Sparkurs in Berlin angekündigt - Bezirke sollen Listen erstellen, "was wirklich wichtig ist"

Do 29.06.23 | 19:22 Uhr
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Archivbild: Stefan Evers (CDU), Finanzsenator, spricht auf einer Pressekonferenz nach der Sitzung des Berliner Senats. (Quelle: dpa/J. Carstensen)
Video: rbb|24 Abendschau | 29.06.2023 | T. Rostek / F. Drescher / C. Winterhagen | Bild: dpa/J. Carstensen

Die Berliner Bezirke müssen voraussichtlich massive Einsparungen vornehmen. Das gehe vor allem zu Lasten sozialer Einrichtungen, warnen die Bezirke. Finanzsenator Evers will nun Kompromisse finden - Sparen sei aber unumgänglich.

  • Finanzsenator Evers will mit Bezirken über Sparmaßnahmen sprechen
  • Bezirke beklagen, dass besonders soziale Projekte und Einrichtungen eingespart werden müssten
  • Einige Bezirke sprechen von Einsparungen um die 20 Millionen Euro
  • Wohlfahrtsverbände warnen Senat vor zu harten Einsparungen im Sozialbereich

Nachdem mehrere Berliner Bezirke aufgrund des Senats-Haushaltsplans für 2024/25 massive Kürzungen vor allem im Sozialbereich angekündigt haben, signalisiert Finanzsenator Stefan Evers (CDU) Gesprächsbereitschaft. Dem rbb sagte Evers, er habe "Verständnis, dass es eine gewisse Unzufriedenheit gibt." Die von den Bezirken kritisierten Haushaltszahlen gingen aber noch auf den rot-grün-roten Vorgängersenat zurück, so der CDU-Politiker.

Mehrere Bezirksbürgermeister hatten davor gewarnt, dass beispielsweise Sozialarbeit, Obdachlosenprojekte und die Suchthilfe wegfallen müssten, wenn es ab dem kommenden Jahr nicht mehr Geld gebe.

Evers: "Die Haushaltslage ist angespannt"

"Ich habe den Bezirken signalisiert, dass wir darüber noch einmal sprechen werden", sagte Evers und betonte zugleich: "Die Haushaltslage ist angespannt." Das habe mit allgemeinen Preissteigerungen zu tun, während gleichzeitig die Steuereinnahmen nicht Schritt hielten. Von dieser Entwicklung seien Senatsverwaltungen und Bezirke gleichermaßen betroffen.

Bei Personal- und Energiekosten sei den Bezirken bereits eine Kompensation zugesagt worden, betonte Evers. "Bei den Sachausgaben muss man sich das noch einmal genau anschauen." Für den Doppelhaushalt 2024/25 sieht der Finanzsenator aber die klare Notwendigkeit, zu sparen. "Unter dem Strich wird es nur gehen, wenn alle in ihren Zuständigkeitsbereichen priorisieren." Konkret müsse nun geschaut werden, "was ist einem wirklich wichtig und wo setzt man persönliche Schwerpunkte."

Neue Schulden durch Corona- und Energiekrise

In den vergangenen Jahren hatte Berlin wegen der Corona- und der Energiekrise mehrere Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen. Ohne diese Kredite würde im Haushalt eine beträchtliche Finanzierungslücke klaffen. "Wir haben das Ziel, den Haushalt so zu konsolidieren, dass er in wenigen Jahren auch strukturell ausgeglichen ist", sagte Evers und bekräftigte, dass die Koalition jetzt den Konsolidierungspfad einleiten werde.

Der Entwurf des neuen Doppelhaushalts sollen Mitte Juli vom Senat beschlossen werden. Mehrere Bezirke haben kritisiert, dass ihnen zweistellige Millionensummen besonders für soziale Projekte fehlen würden, wenn die bisher bekannten Zahlen sich im Etatentwurf wiederfinden.

Hikel sieht alternative Sparmöglichkeiten

Der Bezirksbürgermeister von Neukölln, Martin Hikel (SPD), begrüßte Evers' Gesprächsbereitschaft. Er sehe durchaus noch Potentiale für alternative Sparmöglichkeiten, sagte Hikel dem rbb. Als Beispiel nannte er den 60 Millionen Euro teuren Umbau vorhandener Fußgängerampeln zu Countdown-Ampeln. Es müsse unter den aktuellen Sparvorgaben abgewogen werden, ob das noch richtig sei.

Hikel wies in der der rbb24 Abendschau erneut darauf hin, dass die Bezirke frei verfügbare Mittel in den vergangenen Jahren dort eingesetzt hätten, wo der Schuh gedrückt habe - das sei im Bereich Schule und Jugendarbeit, Obdachlosigkeit und Suchthilfe der Fall gewesen. Wenn diese Mittel nun wegfallen würden, könne man sie auch nur an diesen Stellen wieder abziehen, da alle anderen Mittel durch gesetzliche Vorgaben gebunden seien.

Außerdem müssten auch Personalausgaben drastisch reduziert werden, so Hikel. Sein Eindruck sei aber, dass die Bürgerinnen und Bürger schon jetzt mit den Dienstleistungen dieser Stadt nicht zufrieden seien.

Oltmann spricht von "richtig, richtig großem Problem"

Der Bezirk Neukölln hatte bereits Sorge geäußert, bei sozialen Angeboten massiv sparen zu müssen. Ähnliche Äußerungen kamen aus anderen Bezirken. Tempelhof-Schönebergs Bezirksbürgermeister Jörn Oltmann (Grüne) sagte dem "Tagesspiegel"-Newsletter "Checkpoint" vom Donnerstag, es gebe ein "richtig, richtig großes Problem" für ganz Berlin. "Auch wir in Tempelhof-Schöneberg werden gehalten sein, beim Personal und bei den freiwilligen sozialen Ausgaben zu kürzen." Nach seiner Einschätzung werden alle Bezirke darüber nachdenken müssen, Einrichtungen zu schließen.

Ähnlich lautet die Einschätzung aus Friedrichshain-Kreuzberg. Auch dort drohen demnach Einsparungen etwa bei Suchthilfe, Straßensozialarbeit, Angeboten für Obdachlose, oder der Reinigung der Parks. Der Bezirk müsse rund 20 Millionen pro Jahr einsparen.

Igel beklagt "finanziell stürmische Zeiten"

Der Bezirksbürgermeister von Treptow-Köpenick Oliver Igel (SPD) sieht "insgesamt finanziell stürmische Zeiten auf die Bezirke zukommen", sagte er dem "Checkpoint". Auch in seinem Bezirk fehlten 20 Millionen Euro. In Charlottenburg-Wilmersdorf wird die Lage ähnlich eingeschätzt. Ohne massive Kürzungen im Bereich der freiwilligen sozialen Leistungen und beim Personal könne ein ausgeglichener Haushalt nicht realisiert werden, heißt es dort.

Der schwarz-rote Senat bereitet derzeit den neuen Doppelhaushalt 2024/2025 vor. Dieser soll voraussichtlich Mitte Juli im Senat beschlossen und in der zweiten Jahreshälfte im Abgeordnetenhaus behandelt werden soll.

Wohlfahrtsverbände warnen vor Sparkurs

Auch die großen Wohlfahrtsverbände in Berlin warnen vor einem Sparkurs zu Lasten sozialer Einrichtungen. In einem am Donnerstag veröffentlichten offenen Brief der Liga der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege heißt es, die geplanten Einsparungen im Landeshaushalt seien eine ernste Gefahr für die soziale Infrastruktur und den Zusammenhalt in der Stadt.

Die Sparvorgaben der Senatsfinanzverwaltung ignorierten "elementare sozialpolitische Notwendigkeiten". Der soziale Frieden sei in Gefahr. Als Beispiele möglicher Sparopfer wurden etwa Obdachlosen- sowie Jugendhilfeeinrichtungen und Beratungsstellen genannt. Zur Liga gehören AWO, Caritas, Diakonie, Paritätischer, Deutsches Rotes Kreuz und die Jüdische Gemeinde.

Sendung: rbb24 Inforadio, 29.06.2023, 13:30 Uhr

109 Kommentare

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  1. 109.

    Hierzulande wird alles kaputt gespart, wichtig scheint nur die Finanzierung von Kriegen in anderen Ländern bzw., dafür werden unsere Steuern aufgewendet.
    Traurig ist das.

  2. 108.

    Was hätte man z.B. mit den ca. 12 Millionen Euro Hortkosten für die 3. Klasse machen können?
    Ein paar Jugendeinrichtungen hätten evtl. doch noch eine Zukunft gehabt ...
    Aber nein, kostenfrei ist heute das Motto!

  3. 107.

    Die Kredite, die nach Aufhebung der Schuldenbremse wegen Corona aufgenommen wurden, wurden von R2G nur mit Etikettenschwindel für Coronazwecke aufgenommen. ME. besteht aber kein sachlicher Zusammenhang zwischen Schuldenaufnahme und Zweck, wie es das GG vorsieht. Es wurden Kredite auf Vorrat aufgenommen um andere Zwecke zu erfüllen die nur das Etikett Corona bekamen, also war die Schuldenaufnahme durch R2G verfassungswidrig. Das muss neue Senat nun beheben!

  4. 106.

    "... nach der Pandemie, da wäre ein kostenloser Nachhilfe - Untericht in den Schulen ..."
    Das gab es in Berlin und nannte sich "Stark trotz Corona".
    Dafür haben meist Lehramtsstudenten an Schule am Nachmittag/Ferien Unterrichtsstoff nachgearbeitet.
    Ich kann aber nichts zum Zeitraum sagen ... Beginn ca. März 2022

  5. 105.

    "Ich nenne das gerne auch liebevoll Arbeitsverhinderungsgesetz und das gehört abgeschafft weil es den Leuten die können aber nicht wollen viel zu leicht gemacht wird. "

    Und ich nenne Leute die so etwas behaupten auch gerne liebevoll neoliberale und sozialdarwinistische Hetzer.

  6. 104.

    Ja, ich würde mir kostenlose Kinder - und Jugendprojekte in pädagogischen und schulpädagogischen Bereich wünschen, dass wäre sinnvoll.
    Beispielsweise, nach der Pandemie, da wäre ein kostenloser Nachhilfe - Untericht in den Schulen sehr sinnvoll.
    In Tschechien wurde nach der Pandemie solches, aus Haushaltsmitteln gefördertes Projekt an den Schulen eingeführt, und landesweit nahmen bereits über 200 000 Schüler an den Nachhilfe - Unterricht teil.

  7. 103.

    "Hören Sie -was soll das fortgesetzt meinen Profilnamen zu kapern?
    Nun also "MartinaX"

    Welches Ziel verfolgen Sie damit? Trauen Sie Ihren eigenen Argumenten nicht und müssen deshalb mit solchen Mitteln im Diskurs Verwirrung und Destruktion stiften?"

    Genau das ist sein Ziel. Mit Hilfe gewisser rbb Redakteure. Weswegen es auch unsinnig ist seinen Profilnamen zu ändern.

  8. 102.

    Während Corona wurden von Berlin viele der zusätzlichen sozialen Leistungen mit den freiwilligen Zuwendungen des Bundes bezahlt. Auch andere Leistungen wie die Förderung der Ausstattung der Schulen mit IT und die Abgabe an sozial Schwächere wurden aus Bundesmitteln finananziert, ebenso die konstenlose KITA mit Mitteln aus dem Guten-Kita-Gesetz. Diese Mittel sind nach Auslaufen der Bundeszuschüsse nun weggefallen. Sie wollen also auf Kosten anderer Bürger diese Leistungen fortsetzen? Wie wäre es, wenn Berlin sich erstmal auf die Aufgaben nach dem Sozialgestzbuch konzentriert, anstatt irgendwelche Sonderlocken zu fahren? Zudem schauen Sie doch auf die marode Infrastruktur, die dringend erneuert werden muss und das käme allen zu gute!

  9. 101.

    "Endlich haben wir einen Senat, der verantwortungsvoll mit den Finanzen umgeht."

    Der von der Immobilenmafia geschmierte Senat macht wofür er bezahlt wurde. Die Milliarden gehen jetzt an seine Auftraggeber.

    "Die großzügigen Geschenke der rot/grünen Senatoren haben zu dieser Notlage geführt."

    Und wieder gelogen, steht auch so im Artikel. Sogar in Fettschrift. "In den vergangenen Jahren hatte Berlin wegen der Corona- und der Energiekrise mehrere Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen." muß sogar Evers zugeben.

  10. 100.

    Es ging mir dabei nicht ums Bürgergeld. Ich nenne das gerne auch liebevoll Arbeitsverhinderungsgesetz und das gehört abgeschafft weil es den Leuten die können aber nicht wollen viel zu leicht gemacht wird. Fangen wir mal mit einfachen Dingen an, wie z.b. Ummeldung, Perso oder einfach nur ein Auto (auch wenn das nicht gewünscht ist, aber der ÖPNV funktioniert schlichtweg nicht) zuzulassen ...

  11. 99.

    Es ging mir dabei nicht ums Bürgergeld. Ich nenne das gerne auch liebevoll Arbeitsverhinderungsgesetz und das gehört abgeschafft weil es den Leuten die können aber nicht wollen viel zu leicht gemacht wird. Fangen wir mal mit einfachen Dingen an, wie z.b. Ummeldung, Perso oder einfach nur ein Auto (auch wenn das nicht gewünscht ist, aber der ÖPNV funktioniert schlichtweg nicht) zuzulassen ...

  12. 98.

    Das was ich geschrieben habe, das ist die Realität in Deutschland, alles nachzulesen im Sozialgesetzbuch, welches ca. 1900 Seiten dick ist!

  13. 97.

    Aus den rbb-Juli-Änderungen:

    "Änderungen beim Bürgergeld
    Für Personen, die das Bürgergeld erhalten, gibt es Änderungen: Die Freibeträge für Erwerbstätige steigen. Bei einem Einkommen zwischen 520 und 1.000 Euro dürfen Bürgergeld-Beziehende 30 Prozent behalten. Bei einem Schüler- oder Studentenjob gilt eine Obergrenze von 520 Euro."

    Wer zeitnah Leistungen benötigt, tut dies am besten mit einem Zuverdienst. Meist wird dieser spätestens am 15. des Folgemonats auch ausbezahlt.

    Dazu gibt's Miete und die regulären 500€ Regelsatz
    Also irgendwann muss man auch mal zu dem Schluss kommen, dass Sozialleistungen ausreichend sind.

    Es gibt Leute, die müssen von ihrem Lohn alles selbst zahlen.
    Und die haben auch Mieten bis zu 1.000€ und mehr.

  14. 96.

    Wirklich wichtig ist z.B., dass das Stadion im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark neu gebaut werden muss, statt das jetzige deutlich günstiger zu sanieren. Oder dass Bezirksabgeordnete bezahlt werden, obwohl sie abgewählt wurden und nicht arbeiten (müssen).

  15. 95.

    Was wirklich wichtig ist ? Zum Beispiel wichtige bürgernahe Dienstleistungen ZEITNAH sicher zu stellen !

  16. 94.

    Erwin,ich denke Sie haben den Sozialstaat nicht verstanden. Sozialleistungen sind für die da,die nicht mehr arbeiten können. Nicht für die,welche in der Hängematte liegen und durchaus arbeiten könnten.

  17. 93.

    Es „knallt“ derzeit doch trotz der ganzen oder wegen dieser sozialen Leistungen ganz gewaltig in Deutschland.

    In welcher Welt leben Sie? Sorry.

  18. 92.

    Glauben Sie mir, wenn diese "zusätzlichen" sozialen Projekte wegfallen, wird sich das bemerkbar machen. Und dann sind alle wieder ganz überrascht, wenns knallt...

  19. 91.

    Korrekt, wobei „sozial“ keiner wirklichen, unantastbaren Definition unterliegt.

  20. 90.

    Ihre Behauptungen haben nichts mit realen Haushalts- und Sozialrecht zu tun.

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