Awareness, Barrierefreiheit, Vielfalt - So stellen sich Festivals in der Region nach den Krisenjahren auf

Sa 27.05.23 | 17:07 Uhr | Von Sebastian Hampf
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Symbolbild:Tanzende beim Festival Wilde Möhre in Brandenburg.(Quelle:imago images/P.Weisflog)
Bild: imago images/P.Weisflog

Die Festivalsaison beginnt, der Vorverkauf läuft vielfach schon auf Hochtouren. Aber: Ist alles wie früher oder gibt es Nachwirkungen durch die Krisen der letzten Jahre? Sebastian Hampf hat sich bei Veranstalter:innen umgehört.

Wer in diesem Sommer festivalhungrig ist, muss nicht zwingend weit wegfahren, um die Synapsen vom Alltag zu entkoppeln. Mehr als 30 Festivals finden in Berlin und Brandenburg statt – die meisten davon irgendwo zwischen Kiefernwäldern, grünen Wiesen und Seen in der Mark. Musikalisch ist das Angebot ebenfalls breit aufgestellt: Techno, House, Goa, Metal, Rock, Pop, HipHop oder Punk, alles ist am Start. Corona und Abstandsregeln stehen dem ausgelassenen Feiern in diesem Jahr auch nicht mehr im Weg. Ist also alles wieder beim Alten?

Der letzte Sommer war geprägt vom Krieg gegen die Ukraine, in den Köpfen vieler Menschen die Pandemie noch Thema. Das spürten auch Festivalbetreiber:innen. Die Auslastung des Vor-Corona-Niveaus erreichten die meisten Festivals 2022 noch nicht.

Ines Weißbach von Pop-Kultur Berlin sieht den Vorverkauf in diesem Jahr positiv, wie sie sagt: "Es läuft besser als im Vorjahr. 2022 war das Publikum coronabedingt noch nicht bereit, sich frühzeitig Tickets zu kaufen." Auch das Lollapalooza erwartet ähnlich viele Bersucher:innen wie in früheren Jahren.

Alexander Dettke vom Wilde Möhre Festival sagt, er merke allerdings am Vorverkauf, dass das Geld, trotz gutem Ticketverkauf, nicht so locker sitze wie früher: "Wir vermuten, dass die Inflationskrise vor allem Studierende, die zu unserem Kundenkreis gehören, hart trifft."

Höhere Ticketpreise, kostenloses Trinkwasser

Energiekrise, Inflation, Fachkräftmangel - diese Probleme haben auch die Festivals getroffen und vor neue Herausforderungen gestellt. "Dass die Corona-Pandemie nicht mehr so arg im Nacken sitzt, führt zu etwas mehr Gelassenheit bei der Planung. Gleichzeitig blicken wir natürlich auf die umgebenden Krisen, die uns alle beeinflussen. Dass zum Beispiel vieles teurer geworden ist, macht auch bei der Festivalvorbereitung einen großen Unterschied", sagt Ines Weißbach von Pop-Kultur Berlin.

Höhere Produktionskosten und Personalkosten wirken sich auch auf die Ticketpreise aus. Doch man versuche, die Preiserhöhung "so gering wie möglich zu halten", sagt Marlene Ryba vom Lollapalooza.

Alexander Dettke vom Wilde Möhre Festival ergänzt: "Die Planung eines Festivals ist immer mit einer gewissen Portion Herausforderungen und Stress verbunden. Dennoch versuchen wir, mit Leidenschaft und Engagement an die Planung heranzugehen. Das dritte beziehungsweise vierte Jahr in einer Art Krise zu veranstalten, zehrt aber an der Substanz".

Zu den Preisen für Speisen und Getränke äußerten sich die Festivals unterschiedlich. Einige wollen sie auf Vorjahresniveau halten, andere werden die Preise geringfügig erhöhen. Immerhin: auf den meisten Festivals gibt es Trinkwasserstationen, an denen die Gäste sich kostenlos mit Wasser versorgen können.

Viele Veranstalter:innen haben die Zeit auch dafür genutzt, die eigenen Festivals auf den Prüfstand zu stellen. Dabei ging es nicht nur um die Planung des Line-Ups. Was kann getan werden, um das Festivalerlebnis noch besser zu machen? Bietet das Festival einen Safe Space für alle Besucher:innen? Wie nachhaltig ist ein Festival?

Awareness-Teams unterstützen und hören zu

Ähnlich wie viele Clubs, setzen Festivals verstärkt Awareness-Teams ein. Awareness-Teams bieten Hilfe an bei Fällen von Diskriminierung, übergriffigem Verhalten und sexualisierter Gewalt.

So hat das Bucht der Träumer-Team sich intensiv damit beschäftigt, die eigene Rolle zu hinterfragen. "Wir möchten einen Raum schaffen, der von gegenseitigem Respekt und Konsens geprägt ist", schreiben sie auf ihrer Webseite. Jedes Crewmitglied muss darum in der Aufbauphase des Festivals an einem Awarenessworkshop teilnehmen. Das Awareness-Team wird auf dem Festival dann mit einem großen und erfahrenen Aufgebot präsent sein, zuhören und unterstützen, wenn es nötig ist.

Auch auf dem Lollapalooza Festival in Berlin werden Awareness-Teams für die Besucher:innen ansprechbar sein. "Geschultes Personal wird auf dem Festival präsent sein, um jeglicher Form von Diskriminierung entgegenzuwirken", sagt Marlene Ryba.

Awareness ist ein wichtiger Baustein im Festival-Gefüge geworden, wie auch das Thema Inklusion. Inklusions-Tickets sind für alle Festivals erhältlich, ein barrierefreier Zugang zu vielen Bereichen ebenfalls möglich. Dennoch bleibt das komplett inklusive Festivalerlebnis - mit Rampen, Übernachtungsmöglichkeiten, Stromversorgung oder Sanitäranlagen - der Ausnahmefall.

Dass es funktionieren kann, zeigen die Macher:innen des Wurzelfestivals. Seit Beginn vor zehn Jahren kommen auf dem Gelände nahe eines ehemaligen Militärflugplatzes Menschen mit und ohne Behinderung zusammen und feiern. Wege und Rampen wurden gebaut, barrierefreie Zelte organisiert und in diesem Jahr kommt ein eigener Dusch-Container dazu. Vier Tage Festivalerlebnis - all inclusive.

Geschlechtervielfalt auf den Bühnen?

Beim Thema Vielfalt und Gleichberechtigung auf der Bühne gab es in den vergangenen Jahren noch viel Luft nach oben und ein Ungleichgewicht in Richtung männlicher Künstler. Auch beim Line-Up der Festivals hat sich 2023 einiges getan.

Das Lollapalooza stellt im zweiten Jahr in Folge ein 50/50 Line-Up. "2023 sind 53 Prozent Acts mit mindestens einer weiblichen/nicht-männlichen Person dabei", sagt Marlene Ryba. Noch diverser sieht es beim Pop-Kultur Berlin aus. "Das Liveprogramm (Konzerte und Auftragsarbeiten) wird zu 50 Prozent von weiblichen Personen, zu 12,5 Prozent von queeren Personen und zu 37,5 Prozent von männlichen Personen performt", verrät Ines Weißbach. Auch Alexander Dettke vom Wilde Möhre Festival sieht die Entwicklung positiv: "Beim Lusatia Festival sind wir genau bei 50/50 in der Verteilung der Geschlechter und bei der Wilden Möhre bei 35 bis 40 Prozent."

Gemeinsame Infrastrukturen nutzen

Die Nachfrage nach Festivals bleibt groß, und auch die Festivalbetreiber:innen sehen dem Sommer positiv entgegen – trotz aller Krisen. Vielmehr haben die Herausforderungen kreative Lösungen gefordert, um auch in Zukunft Festivals durchführen zu können. So nutzen einige Festivals gemeinsame Infrastrukturen: Wilde Möhre, Prærie-Festival und das Lusatia Festival finden am gleichen Ort statt. Dadurch müssen Bühnen und Bars nur einmal statt dreimal aufgebaut werden.

Das Lollapalooza nutzt weitestgehend wiederverwendbares Geschirr, möglichst aus nachwachsenden Ressourcen. Auf vielen Festivals werden die Besucher:innen aktiv angesprochen, Müll zu vermeiden und nichts achtlos in die Natur zu werfen. Veränderungen gehen eben alle an und können nur gemeinsam geschafft werden. Das bezieht die Gäste mit ein.

Der Anspruch auf einen besseren und nachhaltigeren Umgang - mit der Natur und miteinander - steckt den Rahmen vieler Festivals ab, in dem zu Basswellen, Gitarrenriffs oder Technobeats auch in diesem Jahr wieder ausgelassen gefeiert werden darf. Lediglich zwei Festivals in Brandenburg und eins in Berlin wurden für dieses Jahr abgesagt, ein weiteres, das Fluid Festival, direkt auf 2024 verschoben: Das Helene Beach Festival findest nicht statt, weil der Helenesee weiterhin gesperrt ist, beim Tempelhof Sounds kann die Lärmschutzvorgabe nicht erfüllt werden, und wer bereits Tickets für das Artlake Festival gekauft hat, kann damit alternativ auf das Feel Festival ausweichen.

Für alle anderen Festivals gilt: Es ist alles etwas teurer in diesem Jahr, gefeiert werden kann trotzdem – oder gerade deshalb.

Sendung: Radioeins, 24.05.2023, 13:10 Uhr

Beitrag von Sebastian Hampf

6 Kommentare

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  1. 6.

    Ach was solls. "Prærie" ist ein Eigenname, wie die Spielzeugkette mit dem "umgedrehten" R auch und Festivalbetreiber:innen machen auch Open Air Events - also außen. Solange wie jeder kann, aber keiner muss, ist es doch für beide Seiten erträglich und bei dem schönen Wetter ist es noch viel leichter über den eigenen Schatten zu springen.

  2. 5.

    Oh weia, diese Texte mit den falschen gesetzten Sonderzeichen in Namen ist einfach nur noch grausam und nicht mehr lesbar, schade wäre sonst bestimmt interessant gewesen.

  3. 3.

    "Schon mal nen Hasen gefragt was er von Techno hält? "
    Ja, letztes Jahr in Wacken. War auch nicht seine Musikrichtung. \m/

    Aber mal ehrlich ... Besucher weg, Hasen wieder da - freiwillig.

  4. 2.

    « Der Anspruch auf einen besseren und nachhaltigeren Umgang - mit der Natur und miteinander - steckt den Rahmen vieler Festivals ab, in dem zu Basswellen, Gitarrenriffs oder Technobeats auch in diesem Jahr wieder ausgelassen gefeiert werden darf. »
    Geht’s noch widersprüchlicher. Schon mal nen Hasen gefragt was er von Techno hält? Natur ist nach Sonnenuntergang still, außer Raubtiere bzw. Mensch. Bei Licht singen die Vögel und Insekten schwirren herum. Alles was auf diesen BumBummBallmann-Rumgehopse-Abdrehevents abgeht ist all zu menschlich, aber jenseits von NATUR und Nachhaltigkeit – außer die Triebhaftigkeit gilt als KULTURGUT. Hierzu ein Bewußtsein (ohne dämliche Anglizismen) zu schaffen wäre tatsächlich ein Beitrag die Welt zu verbessern. Aber dazu sind alle viel zu konsumgeil und bilden sich ein mit Müllvermeidung und Vegankult einen fundamentalen Beitrag zu leisten. Wirverblöden immer mehr – in und außerhalb der Presse. Warum klebt sich dagegen niemand fest?

  5. 1.

    Hauptsache die Jugend amüsiert sich, damit deren nächste Generation was zum meckern hat. Es ist wie schon immer! Schuld werden wieder die Alten sein!

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