AfD-Parteivorsitzende Alice Weidel jubelt über die erste Prognose bei der Landtagswahl in Hessen.

Großer Wahlerfolg der AfD in Hessen und Bayern

Politikwissenschaftler aus Trier: "Vielen AfD-Wählern ist die rechtsextremistische Prägung der Partei egal"

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Die große Gewinnerin der Landtagswahlen in Hessen und Bayern ist die AfD: In Hessen mit 18,4 Prozent zweitstärkste, in Bayern mit 14,6 Prozent drittstärkste Kraft. Wie dieser Erfolg zustande kam - und welche Auswirkungen das auf Rheinland-Pfalz hat, schätzt Politikwissenschaftler Markus Linden von der Uni Trier ein.

SWR Aktuell: Was hat die Wählerinnen und Wähler bei den Landtagswahlen eher angetrieben: der Ausdruck von Protest oder die Überzeugung für das Programm der AfD?

Linden: Beides. Natürlich war es eine Protestwahl für eine Partei, die sich fälschlicherweise als einzig wahre Opposition verkauft. Die AfD-Wähler bekunden allesamt große Unzufriedenheit. Den allermeisten dieser Wähler ist es nach Erhebungen aber auch egal, dass die AfD rechtsextremistisch geprägt ist. Hier äußern sich demnach also auch gefestigte Überzeugungen.

Dass etwa der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke, der heimliche Chef der AfD, als Wiedergänger des Nationalsozialismus auftritt, kann Menschen mit durchschnittlicher politischer Bildung nicht verborgen bleiben. Offensichtlich sympathisiert zumindest ein Teil der Wählerschaft mit autoritären Strukturen, dem Ideal einer völkischen Einheit und der Beschneidung von Gewaltenteilung und individuellen Rechten.

Rheinland-Pfalz

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SWR Aktuell: Die AfD hat bei den Landtagswahlen aus allen politischen Lagern Stimmen dazugewonnen, zeigen Analysen von infratest dimap. Wie schafft die Partei es, diese Menschen zu einen?

Linden: Die AfD ist die Partei der Neuen Rechten und verfolgt auch deren Programm. Also eint sie nicht, sondern führt Wählermilieus im zweistelligen Prozentbereich zusammen. In neurechten Kreisen propagiert man das Bild eines Mosaiks, das durch verschiedene Formen des Kitts in Gestalt verbindender Erzählungen zusammengehalten wird.

Die Haupterzählung besteht darin, den Bürgerinnen und Bürgern eine angebliche Fremdbestimmung durch eine abgehobene Elite einzureden. Dieses "Dagegen" wird dann mit unterschiedlichen Versatzstücken befüllt, die verschiedene Milieus ansprechen. Geschichtsvergessen ist sogar von einer "DDR 2.0" die Rede. Bedienen etablierte Akteure ähnliche Zerrbilder, anstatt die sachliche Auseinandersetzung zu suchen, ist das fatal.

SWR Aktuell: Die AfD ist eine in Teilen rechtsextreme Partei – hat das bei den Wahlen eine Rolle gespielt? Haben die Wählerinnen und Wähler der AfD selbst ausgeprägte rechte politische Einstellungen oder gar rechtsextreme?

Linden: Rechtsextreme haben zumindest ein geschlossenes parteipolitisches Vehikel für ihre Ansichten gefunden, während die Nachkriegsrechte früher immer wieder in verschiedenen Gruppen gespalten auftrat. Dazu gesellen sich Protestwähler. Außerdem scheint das historische Bewusstsein abzunehmen. Ein Beispiel: Im Zusammenhang mit dem Gillamoos-Fest in Bayern hielt die dortige AfD-Spitzenkandidatin, Katrin Ebner-Steiner, eine Rede. Sie bezeichnete ihre Gegner als "Missgeburt", "Geisteskranke" oder "verwahrloste Gesellen". Die Anklänge an die NS-Rhetorik vom angeblich "unwerten Leben" sind hier offensichtlich, scheinen aber die Wähler nicht zu stören. Auch die Verschwörungstheorie vom Great Reset hat die Kandidatin im Programm. Sie wurde beim politischen Aschermittwoch präsentiert.

Diese menschenverachtende Irrationalität ist eigentlich eine Trennlinie für jeden demokratischen Konservativen. Wir erleben aber Akteure, etwa Noch-CDU-Politiker Hans-Georg Maaßen, und einschlägige Medien, die derartige Entgleisungen als konservativ verkaufen möchten. Das spiegelt sich dann auch in der Wählerschaft wieder. Das Hoffähigmachen führt zu einer Verwischung der Grenzen zwischen rechtsextremer Ideologie und wutkonservativem Furor. Die Wählerschaft der AfD zeichnet sich mindestens durch eine relative Gleichgültigkeit gegenüber rechtsextremen Haltungen aus.

SWR Aktuell: Das Thema Migration ist eines, bei dem die AfD besonders punkten kann – warum scheint dieses Thema alle anderen Themen der Partei zu überlagern?

Linden: Auch andere Themen spielten vor der Wahl eine Rolle. Man darf nicht vergessen, dass die selbsternannte Fortschrittskoalition (so bezeichneten sich SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag, Anmerkung d. Red.) es nicht ausreichend schafft, Lebenshaltungskosten zu senken, Klimapolitik als zukunftsweisendes Projekt für alle zu skizzieren, den ländlichen Raum ausreichend anzubinden oder Mieten zu deckeln. Die große Reform des Bürgergelds ging zudem an der arbeitenden Bevölkerung vorbei und wird deshalb von manchen Milieus als Benachteiligung empfunden.

Für all diese Probleme, die natürlich nicht alleine auf die Ampel zurückgehen, werden von Seiten der AfD zwei Gruppen verantwortlich gemacht: die angebliche grüne Elite und Geflüchtete. Es handelt sich um eine vereinfachende Verlagerung und Personalisierung von Problemen. Das funktioniert dann besonders gut, wenn etablierte Parteien mitmachen, anstatt die vorhandenen Defizite im Bereich der Migrationspolitik sachlich anzugehen. Die vernehmbare Kulturkampfrhetorik von Teilen der Union und Friedrich Merz' deplatzierte Äußerungen über Geflüchtete stärken den rechten Rand nur. Boris Rhein (hessischer Ministerpräsident der CDU, Anmerkung d. Red.) hatte hingegen mit einem moderaten Kurs Erfolg.

Man darf nicht vergessen, dass die selbsternannte Fortschrittskoalition es nicht ausreichend schafft, Lebenshaltungskosten zu senken, Klimapolitik als zukunftsweisendes Projekt für alle zu skizzieren, den ländlichen Raum ausreichend anzubinden oder Mieten zu deckeln.

SWR Aktuell: Wie schätzen Sie den Erfolg der AfD ein: Ist das ein vorübergehender Aufschwung oder eine längerfristige Entwicklung – auch im Hinblick auf die anstehende Europawahl und die Kommunalwahlen?

Linden: Für die Europawahlen hat die AfD mit Maximilian Krah einen Spitzenkandidaten aufgestellt, der in TikTok-Videos den klassischen Faschisten mimt, deutsche Verbrechen der Vergangenheit negiert, auf ehemalige "Waffenbruderschaften" verweist und eine Achse mit Putins Russland beschwört. Der Erfolg einer solchen Partei ist schwer zu prognostizieren, denn es hängt erheblich von der Reaktion der demokratischen Kräfte ab, wie diese Rhetorik von der Bevölkerung wahrgenommen wird.

Dass der CDU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz eine kommunale Zusammenarbeit mit der AfD ins Spiel brachte, war Wasser auf ihre Mühlen. Die demokratischen Parteien müssen im Gegenteil auch auf kommunaler Ebene zeigen, dass sie sachorientiert und auf jeweiliger programmatischer Grundlage streiten und zusammenarbeiten können, aber mit einer rechtsradikalen bis rechtsextremen Partei nichts zu tun haben wollen.

SWR Aktuell: In Rheinland-Pfalz gibt es auch eine Ampel-Regierung – könnte die Koalition auch hier abgestraft werden?

Linden: Der negative Bundestrend könnte auch nach Rheinland-Pfalz ausstrahlen. Der Kanzler ist in der Koalition zu passiv, die FDP spielt Opposition in der Regierung und die Grünen können lediglich außenpolitisch mit einer dezidierten Haltung punkten. Insgesamt steht man im Bund vor der Aufgabe, neben gesellschaftspolitischen Gemeinsamkeiten auch konkrete wirtschaftliche Verbesserungen für die breite Mittelschicht auszuarbeiten.

Im Land ist die SPD schon sehr lange an der Macht. Sie muss dem Eindruck entgegenwirken, dass dies Verkrustungen zur Folge hat. Die Grünen und die FDP sind aufgerufen, ihre Programme mehrdimensionaler zu gestalten, also nicht lediglich auf Klima bzw. Wirtschaft zu setzen.      

SWR Aktuell: Auch in RLP gewinnt die AfD in Umfragen an Bedeutung. Im SWR-Politrend lag die AfD beispielsweise im Juli 2023 bei 16 Prozent. Wie schätzen Sie die Entwicklung der AfD für Rheinland-Pfalz ein?

Linden: Der Landesverband gilt fälschlicherweise als gemäßigt. Dazu nur ein Beispiel: Der Geschichtsrevisionist Stefan Scheil, ein bekannter rheinland-pfälzischer AfD-Kader, der die Schuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg negiert, hielt im Juni einen Vortrag in der Bibliothek des Konservatismus in Berlin. Er führte aus, dass es in Rheinland-Pfalz zu wenige historische KZs gäbe, weshalb man nun neue baue, um Schülergruppen hindurchzuführen.

Wahrscheinlich bezog er sich auf einen neuen Bau in der Gedenkstätte Hinzert, der für politische Bildungsarbeit genutzt wird. Scheil bedient mit seinen Aussagen klassische Stereotype zur Relativierung des Dritten Reichs. Wenn eine Partei solche Kader duldet, ist sie rechtsextrem und verfassungsfeindlich. Die Mitgliedschaft dürfte mit dem Beamtenstatus nicht vereinbar sein.

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