60 Jahre Bundesliga | Teil 1 - Ein geschenkter Aufstieg für Tasmania Berlin

Mo 14.08.23 | 11:02 Uhr | Von Lukas Witte
  2
Die Mannschaft von Tasmania Berlin in der Bundesliga-Saison 1965/66 (imago images/Horstmüller)
Bild: imago images/Horstmüller

In der Spielzeit 1965/66 spielte Tasmania Berlin die bis heute schlechteste Bundesliga-Saison aller Zeiten. Kein Wunder, schließlich hatte sich der Klub sportlich gar nicht für die 1. Liga qualifiziert. Wie ein geschenkter Aufstieg zum Konkurs führte. Von Lukas Witte

Bis heute steht wohl kein anderer Fußballverein so sehr als Synonym für Erfolgslosigkeit wie Tasmania Berlin. Der Klub aus Neukölln stellte in seiner einzigen Erstligasaison 1965/66 gleich mehrere Bundesliga-Negativrekorde auf, die bis heute Bestand haben. Die wenigsten Siege, die wenigsten erzielten Tore, die meisten Gegentore und sogar die wenigsten Zuschauer aller Zeiten – nur ein Auszug aus dem verheerenden Ausflug von Tasmania ins Oberhaus.

Viele kennen diese Negativrekorde, doch nur wenige wissen, wie es der Klub aus Neukölln damals überhaupt in die Bundesliga geschafft hat. Denn sportlich hatte es dafür eigentlich nie gereicht. Stattdessen bekamen sie den Aufstieg geschenkt - wegen illegaler Machenschaften eines Stadtrivalen und der politischen Situation.

Nicht berücksichtigt vom DFB

Vor der Einführung der Bundesliga war der SC Tasmania 1900 einer der erfolgreichsten Vereine der Hauptstadt. Dreimal wurden sie Berliner Meister, fünfmal gewannen sie den Pokal. Als der DFB im Jahre 1963 die Bundesliga ins Leben rief und Gründungsmitglieder suchte, rechnete man sich bei Tasmania also gute Chancen aus und bewarb sich um die Berücksichtigung.

Stattdessen bekam mit Hertha BSC am Ende ein Rivale den Zuschlag. Die "Alte Dame" war gerade Stadtmeister geworden und galt als der prominentere Verein in West-Berlin, zumal er ja bereits zwei Mal deutscher Meister geworden war (1930 und 1931). In der neugegründeten Bundesliga taten sich die Charlottenburger allerdings schwer. In ihren ersten beiden Saisons konnten sie sich jeweils mit dem 14. Tabellenplatz nur gerade so vor dem Abstieg retten.

Handgeld-Skandal bei Hertha öffnet die Tür

Um weiter nach oben zu kommen, lockte Hertha daraufhin hochklassige Spieler mit hohem Handgeld – und zwar mit deutlich mehr als der DFB erlaubte. Dieser hatte damals strenge Regeln über die Höhe von Gehältern und Boni. Der Verband kam dem Klub aus dem Westend auf die Schliche und schloss ihn von der Bundesliga aus. "Es ist davon auszugehen, dass alle Vereine diese Grenzen überschritten haben. Spitz formuliert könnte man aber sagen, dass Hertha sich nur nicht wirklich klug angestellt hat, um das Ganze zu vertuschen", erzählt Thomas Schneider. Der Kulturwissenschaftler und Historiker arbeitet eng mit dem Berliner Fußballverband zusammen und hat sich ausgiebig mit der Geschichte des Berliner Sports beschäftigt.

60 Jahre Bundesliga

RSS-Feed
  • Bernhard Brink
    IMAGO/mix1

    60 Jahre Bundesliga | Teil 2 

    Wie Schlagerstar Brink Blau-Weiß 90 ein musikalisches Denkmal setzte

    Blau-Weiß Berlin, das war ein One-Hit-Wonder in der Bundesliga, mit einer Vereinshymne, die bleibt. Gesungen hat sie Bernhard Brink, der sich an einen denkwürdigen Auftritt mit dem Team erinnert. Von Shea Westhoff

  • Dettmar Cramer im Jahr 1976 an einer Taktiktafel. Quelle: dpa/Istvan Bajzat
    dpa/Istvan Bajzat

    60 Jahre Bundesliga | Teil 3 

    Hertha-Trainer für einen Tag

    Am 9. Juli 1974 wird Dettmar Cramer als neuer Trainer von Hertha BSC vorgestellt. Seinen Vertrag annuliert der Trainer allerdings noch am selben Abend. Aus Gründen, die erst Jahrzehnte später aufgeklärt werden. Von Jonas Bürgener

  • Benny Wendt beim Flugkopfball gegen Georg Schwarzenbeck vom Bayern München (Foto: imago images / WEREK)
    imago images / WEREK

    60 Jahre Bundesliga | Teil 4 

    Ein Schwede verzaubert Berlin

    Nur ein einziges Jahr ging Benny Wendt für Tennis Borussia Berlin in der Bundesliga auf Torejagd. Doch dieses eine Jahr hatte es in sich: 20 Treffer gelangen dem sympathischen Schweden und machten ihn zu einer lila-weißen Ikone.

  • Das Sportfoto des Jahres 2019: Sebastian Polter bejubelt gemeinsam mit seinen Teamkollegen den Siegtreffer gegen Hertha BSC im ersten Bundesliga-Hauptstadtderby (Sebastian Wells)
    Sebastian Wells

    60 Jahre Bundesliga | Teil 5 

    Ein ikonisches Foto

    Das Foto vom jubelnden Union-Stürmer Sebastian Polter wurde 2019 zum Sportfoto des Jahres gekürt. Hinter dem Bild steckt eine emotionale Partie und ein historischer Moment der Berliner Bundesliga-Geschichte.

  • Ungläubig blickt Cottbus-Keeper Tomislav Piplica nach seinem Eigentor dem Ball hinterher (picture alliance/dpa/Jörg-Florian-Eisele)
    picture alliance/dpa/Jörg-Florian-Eisele

    60 Jahre Bundesliga | Teil 6 

    Tomislav Piplica und das preisgekrönte Eigentor

    Bis heute ist das legendäre Eigentor von Cottbus-Torwart Tomislav Piplica unvergessen. Sein kurioses Missgeschick machte ihn 2002 in ganz Fußball-Deutschland bekannt und brachte ihm viel Spott ein - aber auch einen Preis. Von Lukas Witte

Durch das Ausscheiden von Hertha musste nun ein neues Team für die Saison 1965/66 in die 1. Liga nachrücken. Wegen der politischen Situation war dabei schnell klar, woher dieses kommen musste. "Von Seiten der gesamten Öffentlichkeit und Presse gab es die Haltung, dass wenn Hertha BSC ausgeschlossen wird, ein anderer Berliner Verein die Stadt innerhalb der Bundesliga vertreten und somit die Zugehörigkeit West-Berlins zur Bundesrepublik Deutschland demonstrieren sollte", sagt Schneider.

Spandauer SV lehnte Aufstieg ab

Zu diesem Zeitpunkt war Tennis Borussia aktueller Meister der Berliner Vertragsliga, hatte sich allerdings in der bereits ausgetragenen Aufstiegsrunde nicht für die Bundesliga qualifiziert und wurde deshalb nicht berücksichtigt. Also bot der DFB dem zweitplatzierten Spandauer SV den Aufstieg an. Dieser lehnte jedoch ab und traute sich diesen großen Schritt nicht zu. "Aus heutiger Sicht war das damals eine schlaue Entscheidung, das Angebot abzulehnen", sagt Schneider.

Als nächstes machte der DFB sein Aufstiegsangebot also dem Tabellendritten Berlins – dem SC Tasmania. Dort zögerte man nicht lang. "Es war bestimmt auch eine gewisse Genugtuung, dass man nach der Nichtberücksichtigung für die Bundesliga im Jahr 1963 nun anstelle von Hertha BSC im Oberhaus spielen kann. Deshalb hat man sicherlich mit großer Euphorie ja gesagt, wusste aber noch nicht, was das letzten Endes bedeuten würde", erzählt Schneider.

Nicht bereit für die 1. Liga

Zu diesem Zeitpunkt hatte Tasmania einen Kader, der so langsam seinen Zenit überschritten hatte. Das Zeitfenster, um noch einmal nachzubessern und sich richtig auf die neue Herausforderung vorzubereiten, war allerdings schmal. Die Entscheidung zum Aufstieg fiel Mitte Juli, nur wenige Wochen vor dem Start der neuen Bundesliga-Saison.

Viele von Tasmanias Spielern waren bereits im Sommerurlaub und hatten davon gar nichts mitbekommen. "Die mussten dann mittels eines Reiserückrufes im Radio zum Training nach Hause gerufen werden", erzählt Schneider. Und bis auf Nationalspieler Horst Szymaniak, der aus Italien nach West-Berlin wechselte, konnten sie auch keine prominenten Neuzugänge mehr verzeichnen.

Was dann passierte steht bis heute in den Geschichtsbüchern der Bundesliga. Tasmania schoss die wenigsten Tore (15), holte die wenigsten Siege (2), bekam die meisten Gegentore (108), kassierte die meisten Niederlagen (28), musste die höchste Heimniederlage hinnehmen (0:9 gegen den Meidericher SV) und verzeichnete die wenigsten Zuschauer bei einem Spiel (827 gegen Borussia Mönchengladbach).

Der Anfang vom Ende

Es folgte der direkte Wiederabstieg. Doch trotz des katastrophalen Abschneidens schienen die Verantwortlichen beflügelt von dem kurzen Ausflug ins Oberhaus und bemühten sich umgehend um eine Rückkehr in die Bundesliga. Sie investierten hohe Summen in Neuzugänge und Spielergehälter. Dreimal in Folge erreichte Tasmania so die Aufstiegsrunde, scheiterte aber jedes Mal knapp.

Als Spätfolge der hohen Investitionen und des verpassten Wiederaufstiegs hatte Tasmania nach einiger Zeit 800.000 DM Schulden angehäuft. Für die damalige Zeit ein Genickbruch. Im Jahr 1973 musste der Verein Konkurs anmelden und löste sich auf. Der inoffizielle Nachfolgeverein trug dann den Namen SV Tasmania 73 Neukölln und musste wieder ganz von vorne in der niedrigsten Spielklasse beginnen.

Heute in der 5. Liga

Aus heutiger Sicht kann man also die Entscheidung, damals das Aufstiegs-Angebot des DFB angenommen zu haben, wohl als größten Fehler der Vereinsgeschichte bezeichnen. Fußball-Historiker Schneider hat trotzdem Respekt davor: "Der Mut, das Abenteuer Bundesliga angetreten zu haben, sorgt zwar bis heute bei manchen für Hohn und Spott, ist aber nicht zu verachten. Ich finde, die Tasmania-Spieler haben in der damaligen Zeit und unter den Gegebenheiten die Häme nicht verdient."

Heute spielt der Verein unter dem Namen SV Tasmania Berlin in der fünften Liga. Von der Bundesliga ist man Lichtjahre entfernt. Und doch hat es der Neuköllner Klub durch seinen geschenkten Aufstieg in die Bundesliga vor fast 60 Jahren zu einiger Bekanntheit gebracht und hält bis heute Erstliga-Rekorde – wenn auch negative.

Sendung: rbb24, 15.8.2023, 18 Uhr

Beitrag von Lukas Witte

2 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 2.

    SSV war ein cooler Kiezverein und spielte in der reinen Fussballarena in der Neuendorfer Str. in Spandau!
    Auch bei Wacker 04 hat der Ausflug in die 2. Liga Nord zu Auflösung geführt!

  2. 1.

    Der ablehnende Verein hieß „Spandauer SV“ (nicht SVSpandau) und musste 10 Jahre später seinen Ausflug in die zweigeteilte 2. Bundesliga ebenfalls mit der Insolvenz und später sogar mit seiner Auflösung bezahlen

Nächster Artikel