Grüne Woche startet - Berliner Agrar-Davos oder Bühne für Bauern-Wut?

Fr 19.01.24 | 08:05 Uhr
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Anlässlich der Internationalen Grünen Woche findet am 19.01.2024 eine Treckerdemo der Freien Bauern vor dem Messegelände statt. (Quelle: Picture Alliance/Jörg Carstensen)
Video: rbb24 Brandenburg Aktuell | 19.01.2024 | Matthias Küper | Bild: Picture Alliance/Jörg Carstensen

Eigentlich ist die Grüne Woche purer Spaß: Tiere streicheln, Häppchen futtern, Trecker gucken. Doch dieses Jahr ist alles anders: Die Bauernproteste haben die Probleme der Branche ans Licht gezerrt. Die Grüne Woche bekommt das zu spüren. Von S. Schöbel

Er habe mit seinen Kindern extra nochmal nachgeschaut, wann er das erste Mal auf der Grünen Woche war, sagt Mario Tobias. "Da gab es noch keine Smartphones, Anfang der 2000er." In Erinnerung sei die Streichelhalle mit den Tieren geblieben. Mehr als zwei Jahrzehnte später eröffnet Tobias nun erstmals als Chef der Messe Berlin die Grüne Woche. Tiere streicheln kann man hier immer noch. Aber die Stimmung ist deutlich weniger kuschelig als früher.

Die wütenden Proteste der Landwirte haben aus der fröhlichen Lebensmittel-Schau unter dem Funkturm eine politische Arena gemacht. Messe-Chef Tobias weiß das auch: Er bewirbt zwar fleißig die blumengeschmückten Hallen, das leckere Essen und clevere Agar-Innovationen, doch im Mittelpunkt steht die angespannte Lage der gesamten Branche.

Man werde die Debatten von der Straße in die Messehallen holen, sagt Tobias diplomatisch, "in einen guten Rahmen". Bauernpräsident Joachim Rukwied klingt zum Auftakt der Grünen Woche allerdings deutlich düsterer. Falls die Bundesregierung die Subvention des Agradiesels wirklich streicht, werde es weitere Proteste geben. Was bisher zu erleben war, sei nur "ein Vorbeben" gewesen, so Rukwied. Es drohe eine "Eruption".

Agrardiesel als Symbol für Gesamtsituation

Deutsche Bauern, die zu wenig Geld mit ihrem Produkten verdienen, gleichzeitig aber immer strengere Klimaschutzauflagen erfüllen müssen, während der Lebensmittelmarkt von großen Konzernen und hohen Renditeerwartungen dominiert wird: Vom Agrardiesel oder der Kfz-Steuer auf Traktoren sprechen vor der Grünen Woche fast alle Branchenvertreter nur als Tropfen, der das Fass zu Überlaufen gebracht habe.

"In diesem Fass sind viel mehr Kröten, die sich angesammelt haben", sagt Hans Foldenhauer. Der Vorstandssprecher des Bundesverbandes Deutscher Milchviehalter (BDM) sagt, die Probleme seiner Milchbauern reichten zurück bis in die 90er Jahre. Damals sei dem Wettbewerb auf dem Agrarmarkt Tür und Tor geöffnet worden, die Branche reagierte auf sinkende Preise mit immer mehr Wachstum: Die Politik habe die Märkte geöffnet, so Foldenhauer, und die Bauern hätten liefern müssen.

Probleme gehen Jahrzehnte zurück

Das Ergebnis zeigt der BDM auf einer aktuellen Statistik: Seit 2003 habe sich die Zahl der Milchbauern halbiert, auf inzwischen nur noch rund 50.000. Im gleichen Zeitraum hat sich die durchschnittliche Zahl der Kühe pro Hof verdoppelt. Kleine Höfe werden immer seltener, große Höfe wachsen weiter. Gleichzeitig arbeiten viele Bauern schon lange nicht mehr kostendeckend, weil vor allem die großen Molkereien weniger für den Liter Milch zahlen, als die Bauern für dessen Produktion ausgeben müssen. Dieses Missverhältnis habe man bei der Politik schon Regierungen vor der Ampel beklagt, sagt Foldenhauer. Auch der letzten Bundeslandwirtschaftsministern wie Julia Klöckner von der CDU. "Die hat immer nur gesagt: Macht ihr das in der Branche."

Die aber regelt es offenbar nicht: Bei der Preisgestaltung ihrer Produkte haben die Bauern so gut wie kein Mitspracherecht, beklagen ihre Verbandsvertreter vor der Grünen Woche. Meistens diktiere der Handel, was Fleisch, Gemüse und Molkereiprodukte kosten. Allerdings geht es nicht allen Betrieben schlecht. "Wir haben über die letzten zehn Jahre absolut stabile Wertschöpfungsketten geschaffen", sagt Heinrich Rülfing, Vorsitzender der Deutschen Bio-Schweinehaltervereinigung. "Wir haben Erträge erzielen können, die auskömmlich sind."

Probleme gebe es dennoch viele, zum Beispiel die überbordende Bürokratie, immer strenger werdende Auflagen, fehlende Verlässlichkeit bei Fördermaßnahmen und das Ungleichgewicht im Markt zwischen Handel und Erzeuger. Deswegen der Protest: "Es ging einfach darum, ein Signal zu setzen, dass sich etwas tun muss."

Keine einheitliche Bauern-Front

Mit dem großen Bauernverband und seinem harten Konfrontationskurs gegen die Ampel fremdelt Rülfing, der nach 30 Jahren in der CDU zu den Grünen gewechselt ist. Mit der Ampel zufrieden ist er trotzdem nicht. Seiner eigenen Partei, den Grünen, wirft Rülfing nun vor, unterschätzt zu haben, wie herausfordernd die Transformation der Landwirtschaft hin zu mehr Klima-, Umwelt- und Tierschutz für die Bauern ist. "Veränderung macht Angst. Manchen geht es zu schnell."

Ganz so vereint wie bei den Bauernprotesten präsentieren sich die Landwirtschaftsverbände auf der Grünen Woche jedenfalls nicht. So will zum Beispiel der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft keine Gentechnik auf den Äckern und fordert, dass entsprechende EU-Pläne verhindert werden. Der Bauernverband sieht es genau andersherum. Auch die geplante Tierwohlabgabe, bei der Verbraucher mehr für Fleischprodukte zahlen sollen, um Bauern zu unterstützen, kommt bei Landwirten gut an, nicht aber bei den Molkereien, die unter anderem Einbußen beim Exportgeschäft fürchten.

Rukwied: Grüne Woche ist "agrarpolitisches Davos"

Spätestens da wird klar: Die Äcker und Ställe sind letztlich auch nur die Grundlage eines deutlich größeren Geschäfts. Christoph Minhoff, Chef-Lobbyist der deutschen Lebensmittelindustrie, bringt es recht unverblümt auf den Punkt. Gefragt, wie sich die Interessen der konventionellen und der Bio-Landwirtschaft in Einklang bringen lassen, sagt Minhoff: Entscheidend sei, was sich "an den Supermarktkassen und an der amerikanischen Börse" abspiele. Heißt auch: So lange Billig-Fleisch die Renditeerwartungen der Branche erfüllt, bleibt es bei hartem Preiswettbewerb.

Wenn dann Bauern-Präsident Rukwied von der Grünen Woche als "agrarpolitischem Davos" spricht, in Anlehnung an das alpine Treffen von Politik- und Wirtschaftselite, könnte das manchen protestierenden Landwirt auf dem am Brandenburger Tor geparkten Traktor ins Grübeln bringen.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 19.01.2024, 19:30 Uhr

28 Kommentare

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  1. 28.

    Wir sind jedes Jahr da und geben max. 150 Euro aus. Ich weiß ja nicht wie Sie auf 500 kommen, aber Sie werden schon Recht haben.

  2. 27.

    Bei den Preisen für Lebensmittel haben Verbraucher auch kein Mitspracherecht. Werden deswegen Straßen blockiert?

  3. 26.

    Was uns Mike nicht verrät: Warum er diese Info für relevant hält. ;)

    Da die GW schon seit einer Ewigkeit von der Messe Berlin ausgerichtet wird, Rukwied vom „agrarpolitischen Davos“ meines Wissens aber erstmals in diesem Jahr sprach, fand ich den Hinweis auf den Aufsichtsrat lässlich.

    Aber klar, ist ein interessantes Detail. Im Aufsichtsrat der Messe sitzt aber zB auch die Geschäftsführerin Fachverbände Elektro-Haushaltgeräte und Consumer Electronics. Siehe: IFA.

  4. 25.

    Was uns Sebastian Schöbel nicht verrät ist, dass Rukwied der die Grüne Woche als "agrarpolitischem Davos" mißbrauchen will im Aufsichtsrat der Messe Berlin sitzt. Wer veranstaltet die Grüne Woche? Genau, die Messe Berlin.

  5. 24.

    "Tierwohlcent, vorgeschlagen von einem Vegetarier"
    Es ist mir völlig egal, von wem dieser Vorschlag kommt, denn der Anteil am Tierwohl müsste noch viel höher sein. Aber wenn wir weiter möglichst viel und möglichst billiges Fleisch konsumieren, bekommen wir genau das, was wir bestellt haben. Daran sind wir Verbraucher mir unserem Kauf- und Essverhalten schuld.

  6. 22.

    Grüne Woche ist kein purer Spaß.
    Eintrittskarte wird immer teurer und das drinnen auch.
    Kann sich ein normal Verdiener gar nicht mehr leisten. Aber bitteschön, wer Da hin will und dort ca 500 € lässt. Wird eine Messe für Reiche.

  7. 21.

    Die Grüne Woche ist eine Leistungsschau. Es wird geliefert. Es ist kein Ort um schnöde Steuererhöhungen (Tierwohlcent, vorgeschlagen von einem Vegetarier) zu besprechen, die auch wieder im Haushalt versickern und nur der Einstieg in eine weitere Steuerart ist, die man beliebig weiterdrehen kann, siehe auch die Maut.
    Davos ist auch eine Jobbörse für Politiker in der freien Wirtschaft...(schauen wir mal hin, wer aua Dtl. da war).

  8. 20.

    Die Grüne Woche hat früher mal Eintritt gekostet, die Häppchen waren kostenlos. Heute zählt man auch dafür.

    Auch Agrarkakpitalisten.

  9. 19.

    Ich freue mich auf die Grüne Woche. Selbstverständlich komme ich mit der Bahn. Ein wehnig Erholung und neue Eindrücke nach den unsinnigen Blockaden und der Huperei. ;-)

  10. 18.

    Man kann nicht stets nach Neuwahlen rufen, wenn man persönlich unzufrieden ist. Wenn jeder so denkt, können wir wöchentlich wählen. Zumal die anderen zur Verfügung stehenden Parteien nicht nur keine Lösungen anbieten, sondern teilweise die Probleme selbst verschuldet haben. Und was die sogenannte “Alternative“ betrifft, die hat sowieso ganz andere Ziele.

  11. 17.

    Sehe ich auch so!

    Der Markt regelt schon lange nichts mehr!! Seid dem die Banken dereguliert wurden, existiert überall nur noch die Gier! Und das ist ein globales Problem!! Welches auch global angegangen werden muss. Zum Beispiel in Davos! Da aber wird nur eine Strategie für noch mehr Geld und Reichtum anscheinend beschlossen!

  12. 16.

    "Keine einheitliche Bauern-Front"
    Die Gemeinsamkeit besteht darin, das eine ganze Menge Dinge in der Landwirtschaftspolitik, den Regelungen in der Transportbranche und letztlich auch dem politischen Gebaren gegenüber kleinen und mittelständischen Betrieben in der Politik der Länder, des Bundes und der EU nicht stimmen. Der "Agrardiesel" war letzlich nur das Quentchen zuviel. Das wurde bisher zum Ausdruck gebracht und ist wohl so auch erstmal angekommen. Welche grundsätzlichen Ergebnisse dabei rauskommen, ist noch offen.
    Es ist allerdings auch richtig, das es "intern" schon arg unterschiedliche Ansichten in der Landwirtschaft gibt. Den "Einheitsbauern" wird es nicht geben. Ebensowenig wie den "Einheitsautofahrer, -maler, -programmierer, -politiker". Aber das wäre das "Finetuning". Soweit ist es noch lange nicht. Man wäre froh, wenn die Generalüberholung mal langsam anfangen würde.

  13. 15.

    So ist es, Das hat schon Kant gesagt: „handle stets so, dass die Maxime deines Handelns Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung werden kann.“ Oder anders ausgedrückt, wenn jeder so handeln würde wie du, was würde das bedeuten.

  14. 13.

    Ach, und wer hat vor der Ampel regiert, in der Zeit, als die Probleme der Bauern immer größer wurden? Nein, Neuwahlen helfen nicht, es braucht ein radikales Umdenken in unserem Umgang mit fairen Lebensmittelpreisen.

  15. 12.

    Tolle Kommentare von [Horst] und [Berlin], Danke und auch dafür, dass Sie deutlich gezeigt haben, dass man komplexe Probleme nicht mit einem Satz oder einer Phrase beschreiben kann. Sie bekommen beide meine volle Zustimmung.

  16. 11.

    Sie sprechen ein Grundfehlverständnis an: Immer mehr Menschen beziehen die Politik vor allem auf sich selbst, das Individuum. In unseren Social-Media-Blasen und durch die individuellen Empfehlalgorithmen wird das Ego genährt und gehätschelt. - Politik ist aber so angelegt, dass unsere Stimmen zu Gesetzen für alle werden! Wer Politik immer nur auf sich selbst bezieht, dessen Ego wird ständig beleidigt und der gibt an, dass keine Partei für ihn/sie wählbar sei. - Kleiner Tipp: Wenn Entscheidungen für mehr als einen Menschen getroffen werden, kann sich meist nicht jeder zu 100% darin wiederfinden. Beim Einigen auf das gemeinsame Fernsehprogramm/die Netflixserie geht der Streit ja oft schon los. Wir sollten Politik als das sehen, was sie ist und für uns leisten kann: Ein allgemeiner Rahmen, der per Gesetz Rechte und Freiheit für alle schafft. Wir sollten daher selbst mehr für unser Glück, Wohlstand und die Gemeinschaft tun. Das kann der Staat nicht per Lieferdienst vorbeibringen

  17. 10.

    Tiere dort zu streicheln sollte nicht mehr möglich sein.

  18. 9.

    "Sorry, aber ich fühle mich schon lange veralbert "

    Also ich fühle mich veralbert, wenn jemand von "Politik für den Bürger" spricht; ode gar "statt gegen den Bürger": Wer soll denn dieser ominöse Bürger sein? Die Rentnerin, der Großbauer, die Studentin, Großstädterin, der Porschfahrer, der Grundschüler, die 35-Stunden-Woche VW-Angestellte, Mieterin, der Arbeitslose, die Hausfrau des Vorstandsvorsitzenden, der Klimaaktivist, der Eigenheimbesitzer, Dorfbewohner.... usw.

    "Politik für den Bürger" heißt doch nichts anderes als "Politik für mich". Ist ja legetim. Aber man sollte dann nicht so tun, als ob damit "für alle" gemeint ist. Und auch nicht so tun, als ob das was spezifisches der Ampel sei.

    Und die Ampel besteht bekanntlich wie so viele Bundesregierungen aus 3 Parteien. Die vertreten teilweise die Interessen unterschiedlicher Bürger. Aktuelles Beispiel: Lindner will (bzw. muss) nur den Kinderfreibetrag erhöhen, aber nicht das Kindergeld.

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