Kommentar | Wettanbieter als neuer Sponsor - Hertha BSC verrät seine eigenen Werte

Fr 04.08.23 | 15:18 Uhr | Von Marc Schwitzky
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Hertha-Präsident Kay Bernstein (links) und Geschäftsführer Thomas E. Herrich (imago images/Matthias Koch)
Bild: imago images/Matthias Koch

Hertha BSC hat am Freitag das Unternehmen Crazybuzzer – ein Online-Casino und Wettanbieter – als neuen Hauptsponsor vorgestellt. Damit bricht der Hauptstadtverein und vor allem Präsident Kay Bernstein mit den eigenen Werten. Ein Kommentar von Marc Schwitzky

"Stell dir vor, Hertha BSC verzichtet auf die schmutzige Sportwetten-Kohle", beginnt Kay Bernstein seinen "Sponsoring-Kodex", den er als künftiger Präsident im Verein einführen will. "Grundsätzlich müssen alle Sponsorings auf Ethik und Zukunftsfähigkeit geprüft werden." Die Ausrede "Wir brauchen aber das Geld" wäre eines Vereins wie Hertha BSC nicht würdig. Man würde als Herthaner nicht "jeden Scheiß" mitmachen, "schmutzige Sportwetten-Kohle" ablehnen und "doppelt so hart" an Alternativen arbeiten.

Diese Worte stammen aus Bernsteins Wahlprogramm aus dem Frühling 2022. Damals stellte der 42-Jährige eine opulente Sammlung an Ideen, Idealen und konkreten Umsetzungen vor, die ihn als Herthas Präsident auszeichnen sollten. Nach seiner Wahl zum Präsidenten im Juni vergangenen Jahres musste Bernstein schon mehrmals mit seinen Prinzipien brechen, doch nun ist wohl zum ersten Mal von einem Werteverrat zu sprechen.

Hertha BSC hat Crazybuzzer am Freitag als neuen Hauptsponsor vorgestellt. Das Unternehmen ist Teil von Merkur-Gauselmann und erst vor wenigen Tagen als Online-Plattform für Sportwetten und Automatenspiele an den Start gegangen. Damit ist Crazybuzzer exakt das, was Bernstein verachtet und verhindern wollte. Zukünftig wird ein zugegebenermaßen überaus hässliches "B" mit rotem Rund die Brust des Hertha-Trikots zieren.

Bernstein macht sich unglaubwürdig

Bernstein musste in seinem ersten Jahr als Hertha-Präsident schon viele Kröten schlucken und zugestehen, Fehler gemacht zu haben – ob in der Einschätzung von Situationen oder konkreten Handlungen. Es gibt keine Dauerkarte für 189,20 Euro, es wird keine Summe X pro Trikot an Bolzplätze gespendet, es gibt immer noch kaum Ruhe im Verein und den Gremien, die Abschiedskultur Herthas hat immer noch gewaltige Defizite.

Nun mögen einige dieser Dinge klar als Utopie gekennzeichnet gewesen und andere ein langwieriger Prozess sein, den es noch nicht endgültig zu bewerten gilt. Doch Sponsorings von Wettanbietern? Hier schien Bernsteins Haltung nicht verhandelbar zu sein, doch nun macht er sich öffentlich unglaubwürdig.

Doch Sponsorings von Wettanbietern? Hier schien Bernsteins Haltung nicht verhandelbar zu sein, doch nun macht er sich öffentlich unglaubwürdig.

"Ich habe in meinem Umfeld gesehen, wie schnell junge Menschen in diese Falle tappen können. (…) Das Wetten gab es zwar schon immer, aber in den letzten drei Jahren hat sich das nochmal geändert", erzählte Bernstein im Juni 2022 in einem Interview mit "t-online". "Wir machen Sky, DAZN oder Amazon an und kommen an diesem Thema nicht vorbei. Mir geht es darum zu sagen: Brauchen wir dieses Geld? Wir sollten nicht die Fans in die Hände der Wettmafia jagen."

Nahezu perfide wirkt in diesem Licht die Aussage von Crazybuzzer, man hoffe, "dass die Anhängerinnen und Anhänger mit dem Buzzer noch viel Spaß haben werden – auf dem Trikot sowie online auf unserer Plattform." Die Website des Online-Casinos und Wettanbieters ist in Herthas Pressemitteilung dank Link bequem mit nur einem Mausklick zu erreichen – viel direkter kann man seine Fans nicht in die Hände jener "Wettmafia" jagen. So viel dazu.

Hertha BSC ist verzweifelt

Dass es kaum einen größeren Verrat an den eigenen Werten gibt und das neue Sponsoring eine herbe Niederlage ist, werden auch die Verantwortlichen bei Hertha selbst wissen. Allein der späte Zeitpunkt – die Pflichtspielsaison hat immerhin bereits begonnen – zeigt bereits, dass sich der Klub mit jener Entscheidung schwergetan haben muss.

Hertha gehörte zu den wenigen deutschen Profivereinen, die vor wenigen Tagen noch keinen Hauptsponsor auf der Trikotbrust trugen. Der FC Schalke 04 hat erst vor einer Woche Veltins als neuen Hauptsponsor präsentiert – und ob ein Alkoholhersteller, wenn jeglicher Kult beiseitegelegt wird, moralisch vertretbarer als ein Wettanbieter ist, lässt sich diskutieren. Der VfB Stuttgart musste mit Winamax vor wenigen Tagen ebenfalls auf einen Online-Wettanbieter zurückgreifen, Drittligist SV Waldhof Mannheim präsentierte erst am Donnerstag ebenso Crazybuzzer als neuen Hauptsponsor.

Der Crazybuzzer-Deal zeigt die gesamte wirtschaftliche Verzweiflung von Hertha BSC auf.

Corona, Krieg, Inflation – der Sponsoringmarkt im Fußball ist nahezu ausgetrocknet. Das spürt Hertha bereits seit Jahren, in denen der Verein ein Sponsoring-Deal nach dem anderen überaus spät und wenig enthusiastisch präsentiert. Dass die "alte Dame" aufgrund der vergangenen Jahre darüber hinaus keinesfalls als attraktiver Sponsoring-Partner gilt, kommt noch erschwerend hinzu. Solch eine undankbare Marktsituation schreckt seriöse Unternehmen ab und lockt umso mehr die fragwürdigen, die um jene Notlage wissen, an. Der Crazybuzzer-Deal zeigt die gesamte wirtschaftliche Verzweiflung von Hertha BSC auf.

Und doch ist das Ergebnis dasselbe: mit einem Online-Casino- und Wettanbieter auf der Brust und den eigenen medialen Plattformen zu werben, ist moralisch nicht vertretbar und schadet der Glaubwürdigkeit Bernsteins massiv. Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) sind in Deutschland rund 430.000 Menschen von einem problematischen Glücksspielverhalten oder einer Glücksspielsucht betroffen. Die BZgA-Studiendaten zeigen auf, dass nahezu jeder fünfte Spielende von Online-Casinospielen ein problematisches oder abhängiges Spielverhalten zeigt. Hertha BSC könnte zukünftig zu diesen Zahlen beitragen – Zahlen, die in kaputten Familien und Leben enden können.

Eine Utopie bleibt eine Utopie

Nun könnte vom ernüchterten Fußball-Fan das Argument hervorgebracht werden, dass es nun niemanden mehr verwundern sollte, dass Profiklubs für Geld ihre Werte verkaufen. Tausend Mal gesehen und erlebt. Zum einen zeigt das aber nur den ethisch erbärmlichen Zustand dieses Sports auf. Zum anderen ignoriert jenes Argument, dass Präsident Bernstein sich bewusst als "anderer" Präsident und Hertha als "anderen" Verein aufbauen und inszenieren will. Die Berliner lehnen sich seit einiger Zeit sehr gezielt in die Richtung der Fußballromantik – Sponsorings wie diese höhlen all das jedoch aus.

Bernstein muss derzeit schmerzlich lernen, wie unromantisch das Fußballgeschäft und Herthas finanzielle Realität ist. Eine Utopie bleibt eine Utopie. Nach und nach muss er mit seinen Prinzipien brechen oder sie zumindest aufschieben. Die Frage ist, ob es Bernstein bei diesem moralischen Spagat irgendwann zerreißt. Ob die Hertha-Fans irgendwann kein Verständnis mehr für die verzwickte Situation der Verantwortlichen und die "Alternativlosigkeit" der eingeschlagenen Wege aufbringen können.

Am Ende wird die Erklärung für das Crazybuzzer-Sponsoring "Wir brauchen aber das Geld" heißen. Nur ist diese Ausrede eines Vereins wie Hertha BSC vermeintlich nicht würdig.

Sendung: rbb24 Inforadio, 04.08.2023, 15:15 Uhr

Beitrag von Marc Schwitzky

34 Kommentare

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  1. 34.

    Was schreiben Sie sich denn da zusammen?!? Wiesenhof ist doch schon 2012 bei Werder als Hauptsponsor eingestiegen. Ihre Ausführungen wirken ziemlich krude...

  2. 33.

    Wickelt den Verein ab.
    Dann haben die Fan ihren ehrlichen Berlinliga-Verein !
    Alles auf eine Linie , nur Loser-Vereine "Senat & Hertha" !

  3. 32.

    Für mich klingt es logisch, daß die Laune der Fans ebenso mitentscheidend ist für den Erfolg eines Vereins, wie der Gelingen im Lande mit der Laune seiner Bürger zusammenhängt, etc., denn Glück und Erfolg scheinen eng verbunden, dennoch mag es sein das meine Interpretation "hinkt" und der signifikante Einbruch von 18/19 zu 19/20 andere Gründe hatte.

    Es sei jedoch bemerkt, daß Werder in der ersten Saison unter Wiesenhof das schlechteste Ergebnis (31) seiner Bundesligageschichte erzielte und nur mit übergroßem Glück dem Abstieg in der Relegation entronn, obwohl keines der beiden Spiele gewonnen werden konnte, nachdem in der Vorsaison (ohne Wiesenhof), nach langen Durstjahren, endlich mal wieder ein Ergebnis über 50 Punkte realisiert wurde. Ein Jahr darauf reichten ebenfalls nur 31 Punkte nicht mehr zum Klassenerhalt.

    Mir ist die Übereinstimmung mit dem strittigen Sponsor aufgefallen und ich werde weiterhin ein besonderes Auge auf Werder und auch auf die Hertha werfen.

  4. 31.

    Nun messen Sie dem Sponsor mit Ihrem Beispiel aber etwas zu viel Bedeutung bei. Bei Werder ging es sportlich schon seit 2010 bergab, Werder fand sich auch in den Jahren vor dem Wiesenhof-Einstieg regelmäßig im Abstiegskampf wieder. Und für Wiesenhof als Sponsor gab es zwar von den Fans deutliche Kritik, dennoch hat der Support nicht darunter gelitten, war im Abstiegskampf sogar regelmäßig sehr beeindruckend.

    Ein Glücksspielanbieter ist aber nochmal eine andere Hausnummer, wird doch letztendlich darauf abgezielt, die "eigenen" Fans abzuzocken. Das mit dem Link in der Pressemitteilung kann bzw. will ich immer noch nicht glauben. Einfach so krass...

  5. 30.


    Es lohnt sich im Spitzensport nicht, sich fragwürdige Sponsoren mit ins Boot zu holen, denn von den Fans sich dadurch auf den Verein übertragende schlechte Stimmung könnte die Leistungsfähigkeit des eigenen Teams mindern.

    Als Beispiel möchte ich Werder Bremen benennen, die sich seit dem von den Fans hart kritisierten Einstieg bei der Hähnchenschlachterei Wiesenhof in 2019, jede Saison nur noch im Abstiegskampf wiederfanden und 2021 gar in die 2.Liga absteigen mussten. Stimmt die Theorie, hätte Hertha in den nächsten Jahren absolut nichts mit dem Aufstieg zu tun.

    Ab dieser Saison hat Werder nun einen neuen Trikotsponsor gefunden und so könnte es wieder aufwärts gehen und ein einstelliges Ergebnis möglich werden. Mal beobachten.




  6. 29.

    Nun ist es offiziell. Hertha spielt immer mit einem ,,B"-Team. Genau mein Humor. Hoffentlich bleibt es dabei, denn eigentlich beginnt ,,Crazybuzzer" ja mit einem C.

  7. 27.

    Danke. Einer der wenigen Kommentare, der sich hier ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzt. Ohne Häme, Spott und Pöbelei.

  8. 26.

    Hätte mir Tesla (mit großem 'T' auf der Brust) oder die Adler Group ('A') als sauberes, unbelastetes Unternehmen natürlich lieber gewünscht. Warum nicht auch 'R'ammstein?
    Der Deal mit 'B' ist moralisch unterste Stufe, aber wirtschaftlich vertretbar.
    Es ist allerdings noch viel Luft nach oben (auch sportlich) um ein berliner Unternehmen davon zu überzeugen, seine Werbekohle in einen Zweitligisten zu investieren.
    Mir fiele da spontan Eis 'Da Dalt' ein, was zumindest schon mal namentlich passt.

  9. 24.

    Ob da jemand hinterm Mond lebt? Wie kann man denn noch solche Ansprüche an Hertha haben? Werdet euch der Realität bewusst, die alte Dame stirbt! Millionen verbrennen, einen Ex-hooli wie Bernstein zum Chef machen, Expertise wie Klinsmann vergraulen und jetzt meckern über Werteverkauf und fehlende Abgaben für Bolzplätze. Bemerke, das sind Entscheidungen für das Überleben des Vereins, fast ein Investment in die eigene Zukunft und sicher kein Zuckerschlecken. Hertha kann froh sein, dass überhaupt eine Lizenz für die Zweite Liga erteilt wurde.
    Und genau dort liegt das Problem!: "Nur ist diese Ausrede eines Vereins wie Hertha BSC vermeintlich nicht würdig."
    Wer ist eigentlich Hertha BSC? Genießt die Spiele in Olympiastadion! Bald werdet ihr es euch nicht mehr leisten können dort zu spielen. Sollten die Roten dort in der CL erfolgreich spielen, beschleunigt dies Herthas tot potenziell.

  10. 23.

    Da hat die Hertha mal gleich ganz Crazy gespielt. Das Präsi Kay seine Werte über Bord wirft, wo soll das hinführen? Harlekins als Halbzeit-Cheerleader fürn bisschen Kohle...

  11. 22.

    Und wer fragt sich noch, warum ein Windhorst bei Hertha einsteigen konnte? Und der größte "Kritiker" dieses Deals geht nun ähnliche Wege!
    Ja, im Profifußball (und nicht nur dort) gilt als einziger Wert das Geld! Jeder andere Wert wird nur dann propagiert, wenn es den finanziellen Weg nicht entgegensteht!
    Und gerade ein Verein mit derart viel Hass gegen Union in den Fan-, Mitglieder- und Vorstandsreihen zeigt den ganzen Neid, dass das eigenes Versagen verdecken soll!
    Auch Union ist nicht ganz frei von solcher "Philosophie", nur agieren sie unter Zingler viel erfolgreicher!
    Ein eisernes HaHoHe

  12. 20.

    Ich finde es unfassbar, wenn in extremster wirtschaftlicher Not von Verrat gesprochen wird. Was sich hier offenbart, ist Scheinmoral - typisch für unsere Zeit.
    Ja, Bernstein kommt in der Realität hart an. Und muss das erklären.
    Alle Herthaner, die hier Verrat rufen, sind offenbar mit der Regionalliga zufrieden.

    Mir als Eiserner soll es letztlich egal sein. Aber scheinheilig ist das und zeigt, dass nicht nur die Vereinsführung sondern auch Hertha-Fans Schaden genommen haben.

  13. 19.

    Ganz guter Artikel, der jedoch nicht weit genug reicht. Denn er beleuchtet nur die klamme Hertha bzw. zeigt auf wie schnell im Sport die Moral ad acta gelegt werden kann. Das Thema ist nämlich viel größer als der aktuelle Hertha-Deal, denn die Wettmafia hat sich im nationalen und internationalen Profisport längst breit gemacht und festgesetzt. Schaut euch bitte mal den folgenden Faktencheck an und stellt euch mehr Fragen als nur die Hertha-Frage…siehe auch „Bündnis gegen Sportwettenwerbung“

  14. 18.

    Warum wird Kampagnenmässig mit dem "Berliner Weg" derartig auf die Kacke gehauen, um am Ende doch wieder "Business as usual" zu machen. Das ist krumm & schief und vor allem billig ! Hoffentlich wird Bernstein bei der nächsten Wahl abgewählt.

  15. 17.

    Einfach nur noch unglaublich was da bei Hertha passiert. Schade. Und dann noch ein sich prostituierender „Präsident“. Die armen Fans.

  16. 16.

    Es ist nicht nur ein eklatanter Wortbruch, Hertha hat den Verrat an den Werten des Sport einfach auf die Spitze getrieben. Das mit dem Link in der Pressemitteilung ist so krass unglaublich...

  17. 15.

    es ist soooooooo schade, Grüße aus Köpenick......
    übrigens, egal wer die Sponsoren sind, Tore schießen immer noch die, die den Ball bewegen.......
    wird wohl nischddd werden mit dem Stadtderby in nächster Zeit ...... :-(

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