Ein Schild mit der Aufschrift "Als Schutzmaßnahme vor dem Corona-Virus bleibt der Spielplatz bis auf weiteres geschlossen" klebt an einem Schild vor einem Spielplatz in Stuttgart. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Marijan Murat (Archivbild))

Erster Lockdown vor vier Jahren

Interview mit Psychologin: "Impfpflicht hätte sehr viel Widerstand ausgelöst"

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Matthias Breitinger
Matthias Breitinger (Foto: SWR, Simon Ukena)

Katrin Schmelz hat während der Corona-Pandemie untersucht, wie sehr Menschen bereit waren, die Maßnahmen zu befolgen. Das war über die gesamte Zeit hinweg die Mehrheit, sagt die Psychologin im Interview.

Vor vier Jahren trat in Deutschland der erste Lockdown wegen des grassierenden Coronavirus in Kraft. Schulen, Geschäfte, Restaurants und Museen mussten schließen, man durfte sich kaum noch treffen. Im Lauf der Corona-Pandemie wurden immer wieder Maßnahmen geändert und neue eingeführt. Wie reagierten die Menschen darauf und wie sehr waren sie bereit, sich einzuschränken? Das hat Katrin Schmelz während der Pandemie an der Universität Konstanz untersucht. Im SWR-Interview äußert sie sich zu den Ergebnissen.

SWR Aktuell: Vor vier Jahren trat in der Corona-Pandemie der erste Lockdown in Kraft. Wie haben die Menschen die Eingriffe auf- und angenommen?

Katrin Schmelz: Die Maßnahmen wurden als drastisch empfunden, aber zugleich war den meisten klar, dass noch notwendige Erkenntnisse über das Virus und die Verbreitung fehlten und die Politik daher auch im Dunkeln tappte. Man hatte in Deutschland aber weitgehend das Gefühl, dass es besser läuft als in anderen Ländern und die Politik das Richtige tut. Außerdem vermittelten die Maßnahmen: Das ist jetzt etwas Ernstes und wir müssen alle zusammenhalten. Natürlich gab es von Anfang an auch Skeptiker, aber die Mehrheit war freiwillig bereit, die Maßnahmen einzuhalten und Infektionen zu verhindern.

Sie haben das Vertrauen in die Regierung und die Maßnahmen wissenschaftlich untersucht. Haben Sie Unterschiede zwischen Gruppen festgestellt, etwa zwischen Jüngeren und Älteren, zwischen Männern und Frauen?

Schmelz: Wir haben uns angeschaut, wie sich die Einstellungen zu den Maßnahmen im Laufe der Pandemie ändern - und da spielen diese demografischen Faktoren kaum eine Rolle. Die entscheidenden Faktoren hatten mit Überzeugungen zu tun - ob man die Maßnahmen für wirksam hielt und ob man der Regierung und Wissenschaft vertraute. Haben sich diese Überzeugungen geändert, dann hat sich auch die Haltung zu den Maßnahmen geändert. Das galt über alle Bevölkerungsschichten hinweg.

"Die Maskenpflicht wurde weitgehend akzeptiert"

Gilt das auch für alle Maßnahmen gleichermaßen? Die waren teils recht unterschiedlich – vom Abstandsgebot von 1,50 Metern bis hin zu Schulschließungen.

Schmelz: Freiwillige Maßnahmen wie das Abstandsgebot wurden von der Mehrheit akzeptiert, aber es gab große Unterschiede, wie Menschen auf verpflichtende Maßnahmen reagierten. Die Maskenpflicht zum Beispiel wurde weitgehend akzeptiert, und sie war sinnvoll, da diese Maßnahme nur funktioniert, wenn ein sehr großer Anteil wirklich Maske trägt. Bei einer Impfpflicht hätte es aber sehr viel Widerstand gegeben.

SWR: Warum?

Schmelz: Das Tragen einer Maske wird vielleicht als unangenehm empfunden, aber sie wird ja nur zeitweise getragen und auch wieder abgenommen. Eine Impfung dagegen berührt die Privatsphäre stark, weil sie unmittelbar in den eigenen Körper eingreift. Zu allen Corona-Wellen waren in unserer Untersuchung bei Freiwilligkeit deutlich mehr Menschen mit der Impfung einverstanden als bei einer Impfpflicht. Das bedeutet nicht zwingend, dass sich im Falle einer Impfpflicht kein Skeptiker hätte impfen lassen - wir haben untersucht, wie sich die Menschen dabei fühlen, und viele hätten bei einer Impfpflicht Widerwillen oder ein ungutes Gefühl empfunden.

Eine Impfpflicht auszuschließen und später doch zu diskutieren, hat dem Vertrauen in die Politik geschadet.

Von Anfang an beschworen Politiker, es werde niemals eine Impfpflicht geben - und später wurde sie dann plötzlich doch diskutiert. Wie hat sich das ausgewirkt?

Schmelz: Erst eine Impfpflicht auszuschließen und später doch zu diskutieren, hat dem Vertrauen in die Politik geschadet - und dieses Vertrauen war während der Pandemie ganz zentral. Die Diskussion war aber auch nachvollziehbar. Bei der Alphavariante des Coronavirus hätte es gereicht, wenn sich etwa zwei Drittel der Bevölkerung geimpft hätten. Bei den späteren Omikron- und Deltavarianten hätten es sehr viel mehr sein müssen, etwa 90 Prozent. Eine so hohe Impfquote hätte man nur mit einer Pflicht erreicht. Wenn man dieses Ergebnis erzielen wollte, hätte man aber auch die Nachteile einer Pflicht - also vor allem den Widerstand und mögliche Aggression gegen den Staat - verstehen und in Kauf nehmen müssen.

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Unterstützung bei Freiwilligkeit relativ stabil

Im Lauf der Pandemie änderten sich die Regelungen immer wieder. Gefühlt galt alle paar Wochen etwas anderes. Hat da die Akzeptanz, die Regeln zu befolgen, abgenommen?

Schmelz: In der Wissenschaft sind wir daran gewöhnt, dass wir anhand neuer Informationen unsere Haltung laufend aktualisieren. Im normalen Alltag dagegen hat man in der Regel ein weitgehend stabiles Leben und ist daher eher irritiert, wenn sich die Aussagen und Regeln der Politik ständig ändern. Das kann das Misstrauen gegenüber politischem Handeln verstärken. In einer Situation mit neuem Wissen, sich ändernden Fallzahlen und neuen Coronavarianten waren Änderungen in den Maßnahmen aber sinnvoll. Natürlich muss man das gut erklären und begründen - und gleichzeitig akzeptieren, dass es zu Verwirrungen führen kann.

Insgesamt haben wir aber festgestellt, dass über die gesamte Coronazeit hinweg die Unterstützung der Menschen bei Freiwilligkeit relativ stabil geblieben ist, trotz der sich laufend ändernden Umstände. Es waren immer ungefähr zwei Drittel, die bereit waren, eine Maßnahme freiwillig umzusetzen. Das galt auch für die Impfung. Ebenso stabil blieb die Intensität, in der eine verpflichtende Maßnahme Widerstand hervorgerufen hätte.

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Zeitweise waren die Grenzen geschlossen. In Konstanz, wo Sie an der Universität geforscht haben, stand einige Wochen sogar ein Grenzzaun zum schweizerischen Kreuzlingen.

Schmelz: Für mich selbst war der Einschnitt sehr massiv, weil ich in der DDR an der deutsch-deutschen Grenze aufgewachsen bin. Und plötzlich hatte ich wieder einen Zaun vor der Nase. Ich bin jeden Tag hingefahren, um zu schauen, wie die Menschen auf den Zaun reagieren und ob die Maßnahmen womöglich verschärft würden. Tatsächlich gab es dann einen Doppelzaun, damit Paare sich nicht am Zaun treffen und durch den Zaun ihre Hand halten können. Das war schon heftig.

Allerdings wurden auch Fehler gemacht. In Erinnerung geblieben ist die berühmte "Osterruhe" im Frühjahr 2021, die Angela Merkel dann schon zwei Tage nach dem Beschluss wieder gekippt hat mit dem Satz "Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler".

Schmelz: Ja, und es ist gut und sehr wichtig, Fehler einzugestehen. Aber nicht jeder kann es nachvollziehen. Diese Phase hat zu schwindendem Vertrauen geführt.

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"Grundbedürfnis nach Kontakt ist wesentlich stärker"

Während der Pandemie wurde erörtert, ob Menschen sich jemals wieder die Hand geben würden, weil sie es sich nun abgewöhnen oder "verlernen" würden. Das war offensichtlich unbegründet. Wie haben Sie damals diese Frage wahrgenommen?

Schmelz: Ich hatte nicht erwartet, dass das passieren würde. Wir Menschen haben Gewohnheiten, die wir über viele Jahre, eigentlich Jahrhunderte entwickelt haben. Da sind zwei Jahre Pandemie ein Ausnahmezustand und anschließend kehrt man zum Normalen zurück. Unser Zusammenleben hat sich auch daraus entwickelt, welche Grundbedürfnisse wir als Menschen haben. Und das ist vor allem das Grundbedürfnis nach Kontakt und Zugehörigkeit. Dieses Bedürfnis ist wesentlich stärker, als Gewohnheiten beizubehalten, die keinen Sinn mehr machen. Bei manchen Maßnahmen haben wir hingegen positive Erfahrungen gemacht und es ist gut, sie in den Alltag zu integrieren. Zum Beispiel eine Maske zu tragen, wenn man in der Erkältungswelle in der U-Bahn sitzt und Ansteckungen vermeiden möchte.

Oder dass man sich nicht, wie vielfach vor der Pandemie, halbkrank, hustend oder gar mit Fieber noch ins Büro schleppt.

Schmelz: Genau. Das hat auch eine andere Interpretation bekommen. Früher wurde man als passionierter Arbeitnehmer eingeschätzt, wenn man mit Fieber ins Büro ging - jemand, der sein Unternehmen bis zum Letzten unterstützt. Und jetzt wird es eher als rücksichtslos interpretiert, ins Büro zu gehen und andere zu gefährden, auch krank zu werden.

Ich würde nicht von einer gespaltenen Gesellschaft sprechen.

Vielfach wird der Corona-Pandemie zugeschrieben, die Spaltung der Gesellschaft beschleunigt zu haben. Radikale Impfgegner stehen denen gegenüber, die die Maßnahmen befürwortet haben. Wie sehen Sie auf diese gesellschaftliche Entwicklung - und welchen Einfluss darauf hatten die Lockdowns und andere Maßnahmen?

Schmelz: In der Coronazeit war die Haltung zu den Maßnahmen unglaublich identitätsbestimmend. Man gehörte entweder zu dem einen oder dem anderen Camp, und das war ein zentrales Thema. Aber ich würde nicht von einer gespaltenen Gesellschaft sprechen. Wir haben über die Pandemie hinweg immer wieder repräsentative Befragungen mit mehreren tausend Menschen durchgeführt. Diejenigen, die klar dagegen waren, sind ganz, ganz wenige, aber sehr laut. Deshalb überschätzt man deren Zahl. Die große Mehrheit in der Gesellschaft hat die Corona-Maßnahmen einvernehmlich unterstützt.

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