"Ulster American" im Schaubühnen-Studio - Mittelalte weiße Männer und ihr Handicap

Fr 12.04.24 | 16:46 Uhr | Von Barbara Behrendt
Theaterstückaufnahme"ULSTER AMERICAN" in der Schaubühne Berlin, von David Ireland. Regie: Rikki Henry, Bühne und Kostüme von Ulla Willis mit: Veronika Bachfischer, Robert Beyer, David Ruland.(Quelle: Schaubühne/Gianmarco Bresadola)
Audio: rbb24 Inforadio | 12.04.2024 | Barbara Behrendt | Bild: Schaubühne/Gianmarco Bresadola

Zwei mittelalte weiße Künstler spielen Feministen im progressiven Kulturbetrieb: Rikki Henry inszeniert die Satire "Ulster American" als Farce der Me-Too-Männer im woken Deckmäntelchen. Von Barbara Behrendt

Dass diese beiden mittelalten Exemplare der weißen Männlichkeit als Karikaturen ihrer Zunft auftreten, ist überdeutlich: Jay, ein in die Jahre gekommener US-amerikanischer Schauspielstar und Leigh, ein britischer Regisseur und Theaterleiter, haben zwar die richtigen feministischen Vokabeln drauf, schwadronieren von der überkommenen Heteronormativität, dem bösen Patriarchat und vergessen nie, den Gender-Gap zu benutzen – doch als der eine nicht weiß, dass James Baldwin ein schwarzer, queerer Autor war, und der andere den Bechdel-Test (über die Darstellung von Frauen im Film) nicht erklären kann, geht es nur um dominantes Gepose und den Schwanzvergleich.

Pseudo-Feminismus auf dem Golfplatz

Da passt es nicht schlecht, dass der Regisseur Rikki Henry die deutsche Erstaufführung von David Irelands "Ulster American" im Studio der Schaubühne auf einen Inhouse-Golfplatz verlegt. Im Wohnzimmer des britischen Theaterleiters Leigh liegt der Kunstrasen über sanften Hügeln und rote Fähnchen markieren die Löcher: Altherren-Sport für die Privilegierten, die Punkte sammeln, einlochen und gewinnen wollen. An der Wand leuchtet eine digitale Punkteanzeige, die auch die argumentativen Treffer zählt.

Jay und Leigh verkörpern unterschiedliche Golfer-Typen. Jay steckt bei Schauspieler Robert Beyer in einem pseudocoolen Gangster-Rap-Sportanzug, Leigh ist bei David Ruland in weißer Hose, Pullunder und Krawatte die überkommene britische Adelsversion. Keine psychologisch vielschichtigen Charaktere sind das, sondern Stereotype, Komödienfiguren.

Die Komödie kippt in die Farce

Nach James Baldwin und dem Bechdel-Test kommt der tiefste Schlag: Jay fragt Leigh, ob es, nur rein theoretisch versteht sich, eine Situation gebe, in der eine Vergewaltigung moralisch vertretbar wäre. Was, wenn einem jemand eine Pistole an den Kopf hält? Und vor allem: Wen würde man dann vergewaltigen wollen? Leigh, duckmäuserisch dem Star ergeben, fällt zwar aus allen Wolken – spielt das Spiel aber beflissen mit. Die schwarze Komödie kippt in die Farce.

Als Ruth endlich verspätet ankommt, verrät er ihr hinterrücks sogleich Jays Gewaltfantasien. Ruth ist die nordirische Autorin, deren Stück die beiden Männer auf die Bühne bringen wollen – und sich für ihre "Frauenförderung" feiern. Ruth liegt Jay zu Füßen. Doch als sie Wind vom Vergewaltigungsspruch bekommt und sich abzeichnet, dass Jay ihr Stück komplett missverstanden hat, hört der Spaß auf.

Ruth, als Konservative im Tweed-Anzug, gespielt von Veronika Bachfischer, kann ziemlich garstig werden und verkörpert als Frau zum Glück nicht die nette Sympathieträgerin. Ihre Mutter, die gerade einen Autounfall hatte, ist ihr ziemlich egal, jetzt, wo es um ihre Karriere geht. Und dann ist sie auch noch Brexit-Befürworterin.

Und dann noch der Nordirlandkonflikt

Ruth hat ein Stück über den Nordirland-Konflikt geschrieben. Und ausgerechnet Jay, der Amerikaner mit irisch-katholischen Vorfahren, soll darin einen radikalen Unionisten spielen, der die Katholiken massakrieren will. "Ulster" – so nennen die Unionisten Nordirland. Jay weigert sich, als er endlich verstanden hat, worum es geht. Was zur umgekehrten Identitätspolitik-Debatte führt. Es wird niemandem abgesprochen, für einen anderen sprechen zu dürfen, im Gegenteil. Hier weigert sich jemand, die Haltung einer historischen Figur einzunehmen, die sich nicht mit der eigenen verträgt.

Bei aller Unterhaltsamkeit dieses Schlagabtauschs – wirklich aufstören kann er die überdrehte Golfpartie nicht. Auch wenn das Stück unbedingt einen Punkt macht. Denn es ist ja durchaus bemerkenswert, dass der Kulturbetrieb, der sich als ach so divers, feministisch und antihierarchisch versteht, nach wie vor von denselben Männern geleitet wird wie vor Jahrzehnten. Auch an der Schaubühne.

Karikaturen und Groteske

David Ireland schraubt sein Kammerspiel immer weiter in die Groteske, bis sich zuletzt alle blutig die Köpfe einschlagen. Die Karikaturen der Inszenierung tun ihr Übriges, damit das Publikum die Figuren nicht ernst zu nehmen braucht.

Zudem ist in Berlin vermutlich nicht gleich jedem klar, wie es um die Feniers, die Loyalisten und die UVF in Nordirland bestellt war. Insgesamt werden im Stück beinahe mehr Themen angespielt als ein Golfplatz Löcher hat: Pseudo-Feminismus, versteckte Misogynie, Männer-Bünde, Machtmissbrauch, Teilhabe im Kulturbetrieb und Identitätspolitik. Zuletzt noch die Diskussion um die Power der Sozialen Medien: Wird Ruth mit einem Tweet Jays Karriere beenden? Da gerät die Gesellschaftskritik dann doch zu oberflächlich und offensichtlich. Amüsant ist sie aber allemal.

Sendung: rbb24 Inforadio, 12.04.2024, 08:55 Uhr

Beitrag von Barbara Behrendt

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