Straßenschilder in Bad Dürkheim (Foto: SWR)

Umstrittene Straßennamen

Historiker zu Bürgerentscheid in Bad Dürkheim: "Natürlich handelt es sich um Täter!"

Stand
INTERVIEW
Panja Schollbach

Ein Bürgerbegehren in Bad Dürkheim hat entschieden: Drei Straßennamen, die nach Personen benannt sind, die dem NS-Regime nahe standen, bleiben. Was sagt der Mainzer Historiker Ralph Erbar dazu?

SWR Aktuell: Die Stadt Bad Dürkheim wollte die Straßen eigentlich umbenennen, aber scheiterte letztendlich: 73,7 Prozent haben bei einem Bürgerbegehren gegen eine Umbenennung gestimmt. Können Sie sich das erklären? 

Ralph Erbar: Ja, das kann man ganz gut erklären. Wenn man diese Frage, ob man Straßennamen beibehalten oder umändern soll, in einen Bürgerentscheid überführt, dann ist eigentlich klar, was dabei herauskommt. Genau das, was jetzt auch dabei herausgekommen ist: Dann werden sich die Betroffenen, die in den Straßen wohnen, immer mehrheitlich gegen eine Umbenennung aussprechen – rein aus pragmatischen Gründen – während diejenigen, die eher für eine Umbenennung sind, nicht so aktiv auftreten.

Bad Dürkheim

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SWR Aktuell: Wie kann es denn überhaupt sein, dass es 75 Jahre nach Kriegsende noch immer Straßennamen gibt, die nach zweifelhaften Personen aus der NS-Zeit benannt sind? 

Erbar: Von diesen Straßennamen gibt es noch eine ganze Menge. Und das ist so, weil man häufig über diese Personen nicht allzu viel weiß oder weil man bestimmte Phasen aus dem Leben dieser Personen lange erfolgreich ausgeblendet hat oder sie halt als nicht so wichtig angesehen hat.

Junge Leute sind da durchweg kritischer

SWR Aktuell: Laut Bürgerinitiative in Bad Dürkheim sind es vor allem die älteren Bürger, die an den Straßennamen festhalten wollten. Ein Generationenkonflikt? 

Erbar: Das ist nicht nur, aber auch ein Generationenkonflikt. Ich habe dazu vor einiger Zeit ein Planspiel an der Uni in Mainz zum Thema Wernher von Braun (Anm. der Redaktion: Er entwickelte für das NS-Regime V2-Raketen), dem Raketenmann, durchgeführt. Dort waren die jungen Leute zu fast 100 Prozent für die Straßenumbenennung in Mainz. Und dann habe ich dasselbe Planspiel kurze Zeit darauf bei den Rotariern in Mainz gemacht: Die waren einstimmig gegen die Umbenennung der Straße. Das zeigt auch, dass das Alter der betroffenen Menschen eine Rolle spielt. Junge Leute sind da durchweg kritischer, vor allem junge Menschen, die neu in eine Stadt ziehen. Die beschäftigen sich noch einmal eher mit diesen Fragen als Menschen, die schon lange in einer Stadt leben und über die Straßennamen gar nicht mehr nachdenken.

Straßenschilder in Bad Dürkheim (Foto: SWR)
Bei der Maler-Ernst-Straße in Bad Dürkheim hat sich jemand offenbar für Verhüllung statt Umbenennung entschieden

SWR Aktuell: In Bad Dürkheim ging es um drei Straßennamen: Philipp Fauth war Astronom, Gustav Ernst ein Maler und Karl Räder ein Dichter – alle drei standen dem NS-Regime nahe. Ein Gutachten bescheinigte, dass sich bei allen demokratiefeindliches nationalsozialistisches und antisemitisches Gedankengut findet. Was sagen Sie als Historiker? 

Erbar: Am eindeutigsten ist es bei Karl Räder. Er hat sich als Schriftsteller dem Nationalsozialismus angebiedert. In dem Gutachten, das ich auch kenne, heißt es, er war zweifelsfrei ein Propagandist des nationalsozialistischen Regimes. Und was dann noch erschwerend hinzukommt: Er hat das Ganze nach 1945 nicht bereut. Er hat sich nicht davon distanziert.

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Natürlich handelt es sich um Täter!

SWR Aktuell: Sie haben für die Stadt Mainz einen Kriterienkatalog für belastete Straßennamen erstellt. Was hätten Sie in diesem Fall mit der Karl-Räder-Straße gemacht?  

Erbar: In diesem Falle hätten wir auch für Umbenennung plädiert. 

SWR Aktuell: Was sagen Sie denn zu den anderen beiden? 

Erbar: Das ist etwas schwieriger. Der Maler Gustav Ernst und der Astronom Philipp Fauth haben sich auch dem Nationalsozialismus angedient. Letzterer gehört so ein bisschen in den Typus Wernher von Braun würde ich sagen - jemand, der sich dem Regime andient, einfach um seine Forschungen weiterführen zu können, das ist so eine Grauzone. Da ist es schwierig.

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SWR Aktuell: Könnte das nicht auch der Grund für die Weigerung zur Umbenennung sein, dass es sich bei den drei Männern nicht um Nazi-Täter handelt, sondern um einen Propagandisten und auch Sympathisanten? 

Erbar: Doch, natürlich handelt es sich um Täter! Ganz klar. Jemand, der ein Sympathisant ist oder der - wie Karl Räder - den Nationalsozialismus in seinen Schriften verherrlichte, ist ein Täter. Der ist ein Schreibtischtäter oder auch ein geistiger Brandstifter. Aber der ist nicht nur jemand, der nebenherläuft. Der ist durchaus auch als Täter zu sehen.  

SWR Aktuell: Als Historiker waren Sie Mitglied einer Arbeitsgemeinschaft in Mainz bei der Straßenumbenennung und haben auch einen Kriterienkatalog erarbeitet. Was sind die Kriterien, wann sollte eine Stadt belastete Straßennamen ändern? 

Erbar: Die entscheiden Kriterien für uns waren, ob die betreffende Person einen wesentlichen Beitrag zur Anbahnung, Errichtung und/oder Aufrechterhaltung der NS-Herrschaft geleistet hat, ob Handlungen erkennbar und nachweisbar sind, die aus heutiger Sicht moralisch und sogar strafrechtlich zu verurteilen sind, und vor allem, ob die betreffende Person zu erkennen gegeben hat, dass sie nach 1945 ihre Handlungen und Taten bereut.

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SWR Aktuell: Haben Sie ein Beispiel? 

Erbar: Ich mache das einmal an den beiden Straßennamen in Mainz für die Schriftstellerinnen Ina Seidel und Agnes Miegel deutlich. Beide haben sich ohne Not in den 30er-Jahren in ihren Schriften für das NS-Regime ausgesprochen. Ina Seidel hat es nach 1945 bereut und hat ihre Fehler eingesehen. Deswegen hat die Kommission entschieden, diesen Straßennamen zu belassen. Agnes Miegel hat das nie eingesehen und nie bereut. Und deswegen ist diese Straße in Mainz-Finthen dann mittlerweile umbenannt worden.

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SWR Aktuell: Wie hätten Sie mithilfe Ihres Kriterienkatalogs denn in Bad Dürkheim entschieden? Die Karl-Räder-Straße hätten Sie umbenannt, und die anderen beiden? 

Erbar: Gustav Ernst und Philipp Fauth liegen ja so in einer Grauzone. Ich denke, wir hätten uns eher dafür entschieden, diese Straßennamen zu belassen, sie aber angemessen zu kommentieren. In dem Moment, wo man die Straßennamen aberkennt, verblasst natürlich auch die Erinnerung an diese Personen, die ja gleichwohl auch ein didaktisches Potenzial haben. Das heißt, ist der Straßennamen weg, fällt auch die Erinnerung an diese Person weg. Und dann kann man diese Personen nicht mehr nutzen, um sie noch kritisch aufzuarbeiten. Meine Empfehlung: Wenn es keine eindeutigen Verbrecher sind mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit, dann würde ich eher empfehlen, die Straßennamen zu belassen, um sie als Arbeitspotenzial etwa für den Schulunterricht zu nutzen.

SWR Aktuell: Das heißt, Sie würden dringend eine Einordnung der Straßennamen empfehlen? 

Erbar: Ja, unbedingt. Das ist ein bundesweiter Ansatz insgesamt im Moment und bezieht sich ja nicht nur Straßennamen, sondern auch auf Plätze auf Schulen, auf Kasernen, auf Denkmäler.  

SWR Aktuell: Wie wichtig ist es, dass man sich heutzutage mit strittigen  Straßennamen auseinandersetzt? 

Erbar: Das ist sehr wichtig. Straßennamen sind hier nur eine kleine Facette aus dem Bereich der Erinnerungskultur. Und das ist deshalb wichtig, weil eine Gesellschaft sich immer darüber Rechenschaft ablegen muss, wo sie herkommt, wie sie zu ihrer eigenen Vergangenheit steht und wie sie damit umgehen will. In autoritären und diktatorischen Systemen wird dies vorgegeben. In demokratisch-pluralistischen Gesellschaften muss die Erinnerungskultur immer neu ausgehandelt werden. Von daher sind Straßennamen nur ein kleiner Aspekt, eine kleine Facette eines insgesamt wichtigen Themas. Sie betreffen aber den Kern unseres Selbstverständnisses als Gemeinschaft.

Zur Person: Dr. Ralph Erbar ist Fachleiter für Geschichte am Studienseminar Bad Kreuznach, Lehrer an der Hildegardisschule Bingen und Dozent für Geschichtsdidaktik am Historischen Seminar der Universität Mainz. Außerdem ist er Mitbegründer und Vorstandsmitglied der Stiftung "Haus des Erinnerns – für Demokratie und Akzeptanz" in Mainz und Mitbegründer und Redakteur der Zeitschrift "Geschichte für heute".

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