Verbände und Bezirke warnen - Verkehrssenatorin stoppt vorerst Radwegeausbau in Berlin

Fr 16.06.23 | 20:48 Uhr
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Radfahrer auf dem Radweg Bülowstrasse Ecke Karl-Heinrich-Ulrichs-Strasse
Video: rbb24 Abendschau | 16.06.2023 | Boris Hermel | Bild: dpa/ Reuhl

Neue Verkehrssenatorin, neue Pläne für Berliner Straßen: Geplante Radwege sollen vorerst nicht weiter ausgebaut werden, wenn dafür ein Parkplatz oder Fahrstreifen wegfallen würde. Nicht nur Verbände sehen das kritisch, sondern auch Bezirkspolitiker.

  • Verkehrsverwaltung fordert Bezirke auf, Radwege-Ausbau vorerst zu stoppen
  • keine Fahrstreifen oder Parkplätze sollen wegen Radwegen wegfallen
  • Bezirkspolitiker warnen Senatorin Manja Schreiner (CDU) vor "Blockadehaltung"
  • Fahrrad-Verbände demonstrieren

Die Berliner Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) hat bestätigt, dass sie alle Radverkehrsprojekte in Berlin auf den Prüfstand stellen lässt. Ziel sei ein "insgesamt funktionierender Verkehrsmix für alle Berlinerinnen und Berliner", heißt es in einer Mitteilung der CDU-Politikerin. Große Straßen müssten für den Pendler-, Wirtschafts- und Lieferverkehr leistungsfähig bleiben.

Schreiner betonte gleichzeitig, dass die Sanierung und der Ausbau der Fahrradinfrastruktur weiter vorangetrieben werden sollte. Umgesetzt würden weiterhin unter anderem Projekte, die die Verkehrssicherheit erhöhten und Vorhaben in Zusammenhang mit der Schulwegsicherheit. Weiter verfolgt würden auch Projekte, bei denen keine Fahrstreifen wegfielen oder nur eine überschaubare Anzahl von Parkplätzen.

"Der Wegfall eines Stellplatzes reicht schon aus"

Zuvor war ein Schreiben der Senatsverkehrsverwaltung an einzelne Bezirke bekannt geworden. Darin wurden diese aufgefordert, bereits geplante Radwege vorerst zu stoppen.

"Die neue Hausleitung unserer Senatsverwaltung wird künftig andere Maßstäbe an die Straßenaufteilung setzen", heißt es in dem Schreiben, das dem rbb vorliegt. Bis auf Weiteres werden die Bezirke demnach aufgefordert, den Ausbau von Projekten auszusetzen, die den Wegfall eines Fahrstreifens oder von Parkplätzen zur Folge haben - "der Wegfall eines Stellplatzes reicht schon aus".

Tempo 30 soll dem Schreiben zufolge nicht mehr auf langen Strecken oder zum Lückenschluss ausgewiesen werden. Lediglich Tempo 30-Anträge von Kitas und Schulen würden weiterhin geprüft und umgesetzt.

Fahrrad-Verbände demonstrieren vor Verkehrsverwaltung

Aus dem Schreiben an den Bezirk Lichtenberg etwa geht hervor, dass der Radwegeausbau in der Siegfriedstraße bis auf Weiteres auszusetzen ist. Ragnhild Sörensen vom Verein Changing Cities befürchtet, dass auch andere Projekte betroffen sein könnten, da diese in Planung sind und im Verantwortungsbereich des Senats liegen. Es ginge dabei um die Beusselstraße in Mitte, die Grunewaldstraße, die Hauptstraße in Schöneberg sowie die Schönhauser-Allee und die Otto-Braun-Straße in Pankow.

"Die neue Senatorin entpuppt sich als Autoverkehrssenatorin, die zwar "Miteinander" propagiert, während ihr Herz aber eindeutig für die autogerechte Stadt schlägt", sagte Sörensen. Gegen die angekündigten Radwege-Stopps haben Changing City, der Berliner Landesverband des Fahrradclubs (ADFC) und Respect Cyclists Berlin zu einer spontanen Demo vor der Verkehrsverwaltung aufgerufen. Laut Polizei kamen am frühen Abend rund 300 Teilnehmer zusammen. Sie forderten auf Plakaten unter anderem "Sichere Radwege in ganz Berlin" oder "Mehr Radwege! Weniger Auto!". Der ADFC twitterte: "Ein einziger Parkplatz ist mehr wert, als tausende Radfahrende und deren Sicherheit. Nicht mit uns!"

Oppositionspolitiker sprechen von Rückschrittskoalition

Bezirksvertreter sprachen von einer "Blockadehaltung" bei der Radinfrastruktur. Vor den Folgen eines - wenn auch vorerst nur vorläufigen Radwege-Stopps - warnte die Verkehrsstadträtin des Bezirks Mitte, Almut Neumann (Bündnis 90/Die Grünen). "Ich mache mir Sorgen, dass nun ein Stillstand für den Ausbau von sicherer Infrastruktur für Menschen mit dem Rad droht", sagte Neumann dem rbb.

Sie verwies auf die fortgeschrittenen Planungen für einen geschützten Radstreifen an der Beusselstraße in Moabit, der ausfinanziert sei und noch in diesem Jahr fertiggestellt werden soll. "Die Strecke ist eine wichtige Nord-Süd-Verbindung, aber zur Zeit tatsächlich lebensgefährlich für Menschen auf dem Rad." Laut Neumann droht bei einer Verzögerung auch der Verfall von Fördermitteln. Der Bund trage Dreiviertel der Kosten der Maßnahme.

Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Werner Graf sieht in dem Stopp einen "eklatanten Vorstoß gegen geltendes Recht". Das Mobilitätsgesetz schreibe sichere Radwege an allen Hauptstraßen vor, teilte er mit. Aus dieser Handlungsanweisung liest er folgendes Signal: "Alles hat sich dem Auto unterzuordnen". Die Ankündigung der Verkehrssenatorin bremse faktisch die gesamte Radwegeplanung in Berlin aus.

Die Linken-Landesvorsitzenden, Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer, nannten den Vorstoß einen "Schlag ins Gesicht" für die über 100.000 Menschen, die 2016 den Volksentscheid Fahrrad unterschrieben hätten. "Während viele europäische Metropolen die Verkehrswende und eine gerechte Verteilung des öffentlichen Raumes mit Tempo vorantreiben, geht es mit der schwarz-roten Rückschrittskoalition zurück in die Vergangenheit."

Wegner: CDU macht keine Politik gegen das Auto

Der fundamentale Kurswechsel in der Verkehrspolitik kommt für Verbände und politische Beobachter allerding nicht überraschend. Während der alte rot-grün-rote Senat eine Umverteilung des öffentlichen Straßenraumes zugunsten von Fußgängern, Radfahrern sowie Bussen und Bahnen verfolgte, vertritt die CDU eine andere Position.

Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner hatte bereits im Wahlkampf klar gestellt, dass er keine Politik gegen das Auto machen werde.

Sendung: rbb24 Abendschau, 16.06.2023, 9:25 Uhr

270 Kommentare

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  1. 270.

    Wenn der Radweg so gut ist, dann nichts wie rauf aufs Fahrrad. Sie schreiben selbst , dass der motorisierte Verkehr sich staut und die Luft verpestet. Warum machen Sie da mit?

  2. 269.

    Der Verkehrsraum ist beschränkt! Darum sollte er klug verteilt werden. Nur weil man die "Normen" ändert, wird ein Radweg nicht schlechter. Er war seit der Erstellung so und hat dem Verkehr bisher genügt. Nun nicht mehr, weil zu schmal? Was für'n Schmarrn.
    Zum Beispiel: Groß-Berliner-Damm.
    Oder Adlergestell stadtauswärts vor Adlershof. Der Seitenweg würde für die paar Radler genügen, denn Fußgänger gibt es dort in der Regel nicht.

  3. 268.

    Ich bin sehr froh, dass auch an die Menschen wieder gedacht wird die nicht Rad fahren können und denen der Weg zur nächsten Haltestelle manchmal mühsam ist. Berlin besteht nicht nur aus jungen gesunden Menschen sondern auch aus z.B gehbehinderten Personen.

  4. 267.

    Ich empfehle einen Besuch auf einer Traumatologie-Station. Das hilft vielleicht ein wenig, wenn man mittig fährt, um vielleicht doch das Rechtsfahrgebot zu beachten.

  5. 265.
    Antwort auf [bürger33] vom 16.06.2023 um 16:50

    Danke für die warmen Worte, die Lust auf mehr machen !!

  6. 264.

    Vielleicht probieren Sie es mal mit indirekten Linksabbiegen ? Das soll ganz praktisch sein und schont auch die Muskulatur im Arm.

  7. 263.

    Ich fahr sowieso lieber auf der Straße, die sind meist sauberer, besser ausgebaut und wenn man mittig fährt, hat man auch genug Platz rechts und links. 40cm breite Radwege fand ich schon immer zu eng. Grad wenn man noch einen Anhänger dran hat oder mit viel Zeug im Gepäckträger fährt. Und wenn mir mal doch ein er zu nahe kommt, verweise ich auf die laufende Kamera. Hat schon paar Mal geholfen und war sogar vor Gericht nützlich.

  8. 262.

    "Endlich, endlich sag jemand das was viele denken. Heute ist es auf Rad und Bürgersteige gefährlicher als auf der Straße. Eifer verhalten sich manche Radfahrer wie Rambos." Eifer?

    Wer soll ihnen denn den geballten Unsinn abnehmen?

    "Ich verstehe unsere Regierung nicht, auf der einen Seite heißt es Berlin ist überaltert ! Nur was tun sie für uns alten ???"

    Achtung Satire! Teile dieser Antworten könnten die Bevölkerung verunsichern.

    Das ganze ist ein perfider Plan der cDU um die Rente zu sichern. Man verhindert dass immer mehr Menschen bis ins hohe Alter Radfahren können, die werden zu alt, während Autofahrer an Diabetis, Herzverfettung, Übergewicht usw. früh versterben.

    Okay, dafür explodieren die Behandlungskosten... Aber hey, seit wann hat man in der cDU mal logisch weiter gedacht?

  9. 261.

    ... und ich erlebe regelmäßig(!), dass mein weit ausgestreckter linker Arm, der das links Abbiegen anzeigen soll, abgefahren würde, wenn ich ihn nicht blitzschnell wieder einziehe, weil es kaum ein Autofahrender ertragen kann zu warten, bis ich denn abgebogen bin, sondern auch dann noch überholt, wenn ich mich schon weit links auf der Fahrbahn befinde...

  10. 259.

    Zu der Verweigerung der Kennzeichenpflicht kommt noch die Frage zu der Tauglichkeit, an Verkehr teilzunehmen. Autofahrer müssen einen Führerschein machen und teilen sich den Verkehrsraum mit Leuten, die keine Kenntnisse nachweisen müssen. Ein Unding, die Teilhabe zu fordern, aber die Verantwortung auf andere zu schieben.

  11. 258.

    Ein weiteres Beispiel einer rein ideologischen, aber rational total unlogischen Fehlplanung (durch den Grünen “Fachmann” Urban Aykal!) ist die von gezählt 10 Rädern pro Stunde befahrene Rad-Prachtallee “Unter den Linden” am Botanischen Garten:
    Der wegen der Reduzierung auf eine Fahrbahn für Kfz. und Linienverkehr zusammen auf einer Haupt-Verkehrsader in Richtung Autobahn staut sich nahezu rund um die Uhr dieser Verkehr zurück bis zum Schlosspark-Theater und verpestet die Luft wie nie zuvor!!!

  12. 257.

    Radwegeausbau stoppen, ist ein Rückschritt ohne Ende. Besonders bei uns in den Außenbezirken gibt es nur sehr schlechte Radwege und wenn jetzt auch noch den Rasern kein Einhalt mit Tempo 30 gegeben wird, dann geht es wieder rückwärts.

  13. 256.

    CDU macht cdu Dinge. Schade für die Mehrheit der Stadt die eigentlich rrg gewählt hat.

  14. 255.

    Ich bin Radfahrer, aber besitze auch ein Auto, doch ich wohne am Stadtrand und verstopfe damit trotzdem nicht die Innenstadt. Hier benutze ich Rad und S-Bahn. Steuern zahle ich genausoviel wie jemand, der mit seinem Auto durch die Innenstadt fährt und die Straßen verstopft. Es muss endlich eine City-Maut her.

  15. 254.

    Dieser Beitrag war eine Antwort auf Beitrag #191, nicht mehr und nicht weniger.
    Diese Interpretation, die sie mir hier unterstellen, die ist nicht die meinige. Ich neige nicht zum polarisieren, da unvernünftig, obwohl praktikabel.
    Ergo nicht Alles was praktikabel ist, ist auch vernünftig.

  16. 253.

    Danke an alle Wahlberechtigten, die nicht Ihr Recht wahrgenommen haben.
    Danke an alle Spd-Mitglieder, denen der Machterhalt wichtiger war, als ein demokratischer Neubeginn.
    Danke an die vormals mitregierenden Grünen, die wegen Ihrer Hybris, alle vor den Kopf gestoßen haben und darum abgewählt wurden.

  17. 252.

    Ich habe mich letzte Woche seit langem mal wieder gefreut, dass eine autofahrende Person vor dem Richtungswechsel ein Lichtzeichen gegeben hat. Davon werde ich noch einige Zeitv zehren müssen.

    Achja, bei dem Zustand der meisten Radwege wäre man lebensmüde nur einhändig zu fahren.

  18. 251.

    "Wie zu erwarten, politischer Rückschritt in die 1950er Jahre. Mit Rückendeckung der "S"PD."

    Man hat sich von der "Vision Zero" verabschiedet. 2022 hatten wir 10 getötete und 649 schwerverletzte Radfahrer zu beklagen.

    Schreiner und die cDU nehmen billigend Tote und Schwerverletzte in Kauf.

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