Interview | Abschied vom Berliner Staatsballett - "Ich habe meine Passion gelebt"

Di 27.06.23 | 09:32 Uhr
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Staatsballett Berlin: EK | EKMAN (2023) (Quelle: Staatsballett Berlin/Yan Revazov)
Audio: rbbKultur | 27.06.2023 | Anja Caspary | Bild: Staatsballett Berlin/Yan Revazov

Beim Berliner Staatsballett sah Christiane Theobald drei Intendanten und eine Intendantin kommen und gehen. Seit drei Jahren ist sie dort kommissarische Leiterin. Jetzt nimmt sie selbst den Hut - und zieht im Interview kritisch Bilanz.

rbb: Frau Theobald, 2004 wurde das Staatsballett Berlin gegründet, aus drei Balletten wurde eins. Im nächsten Jahr kann das Staatsballett also sein 20. Jubiläum feiern, daran sind vor allem Sie schuld - richtig?

Christiane Theobald: Ja, damals gab es das sogenannte Kreiselpapier von Kultursenator Radunski (Anm.: Peter Radunski (CDU) war von 1996 bis 1999 Berliner Kultursenator), das in der Opernstruktur-Reform gipfelte. Als Betriebsdirektorin an der Staatsoper war ich der festen Meinung, dass Berlin nicht nur einen Hauptstadt-Fußball-Klub braucht, sondern auch ein Haupstadt-Staatsballett - und da habe ich gesagt: Es wäre doch toll, wenn die drei abhängigen Tanzabteilungen der Opernhäuser unabhängig werden und eine eigene Intendanz bekommen. Die Politik unterstützte meine Idee vom Staatsballett, aber es waren nicht alle begeistert.

Zur Person

Dr. Christiane Theobald ist ausgebildete Tänzerin, Dramaturgin und promovierte Kunstgeschichtlerin.(Quelle: dpa)
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Christiane Theobald war 36 Jahre lang mit dem Berliner Ballett verbunden. Auf ihrer Idee gründet das Staatsballett, mit 91 Tänzer:innen Deutschlands größte Kompagnie. Theobald war durch die Jahre Stellvertreterin mehrerer Intendant:innen. Sie ist ausgebildete Tänzerin, Dramaturgin und promovierte Kunstgeschichtlerin. Am Dienstag wird sie in der Deutschen Oper nach der Vorstellung von "Messa da Requiem" in den Ruhestand verabschiedet.

Es gab förmlich Tribunale, wo mir der Gesamtpersonalrat und die Intendanten gesagt haben: Wenn dem Haus xy ein Schaden zugefügt wird, dann sind Sie, Frau Theobald, dafür verantwortlich! Da bekommt man schon Muffenflattern, da schläft man auch nicht mehr gut. Der Druck war stellenweise beängstigend.

Sie standen in den vergangenen Jahren öfter unter Druck. Ganz besonders 2021, als die POC-Tänzerin Chloe Lopes Gomes dem Staatsballett Rassismus vorwarf. Sie klagte gegen ihre Kündigung und wegen "Mobbing" und "Whitefacing". Es gab einen weltweiten Shitstorm, aber vor Gericht einen Vergleich.

Ja, es wurde nicht entschieden, wer Recht oder Unrecht hat, sondern beide Seiten einigten sich auf eine Abfindung und Vertragsverlängerung. Wir haben aus dem Vorfall Konsequenzen gezogen, es gab direkt im Anschluss Workshops und mittlerweile gibt es eine Referentin für Diversitäts- und Antidiskriminierungsentwicklung beim Staatsballett.

Sie mussten in Ihrer Funktion als Stellvertreterin auch andere Krisen bewältigen, den plötzlichen Abgang von Sascha Waltz nach nur drei Monaten Amtszeit als Intendantin beispielsweise oder 2015 den Tarifstreik des Ensembles. Es war das erste Mal in der weltweiten Ballettgeschichte, dass eine Tanzkompagnie streikte, die Fronten waren schnell verhärtet, durch die Ausfälle angeblich die Existenz des Staatsballetts bedroht. Was ist Ihre persönlichste Erinnerung daran?

Am Karfreitag 2015 war das, als ich ohne Mikrofon in die Kassenhalle gehen musste, wo 2.000 Gäste auf den Einlass warteten. Sie waren alle feingemacht, hatten teuerste Karten gekauft, waren von sonst woher angereist und bekamen nun von mir gesagt: Es gibt keine Vorstellung. Diesen physischen Hass zu spüren, das werde ich nie vergessen.

So etwas kann auch krank machen.

Die Erfahrung habe ich gemacht, ich hatte Magenkrebs. Die Diagnose kam völlig überraschend. Aber das war eine Lernkurve, um demütiger und dankbarer zu werden. Ich lebe jetzt zehn Jahre ohne Magen und es geht mir sehr gut.

Sie waren immer die Frau aus der zweiten Reihe, Stellvertreterin zuerst von Staatsballett-Intendant Vladimir Malakhov, danach saß der Spanier Nacho Duato im Chefsessel und bis 2020 dann der Schwede Johannes Öhmann – gemeinsam mit Sasha Waltz. Seit deren Rücktritt sind Sie kommissarische Intendantin. Warum waren Sie eigentlich nie die gewählte Nummer eins?

Ich habe mich immer gut damit gefühlt, Stellvertreterin zu sein, ich habe mich in dieser Funktion ja dennoch für alles verantwortlich gefühlt. Ambitionen, die Nummer eins zu werden, hatte ich nie.

Ich habe mich immer gut damit gefühlt, Stellvertreterin zu sein.

Christiane Theobald

Warum nicht? Aus typisch weiblicher Bescheidenheit?

Ja möglicherweise. Wahrscheinlich habe ich doch nicht so viel Testosteron, wie ich mir immer eingebildet habe (lacht).

Was ist Ihre persönliche Bilanz nach all den Jahren im Dienst des Berliner Balletts?

Vieles ist entstanden, nicht alles habe ich umsetzen können. Reichlich Gegenwind habe ich erfahren und musste lernen, dass Change-Prozesse keine Selbstläufer sind. Aber ich konnte gestalten, vermitteln, Aufbruch erleben. Das war ein großes Geschenk. Momentan kann ich mir noch überhaupt nicht vorstellen, dass ein Tag kommt, an dem ich nicht mehr ins Staatsballett gehe. Das war 36 Jahre lang mein Leben. Ich habe noch keine Pläne für danach, aber ich bin froh, dass ich sagen kann: Ich habe meine Passion gelebt.

Zurück lassen Sie ein modernes, wokes Ballett, das pünktlich nach Hause gehen und ordentlich bezahlt werden will, das nicht nur vom Betriebsrat und Verdi vertreten wird, sondern auch noch eigene Sprecher organisiert hat. Muss sich Christian Spuck aus Zürich, der zur nächsten Spielzeit Intendant wird, auf ein vermintes Feld einstellen?

In einer offenen Kommunikation und in transparentem Handeln gibt es keine verminten Felder. Natürlich gibt es unterschiedliche Perspektiven, darüber muss man im Dialog bleiben. Ambiguität muss man aushalten.

Was geben Sie ihrem Nachfolger mit auf den Weg?

Dass er nie verlernt, Berlin zu lieben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Anja Caspary.

Sendung: Inforadio, 27.06.2023, 07:55 Uhr

1 Kommentar

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  1. 1.

    Da machst Du eine langjährige harte Ausbildung für das Ballett, stichst viele Mitbewerber in Wettbewerben aus, nur um am Ende mit Gleichgesinnten ein Plastikbox mit Kakteen hochzuhalten.
    Das sollte man allen Ballettaspiranten mal zeigen.

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