Eine Person tippt auf einem Smartphone. © picture alliance/dpa Foto: Karl-Josef Hildenbrand

Niedrige Nutzerzahlen: "App auf Rezept" noch unbeliebt

Stand: 14.03.2024 17:41 Uhr

Seit 2020 können Ärztinnen und Ärzte spezielle Gesundheitsapps verschreiben, die Menschen dann zum Beispiel über das Smartphone unterstützen - bei Erkrankungen, beim Sport oder in der Kommunikation mit der Krankenkasse. Aber: Sie werden bisher nur wenig genutzt.

von Ulrike Drevenstedt

Die sogenannten Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGa) seien noch nicht in der medizinischen Versorgung angekommen, sagt Barmer-Landesgeschäftsführer Bernd Hillebrandt. Hochrechnungen der Krankenkasse haben ergeben, dass es für den Zeitraum 2020 bis 2022 etwa 13.000 Verordnungen in Schleswig-Holstein gab. Das heißt: So oft hat ein Arzt seinem Patienten eine Digitale Gesundheitsanwendung per Rezept ausgestellt. Mit durchschnittlich 293 DiGa-Verordnungen je 100.000 Einwohner rangiert Schleswig-Holstein im Ländervergleich laut Barmer an vierter Stelle.

Bei der AOK Nordwest fällt die Zahl deutlich geringer aus: Demnach sind seit der Einführung der DiGa im Oktober 2020 bisher für Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe 17.098 Anwendungen verschrieben worden. Auch die DAK beobachtet eine eher "schleppende Entwicklung", wie Sprecher Sönke Krohn mitteilt. Bundesweit seien bisher insgesamt 45.000 Verordnungen erteilt worden. Regionale Zahlen liegen der DAK nicht vor. Die Techniker Krankenkasse (TK) spricht von rund 7.000 bisher in Schleswig-Holstein verordneten DiGa. Das sei keine Riesenmenge, sagt Sprecher Volker Clasen, für diese neue Art des Gesundheitsangebots aber in Ordnung. Wichtiger sei außerdem, die Qualität der angebotenen Apps, so Clasen weiter.

Digitale Gesundheitsanwendungen sind keine Fitness-Apps

Helfen sollen die "Apps auf Rezept" bei vielen Krankheiten wie beispielsweise Diabetes, Tinnitus, Schlafstörungen, Rückenproblemen oder starkem Übergewicht. Patientinnen und Patienten sollen sich dabei in Absprache mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt selbst um ihre Krankheit und deren Heilung kümmern können - egal von wo oder wann, so die Idee dahinter. Die Apps speichern zum Beispiel Blutzuckerwerte oder zeigen therapiebegleitende Übungen. Insgesamt gibt es aktuell 56 Digitale Gesundheitsanwendungen für Smartphones oder als Website.

Ein Mann wählt in einer Fitness-App eine Aktivität aus. © NDR Foto: Udo Tanske
Mit einem Klick zur therapiebegleitenden Übung - das kann eine DiGa leisten.

Dabei unterscheiden sie sich von Fitness- oder Lifestyle-Apps, die einfach auf das Smartphone heruntergeladen werden können: Sie gelten als digitales Medizinprodukt und werden vom Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geprüft. Außerdem müssen sie einen Nutzennachweis erbringen.

"Tatsächlicher Nutzen vieler DiGa nicht nachgewiesen"

Genutzt werden die digitalen Gesundheitsanwendungen zu 70 Prozent von Frauen. Eine AOK-Umfrage aus dem vergangen Jahr hat gezeigt: Insgesamt werden DiGa positiv bewertet - etwa die Hälfte der Nutzerinnen und Nutzer hält sie jedoch für verzichtbar. DAK-Sprecher Krohn vermutet, dass bei vielen Menschen Datenschutzbedenken eine Rolle spielen könnten. Denn die Apps fragen auch persönliche Daten ab. Von der Identität der Patientin oder des Patientin erfahren die Hersteller aber nichts.

AOK Nordwest-Sprecher Jens Kuschel sieht weitere Probleme: "Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass der tatsächliche Nutzen vieler DiGa nicht nachgewiesen werden kann." Hier müsse das Zulassungsverfahren überprüft und weiterentwickelt werden. Ein weiterer Kritikpunkt sind laut Kuschel die hohen Herstellerpreise: "Hier ist der Gesetzgeber dringend gefordert, einen Riegel vorzuschieben".

Ärztekammer fordert Prüfung von Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit

Auch die Ärztekammer Schleswig-Holstein sieht noch Verbesserungsbedarf: "Viele Ärzte haben noch nicht ausreichend Erfahrung mit den Digitalen Gesundheitsanwendungen", sagt Vizepräsidentin Dr. Gisa Andresen. Vor einer Verschreibung müssten Medizinerinnen und Mediziner immer erst prüfen, ob die App wirtschaftlich angemessen, notwendig und zweckmäßig sei. Sie fordert deshalb, dass DiGa unbegrenzt getestet werden können - damit Ärzte sie selbst ausprobieren können, um Patienten die Apps in Aufklärungsgesprächen dann zeigen zu können.

Krankenkassen erwarten steigende Nutzungszahlen

Die DAK verzeichnet inzwischen einen leichten Aufwärtstrend bei der Zahl der verschriebenen "Apps auf Rezept". Und auch die Barmer sieht nach eigenen Angaben einen Anstieg. So habe sich die Gesamtzahl der Verordnungen von rund 4.300 im Jahr 2021 auf 8.655 im Folgejahr ungefähr verdoppelt. "Das Thema DiGa nimmt Fahrt auf", sagt Barmer-Landesgeschäftsführer Hillebrandt.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 14.03.2024 | 14:00 Uhr

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Gesundheitspolitik

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