem dann, wenn es um Beschwerden gegen die Polizei bei schweren Vorfällen geht.

Tod nach Polizeieinsatz

Einer dieser "schweren Vorfälle" ist im vergangenen Herbst groß durch die Presse gegangen: Am 14. September 2022 endete ein Polizeieinsatz in Spandau tödlich. Der 64-jährige Medard Mutombo sollte aus seinem Wohnheim in ein psychiatrisches Krankenhaus verlegt werden. Der gebürtige Kongolese litt an Schizophrenie. Im Lauf des Einsatzes kollabierte er und fiel ins Koma. Drei Wochen später verstarb Medard Mutombo im Krankenhaus.

Was genau bei dem Einsatz geschah, als er Widerstand leistete, ob die eingesetzte Polizeikräfte ihm beim Anlegen von Handfesseln die Luft abgedrückt haben, ist seitdem Anlass für viele Spekulationen.

Der Bruder des Verstorbenen, Mutombo Mansamba, der seit mehr als vierzig Jahren in Berlin lebt, verlässt sich auf das, was ihm der gesetzliche Betreuer erzählte, der beim Einsatz im Wohnheim dabei war. "Er sagte, mein Bruder hat Blut gespuckt und ein stämmiger Polizist hatte sein Knie auf seinen Hals gedrückt", so Mansamba. "Die haben ihn regelrecht schwer verletzt. Und dadurch ist er gestorben."

Die Staatsanwaltschaft, die nach einer Anzeige Mansambas Ermittlungen aufnahm, kommt zu einem ganz anderen Schluss: Sie stellte das Verfahren vor kurzem ein, weil es keine Anhaltspunkte für ein Verschulden der eingesetzten Polizeibediensteten gebe. Die Einstellung empört Mutombo Mansamba. Allein die Tatsache, dass gegen Unbekannt ermittelt wurde, obwohl die anwesenden Polizisten doch namentlich bekannt sein müssten, macht ihn wütend: "Ich hatte an unsere Justiz geglaubt. Ich war naiv!"

Kein Zugriff auf Ermittlungsakten

Mansamba hat sich als Beschwerdeführer auch direkt an den Polizeibeauftragten Alexander Oerke gewandt. Der startete eigene Ermittlungen – und stieß schnell an Grenzen. Das Problem: Sobald ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren läuft, ist ihm jede Akteneinsicht verwehrt. Die Strafprozessordnung – also Bundesrecht - sieht die Instanz des Polizeibeauftragten nämlich gar nicht vor. "Das schränkt mich natürlich total ein, weil mir der schnelle Zugriff auf diese Unterlagen fehlt", beklagt Alexander Oerke.

So komme er an wichtige Informationen wie Zeugenaussagen, Obduktionsberichte, Einsatzberichte der Polizei gar nicht heran. "Die eigenen Ermittlungen sind dadurch ziemlich behindert", sagt der Beauftragte. "Und das betrifft leider genau die schweren Fälle, bei denen es um strafrechtlich relevante Vorgänge geht."

Im Fall des verstorbenen Medard Mutombo hätte Oerke gern gewusst, warum der Bruder bei dem Einsatz im Wohnheim nicht hingezogen wurde. Mit seiner emotionalen Nähe hätte er deeskalierend wirken können. Möglicherweise, so Oerke, "wäre der Todesfall dadurch zu verhindern gewesen. Das ist eine Frage, die sich mir geradezu aufdrängt."

Ebenso würde der Polizeibeauftragte gern prüfen, welche Polizeikräfte zu dem Einsatz im Wohnheim geschickt wurden. Seien das Beamte gewesen, die besonders geschult sind im Umgang mit psychisch auffälligen Menschen? "Wenn ich die komplette Ermittlungsakte hätte, könnte ich mich auf die noch unklaren Punke richten und da weiter ermitteln", sagt Alexander Oerke. Doch an diese Akte kommt er nicht heran.

Notwendige Kompetenzen oder sinnlose "Superinstanz"?

Die Berliner Politik reagiert sehr unterschiedlich auf Oerkes Klagen. Bei der Linkspartei, die sich sehr für den Posten des Polizeibeauftragten stark gemacht hatte, trifft die Kritik auf offene Ohren. Niklas Schrader, der innenpolitische Sprecher der Fraktion, fände es richtig, wenn die Kompetenzen des in der rot-grün-roten Regierungszeit einführten Bürger- und Polizeibeauftragten weiterentwickelt würden. Den Hebel dafür sieht Schrader allerdings nicht in der Berliner Landespolitik: "Wirklich lösen kann man das endgültig nur auf Bundesebene, weil man die Strafprozessordnung ändern müsste und dort eine solche Stelle explizit verankern müsste, damit derjenige dann - ähnlich wie eine Staatsanwaltschaft, ermitteln kann und entsprechende Rechte bekommt."

Klare Ablehnung kommt dagegen aus der Regierungspartei CDU. Deren innenpolitischer Sprecher Burkard Dregger hält nichts davon, den Polizeibeauftragten mit Akteneinsicht und Ermittlungsrechten auszustatten, wenn es um schwerwiegende Fälle geht: "Wenn sie von der Justiz bearbeitet werden, sind sie dort in besten Händen. Die Justiz hat in unserer Gewaltenteilung die Aufgabe, exekutives Verhalten auf Rechtsbruch zu untersuchen. Dann brauchen wir keinen Polizeibeauftragten, der sich zur Superinstanz über die Justiz aufschwingt."

Lobbyarbeit und eigene Ermittlungen

Alexander Oerke versichert, er habe keinerlei Interesse daran, eine "Superinstanz" zu sein und habe nicht vor, Justizentscheidungen anzuzweifeln. Er wolle nur seinen Job anständig machen können.

Gemeinsam mit Polizeibeauftragten aus den sieben anderen Bundesländern, in denen es diesen Posten ebenfalls gibt, betreibt er nun Lobbyarbeit im Bundestag, um die Strafprozessordnung entsprechend zu ändern. Dort ist die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP gerade dabei, auch auf Bundesebene einen Polizeibeauftragten zu schaffen, der die Arbeit von Bundespolizei, Bundeskriminalamt, Zoll und Bundestagspolizei unabhängig überwachen soll.

Was den Fall Medard Mutombo angeht, muss Oerke auch weiterhin versuchen, ohne die Ermittlungsakte inhaltlich voranzukommen. Denn auch nachdem das Verfahren eingestellt wurde, darf er diese Akte nicht einsehen.

Sendung: rbb24 Abendschau, 10.05.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Boris Hermel und Sabine Müller

20 Kommentare

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  1. 20.

    Sie wissen nicht einmal im Ansatz worüber Sie reden. Oder denunzieren absichtsvoll.
    Was muss passiert sein, bezichtigt man jemanden dunkel-dräuend irgendwas mit wieder errichteter DDR-Diktatur.

    - weil eine polizeiunabhängige Beschwerde- und Ermittlungsbehörde nach britischem (!) Vorbild gefordert wird.
    Eine Forderung die übrigens auch in der EU an deutsche Regierungen gestellt wird. Deutschland erfüllt hier schlicht die rechtsstaatlichen Standards nicht.

    Aber Sie können natürlich weiter über "DDR" schwadronieren. Bürgerechte als "Misstrauensvotum gegen die Polizei" denunzieren.
    Kein Ahnung weshalb Ihnen wichtig ist, dass die Polizei nicht geschützt wird. Das ist nämlich die Mehrheit, die ihren Dienst ordentlich versieht. Die müssen sich aber strukturell und tatsächlich immer vor Kolleginnen und Kollegen stellen, die Solidarität, Verfolgungs- und Straffreiheit für ihr Fehlverhalten einfordern.

  2. 19.

    Soll also heißen, nich schlimm wenn Polizisten Menschen zusammenschlagen, die nichts getan haben ?
    Was stimmt denn mit ihnen nicht ?

  3. 18.

    ER sollte mal einen 6- monate lehrgang in einer einsatzhundertschaft innerhalb einer schwerpunktdirektion mitmachen, sich bespucken, beleidigen und sogar körperlich attackieren lassen....dann kann er mitreden und nicht aus dem schreibtisch entscheiden und irgendwelche theorien verallgemeinern

  4. 17.

    Absolut korrekt! Frau "Martina" scheint mir nie richtig in der demokratischen westlichen Gesellschaft angekommen zu sein sondern verherrlicht permanent die DDR-Verhältnisse. Der Exekutive unterstellt sie fortdauern rassistische und antidemokratische Tendenzen und ignoriert dabei konsequent jegliche vorhandene Kontrollinstanzen, die sehr wohl effektiv arbeiten, nur nicht das von ihr gewünschte Ergebnis liefern. Danke, dass Sie diese medialen Fackeln und Mistgabeln hier benannt haben!

  5. 16.

    "Wenn’s wirklich wichtig wird, ist er außen vor"

    Die Überschrift sagt es doch bereits. Ein wohl überflüssiger Beauftragte.

  6. 15.

    Nein keine Verschwörung. Aber dagegen anzuschreiben, wenn auch nur in Ansätzen antidemokratische Züge, in Verbindung radikal extremistischen Ansichten im „DDR-Jargon“, immer wieder neu, bei den untauglichsten Ansätzen leicht zu erkennen, ist das Gebot der Stunde.

  7. 14.

    In einem anderen Artikel wurde beschrieben, dass die Einsatzkräfte vorher angefordert wurden. Die hatten also Zeit sich auf den Einsatz vorzubereiten. Es war kein Notfall.

  8. 13.

    Ihr Kommentar wirkt als wären Sie verwirrt und würden hinter allem eine Verschwörung anmuten.

    Ich bin auch für eine wirklich unabhängige Instanz. Die gibt es tatsächlich NICHT, wie von der Nutzerin beschrieben. Wer einmal unangenehm mit der Polizei zu tun hatte und sein Anliegen gehört haben möchte, mekrt schnell, dass es keine geeigneten Stellen gibt.

  9. 12.

    Ein besonders geschultes Personal oder ein Hinzurufen des möglicherweise deeskalierend wirkenden Bruders würde ich zunächst mal von dem Personal das in dieser Einrichtung arbeitet erwarten. Nicht von den herbeigerufen Einsatzkräften die möglichst schnell vorort sein sollen.

  10. 11.

    Wir haben bereits hoch demokratische unabhängige Stellen!
    Aber das Sie die Meinung vertreten, hier und andernorts auch, demokratische Institutionen durch abenteuerliche „Räte“ zu ersetzen, lässt nur einen Schluss zu: Eine „Ihnen genehme“ handvoll Leute bestimmt die Geschicke aller. Sie wissen wo das hinführt? Ja Sie geben sich noch nicht einmal die Mühe dies zu verbergen. Mit dem Segen der Redaktion.

  11. 10.

    "Ich frage mich auch immer, warum bei Problemen mit psychisch schwer kranken Menschen kein Fachpersonal eingesetzt wird."

    Das ist ein lange schon beschriebenes fachlich-handwerkliches Problem in der polizeilichen Alltagsarbeit. Und tatsächlich bis heute nicht durchgreifend gelöst. In der polizeilichen Alltagsarbeit trifft man sicherlich auch unvorhergesehen Menschen in psychischer Ausnahmesituation an.
    Weshalb aber selbst da, wo es vorher bekannt ist, offenbar häufig durchschnittlich ausgebildete Streifenpolizei eingesetzt wird - das ist ein fachlich-organisatorischer Mangel, an dem sicher etwas zu ändern wäre.
    Streifenpolizei müsste mindestens so ausgebildet sein, ihre eigene Überforderung in konkreter Situation zu erkennen. Bräuchte dann aber eine mobilisierbare "Task Force" die das Weitere, meist Aufwändige, Zeitintensive, Umsichtig-Deeskalatorische übernimmt.
    Unbeliebtes Thema. Kostet Geld.

  12. 9.

    Ein sehr guter Vorschlag!

    Ich frage mich auch immer, warum bei Problemen mit psychisch schwer kranken Menschen kein Fachpersonal eingesetzt wird. Wenn ich einen Herzinfarkt hätte, würde ich auch nicht wollen, dass mich ein Polizist behandelt, der keine Ahnung von Kardiologie hat.

  13. 8.

    In Dänemark gibt es seit 2012 eine sehr gut ausgestattete unabhängige Ermittlungsbehörde, die inzwischen sogar von der Polizei als vertauensfördernd geschätzt wird. Auch der BDI sah bereits Handlungsbedarf:
    "Vorgänge, die in vielerlei Hinsicht Gift für Deutschland sind, findet auch BDI-Chef Kempf. „Unternehmer berichten zum Beispiel von Absagen ausländischer Spitzenkräfte, deren persönliches Sicherheitsgefühl angesichts fremdenfeindlicher Übergriffe und des Zuspruchs für rechtsextremistische Parteien gelitten hat.“
    Ein Blick nach Dänemark
    Charlotte Storgaard ist die Chefin von Ermittler Raasted bei der Polizeibeschwerdebehörde in Aarhus. Anders als in Deutschland ist ihre Organisation bestens ausgestattet. Es gibt 34 Ermittler, das Jahresbudget beträgt 2,8 Millionen Euro bei gerade einmal rund 11.000 Polizisten"
    www.handelsblatt.com/politik/deutschland/report-das-beispiel-daenemark-zeigt-wie-polizisten-richtig-beaufsichtigt-werden/25923786.html

  14. 6.

    Genau. Niemand braucht einen Beschwerdeonkel bei der Polizei.

    Stattdessen muss - und das mahnen Sie doch bestimmt an "Volksbeobachter" -

    eine polizeiunabhängige Beschwerde- und Ermittlungsbehörde nach britischem Vorbild eingerichtet werden.
    Die übernimmt Ermittlungsarbeit, wo Polizei sonst nur gegen sich selbst ermitteln kann. Was natürlich in einem ordentlichen Rechtsstaat ein Unding ist.
    Die britische Behörde hat tatsächliche Ermittlungsrechte, führt die Akten und legt eine Beschwerde, Klage, ein Ermittlungsergebnis wenn nötig Staatsanwaltschaft und Gericht vor.
    Selbstverständlich auch - wie beim Vorbild - das weder Personal, noch oder gar die Leitung dieser Behörde aus den Reihen der Polizei rekrutiert wird. Oder hin und her wechseln.

  15. 5.

    Warum sollte er keine Befugnisse zur Akteneinsicht erhalten? Er ist ja gerade keine Superinstanz, die der judikativen Funktion der Staatsgewalt Konkurrenz machen soll.
    Eines ist aber auffällig: die Ampel hatte im September einen "Meeresbeauftragten der Bundesregierung" ernannt, der beim Bundesumweltministerium angesiedelt ist. Der ist aber eher Unterhändler der Bundesregierung bei Verhandlungen, kein Kontrolleur.
    Allerdings ist schon zu fragen, ob die Schaffung der Ämter dieser "Beauftragten" eher dem kommunikativen Selbstverständnis der jeweiligen Regierung dient, oder doch der Sache. Eines steht fest: einen Beauftragten ohne ausreichende Kompetenzen und Befugnisse, den braucht niemand.

  16. 4.

    Wenn der Bürgerbeauftragte keine Aktenein-mischt erhält könnte auch die Berlinische Polizeipolitische Staatschutz ermitteln ? Diese arbeitslose Abteilung scheint sich zur Inlandsaufklärung zu entwickeln !

  17. 3.

    Dieser Posten ist so überflüssig wie ein Kropf.
    Reine Steuergeldverschwendung.
    Bitte sofort abschaffen.

  18. 2.

    Gab es überhauptg schon mal Fälle, wo diese Superinstanz erfolgreich gegen Verstöße und Strataten von Polizisten ermitteln könnte? Oder wird das generell intern alles abgebügelt? Wäre dann nicht ganz rechtstaatskonform.

  19. 1.

    Der "Bürger- und Polizeibeauftragte" sollte sein Amt zur Verfügung stellen. Es war nur eine ungelenkte Erfindung des abgewählten RRG Senats und eine politische Beruhigungspille für deren Anhängerschaft. Natürlich können nicht parallel Stellen "ermitteln" Das ist doch logisch. Wo sollte das denn hinführen? Die Abschaffung dieses Amtes müßte auf der Agenda des neuen Senats an oberer Stelle stehen.

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