Wenig fertiggestellte Radwege - Changing Cities sieht Verkehrswende in Berlin "abgewürgt"

Di 30.01.24 | 16:48 Uhr
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Radweg samt Baustelle in Berlin (Quelle: dpa/Caro)
Video: rbb24 Abendschau | 30.01.2024 | Nachrichten | Bild: dpa/Caro

Nur ein Drittel der geplanten Radwege fertiggestellt, Einbußen bei der Sicherheit: Der Verein Changing Cities sieht die Verkehrswende "geschreinert". Senatorin Schreiner wiederum gibt zu: Die Ausbauziele bis 2030 werden nicht erreicht. Von Sebastian Schöbel

Dass die Mobilitätsaktivisten der Organisation "Changing Cities" und Verkehrssenatorin Manja Schreiner nochmal Freunde werden, kann als unwahrscheinlich gelten: Zu unversöhnlich stehen sich die Verkehrswende-Lobbyisten und die CDU-Politikerin gegenüber. Denn während Schreiner nie einen Hehl daraus gemacht hat, die Verkehrswende nicht einseitig zu Lasten der Autofahrer umsetzen zu wollen, hat "Changing Cities" immer wieder auf den Ausbau der Radwege gepocht, so wie es das Mobilitätsgesetz vorsieht.

Nun hat die Organisation erstmals Zahlen zum Radwegeausbau im ersten Amtsjahr der neuen Senatorin vorgelegt, inklusive einer detaillierten, interaktiven Karte im Netz. "Mit Maßband und GPS-Daten" habe man Berlins Radwege überprüft und den Fortschritt des gesetzlich vorgeschriebenen Ausbaus dokumentiert [changing-cities.org]. Das Fazit: "Das Mobilitätsgesetz wird geschreinert", sagt Ragnhild Sørensen von Changing Cities.

Unklar ist, wann überhaupt Bauarbeiten losgehen

Von den 60 Kilometern Radweg, die 2023 laut geltender Verkehrsplanung hätten gebaut werden müssen, seien gerade einmal 22,3 Kilometer fertiggestellt worden – weniger als im Jahr davor. Dabei hatte die schwarz-rote Koalition genau das Gegenteil versprochen. "Die Verkehrswende in Berlin wurde abgewürgt", so Sørensen.

Schuld an dieser Bilanz sei vor allem Schreiners Entscheidung im Juni des vergangenen Jahres, 19 baufertige Radwege zunächst auf Eis zu legen. Drei Radwegeprojekte sind noch immer "in der Prüfung", so die Verwaltung, die restlichen 16 wurden schon kurz nach dem Stopp wieder freigegeben. Fertiggestellt wurde bislang aber trotzdem keiner.

Eine aktuelle Anfrage der Grünen im Abgeordnetenhaus zeigt, warum: Die Verkehrsverwaltung hatte im Nachhinein die notwendigen verkehrsrechtlichen Anordnungen nochmals geändert, was mehrere Monate Verzögerung zur Folge hatte und bei drei der freigegeben Radwegen noch immer nicht abgeschlossen ist. So sei zum Beispiel in der Grunewaldstraße der Radweg zwar wieder zum Bau freigegeben, aber schmaler und ungeschützter als zunächst geplant, dafür sind mehr Autoparkplätze vorgesehen. "Das Versprechen von Frau Schreiner, mehr Radwege zu bauen, erweist sich als eine glatte Lüge", so Sørensen.

Bis 2030 müssen 2.698 Radverkehrsanlagen gestaltet werden

Wie schleppend es beim Radwegeausbau in Berlin vorangeht, zeige laut Changing Cities auch der Blick auf die langfristigen Pläne. Bis 2030 sollen laut Radverkehrsplanung insgesamt 2.698 km Radwege neu gebaut oder umgestaltet werden. Geschafft wurden seit 2018, als das Mobilitätsgesetz final beschlossen wurde, lediglich 135,7 Kilometer. Wie der rbb berichtet hatte, gab der Senat 2023 deutlich weniger für Radwege aus als geplant. So flossen laut einem Bericht an den Hauptausschuss im Bereich "Maßnahmen zur Verbesserung des Radverkehrs" nur 4,24 Millionen Euro ab. Im Etat vorgesehen waren allerdings rund 10,75 Millionen Euro, mehr als doppelt so viel.

"Wir wissen, was wir geschafft haben", weist die Senatorin die Kritik auf rbb-Nachfrage zurück. "Wir haben ordentlich Radwege gebaut." Die Ziele des Radverkehrsplans hätten auch ihre grünen Vorgängerinnen nicht erfüllt, so die CDU-Politikerin. Neben den gebauten 23 Kilometern Radwege seien aktuell 31 weitere Kilometer im Bau. Dass bei neuen Radwegen weniger auf die Standards geachtet werde, weist Schreiner ebenfalls zurück: Man habe vor allem Unfallschwerpunkte wie Kreuzungen bei neuen Radwegen im Blick. "Die Debatte muss sich von der Quantität verabschieden, sondern auch den Qualitätsaspekt aufgreifen."

Kritik an Sicherheitsstandards

Besorgt zeigt sich der Changing Cities auch hinsichtlich Standards und Sicherheitsvorgaben beim Radwegebau. "Wir erkennen nach weiteren Umplanungen zunehmend, dass die Radverkehrsanlagen schmal, ungeschützt und unsicher geplant werden", so Steckel.

Er sieht auch die Gefahr, dass künftig vermehrt alte und nicht mehr bedarfsgerechte Radwege nur ausgebessert werden, statt breite Radstreifen neu zu bauen. Der Verein kritisiert, dass dadurch die gesetzlichen Vorgaben nicht mehr eingehalten werden.

Sendung: rbb24, 30.01.2024, 13:00 Uhr

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120 Kommentare

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  1. 120.

    Ach , die einseitig auf das Auto ausgerichtete Verkehrspolitik von Frau Schreiner ist für Sie ausgeglichen? Aber die Grünen sind bestimmt Ideologen.

  2. 118.

    Mein Arbeitgeber hat und will keine Fahrradstellplätze, das müsste den Tag draußen stehen. Das ist logischerweise kein Anreiz und kann böse Überraschungen geben. Wie wäre es denn mal mit einer Verpflichtung dazu? Platz wäre in dem Fall genug. Kein deut besser meine Hausverwaltung, ich müsste das Rad in den engen Keller stellen oder in die Wohnung hochschleppen.

  3. 117.

    Wien hat z.B. den ÖPNV massiv ausgebaut, Paris verdoppelt das Metronetz und hier glaubt viele immer noch, dass das einzig das Fahrrad das Mittel der Verkehrswende ist.

  4. 116.
    Antwort auf [Novalis] vom 30.01.2024 um 18:35

    Sie fahren nicht mit dem Rad, oder? Das die Stadt ausschließlich Autogerecht geplant wurde ist kaum zu ignorieren. Es ist an der Zeit das alle! Verkehrsteilnehmer berücksichtigt werden- natürlich bedeutet es dass jetzt erst einmal die Interessen des ÖPNV, der Fußgänger und Radfahrer ins Auge gefasst werden. Die Autofahrer werden es als Benachteiligung sehen, da sie ja lange bevorzugt wurden.

  5. 115.
    Antwort auf [Novalis] vom 30.01.2024 um 18:35

    Hm. Und wenn man eben einfach gerne Fahrrad fährt? Und das sogar in der Stadt? Und die Fussgänger? Blockieren die nicht auch mit ihren doofen Ampeln den Autoverkehr? Am besten, die Stadt besteht bloß aus Straßen und Parkplätzen. Na gut, ein paar schmale Bürgersteige vielleicht noch, aber sonst: Auto forever.

  6. 114.

    Gegenseitige Rücksichtnahme? Dann kennen scheinbar manche Führerscheinbesitzer die StVO auch nicht.
    Zu Ihrem vorherigen Kommentar: Wie soll sich ein Radfahrer ohne blecherne Schutzrüstung und ohne Überrollbügel anpassen? Da hilft zur Sicherheit Abstand durch ausreichend breite Radwege! Die Fahrbahnen gehören Autofahrern nicht allein. Die müssen sie gerechterweise mit anderen Verkehrsteilnehmern teilen: Tram-Trasse, Bus-Spur, Radweg!

  7. 113.

    "... Oder einfach einen saugefährlichen Streckenabschnitt damit überbrücken. ..."
    Gäbe es nicht auch die Möglichkeit den gefährlichen Abschnitt z.B. in einer Nebenstraße zu umfahren?

  8. 112.

    Ja, WIR kennen viele nachvollziehbare Gründe. Aber so manch Autofahrer offensichtlich nicht, sonst würden sie nicht so unverständig reagieren. Die werden/fühlen sich nur aufgehalten. Und das geht selbstverständlich nicht. Grüne Welle forever. Und (siehe JoHannes) bloß keinen mickrigen Umweg fahren. Auch wenn dadurch Nebenstraßen entlastet/geschützt werden können. Alles hat sich gefälligst dem Auto zu unterwerfen.
    Ich bin für mehr Einbahnstraßen. Das kann sehr gut entlasten und weniger gefährlich sein.

  9. 111.

    Ich kann Ihrem Kommentar(en) nur zustimmen. Ich denke, die Autofahrer sind so lange bevorzugt und hofiert werden, dass Sie gar nicht mehr merken, wie bevorzugt sie eigentlich die ganze Zeit waren und immer noch sind. Eine Veränderung zur Gleichberechtigung empfinden sie damit anscheinend schon als Nachteil. Man kann und will einfach nicht aus der Bequemlichkeit raus, auch wenn man im Stau steht. Ich gucke mir jeden Morgen die Schlangen von Autos an, in denen meist nur einer sitzt und frage mich: wieso machen die das freiwillig?

  10. 110.

    Absolut traurig, wie andere Metropolen schon längst erkannt haben, was der Zahn der Zeit ist, nur die CDU und die SPD nicht...

  11. 109.

    Die Zukunft muss das Auto zurückdrängen. Alleine daran scheitert es in den Köpfen des derzeitigen Senates.

  12. 108.

    Und wir es endlich unterlassen können, für die Sicherheit schwächerer Verkehrsteilnehmer was zu tun. Was für eine asoziale Haltung.

  13. 107.

    Es ist traurig, hier von B+R und Verboten für Radfahrer zu lesen und gleichzeitig nicht ansatzweise eine Reflektion zu lesen, warum man denn jederzeit in dieser Stadt noch den kleinsten Weg mit dem Auto zurücklegen muss.

  14. 106.

    Würden die Radwege Sinn machen, wäre es in Ordnung. Die neuen auf dem Adlergestell ab/bis Glienicker Str. und ab/bis Schöneweide glänzen mit gähnender Leere.

  15. 105.

    Ich weiß ja nicht, wo Sie und alle die, die immer von Schönwetter-Radfahrende daher schwafeln. Ich wohne im SO Berlins und da sehe ich zu jeder Jahreszeit viele Radfahrende und hunderte Räder an den verschiedenen Bahnhöfen parken (Grüße auch an die Köpenickerin, die einen ähnlichen Unsinn wie Sie verbreitet). Man sollte schon unterscheiden zwischen der realen Welt und Ihrer Möchtegern-Welt sichtbar aus dem Verkehrsmittel mit den vier Rädern heraus.

  16. 104.

    Der Detlef spricht von StVO-Kenntnissen ... um dann selber so zu argumentieren: "Wer wirklich Radfahren kann, kommt auch in der Großstadt ohne Radwege klar, alle anderen sollten das Rad stehen lassen. Das Rad ist ein Verkehrsmittel unter vielen und hat sich entsprechend anzupassen. Also erstmal Helm, Kennzeichen und Versicherungpflicht dann kann über Wege ins Grüne nachdenken." Das ist entlarvend.

  17. 103.

    Kein Mensch außer die linksgrünen Parteien und die ihnen zuarbeitenden regierungsnahen Organisationen will eine „Verkehrswende“. Also weg damit.

  18. 102.

    Wie kann man so eindimensional bei Verkehrswende nur an das Fahrrad denken, gerade in der Metropole wie Berlin? Eine Busspur des 200er könnte das nächste Opfer der Radlobby werden.

  19. 101.

    Antwort auf Sascha
    Also ich bin Radfahrer und benutze die vorhandenen Radwege was eigentlich jeder Radfahrer machen sollte bei blauen Schild gebotsschild ein muss leider nur da.

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