Barbara Krenzer, Ortsbürgermeisterin Dienheim und Philipp Rahn, Stadtbürgermeister Bacharach, sehen das Modell des ehrenamtlichen Bürgermeisters als gescheitert. Ortsbürgermeister sollte ein Hauptamt und kein Ehrenamt sein.  (Foto: privat)

SWR-Umfrage

30 Stunden pro Woche: Modell ehrenamtlicher Bürgermeister für viele gescheitert

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Andreas Neubrech
Andreas Neubrech (Foto: SWR)

Einige Ortsbürgermeister in Rheinland-Pfalz halten das Modell des ehrenamtlichen Bürgermeisters für gescheitert. Sie fordern: Künftig muss ihr Job ein Hauptberuf sein.

In den meisten rheinland-pfälzischen Gemeinden gibt es ehrenamtliche Ortsbürgermeister. Sie erhalten zwar eine Aufwandsentschädigung, doch die gleicht ihrer Meinung nach nicht ansatzweise den Aufwand aus, der den Anforderungen gegenübersteht.

Dieser Meinung sind unter anderem Barbara Krenzer (FWG), Ortsbürgermeisterin in Dienheim und ihr Amtskollege Philipp Rahn (SPD) aus Bacharach (beide Kreis Mainz-Bingen). Sie sind zwei der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die an der SWR-Umfrage zur Lage in den Kommunen teilgenommen haben.

Ehrenamt Bürgermeister: 30 Stunden pro Woche und mehr

Barbara Krenzer spricht von 30 Stunden, die pro Woche für das Bürgermeisteramt anfallen: "Diese Zeit kann sich fast keiner nehmen. Vor allem nicht, wenn er hauptberuflich tätig ist und Familie hat", sagt sie. Bei ihr hat es gepasst, weil sie vor der vergangenen Wahl Mutter geworden ist und deshalb die Stunden auf der Arbeit reduziert hat. Statt wieder mehr arbeiten zu gehen, sei sie Bürgermeisterin geworden.

Jemand, der Vollzeit tätig ist, der kann 30 Wochenstunden zusätzlich zu einem Beruf und anderen Freizeitaktivitäten oder Familie nicht leisten.

Der Bacharacher Bürgermeister kommt nach eigener Aussage auf 40 bis 50 Stunden, die er jede Woche in das Ehrenamt investiert: "Jetzt in den eineinhalb Jahren, in denen ich das mache, ist das mein Vollzeitjob. Ich studiere und habe nebenher meine Bachelorarbeit geschrieben. Außerdem habe ich zwei Nebenjobs, aber keinen Hauptjob im eigentlichen Sinn." Der 25-Jährige hat im Oktober mit seinem Masterstudium begonnen. Wie er das mit dem Bürgermeisteramt koordinieren soll, wisse er selbst noch nicht.

Hohe Anforderungen an Kandidaten für den Ortsbürgermeister

Die zeitliche Hürde ist nicht die einzige, die die Ehrenamtler zu nehmen haben. Um Ortsbürgermeisterin zu sein, brauche es noch viel mehr, sagt Barbara Krenzer: "Um gewählt zu werden, muss man schon im Ortsgeschehen aktiv sein und sich eine gewisse Anerkennung und Sympathie erarbeitet haben. Außerdem muss man fachlich gut sein, zum Beispiel im Bauwesen. Und man muss Verhandlungsgeschick und ein Händchen für Mitarbeiterführung mitbringen, aber auch spontan ein lockeres Grußwort bei der Kerbeeröffnung sprechen können."

Bürgermeister in Bacharach stemmt Großprojekt Bundesgartenschau

Neben den täglichen Herausforderungen im Amt stehen zudem manchmal Großprojekte an, die koordiniert werden müssen. So ist Bacharach einer der Gastgeber der Bundesgartenschau 2029. Seit Monaten laufe in dieser Sache alles über seinen Tisch, sagt Philipp Rahn. Von der Verbandsgemeinde gebe es kaum Unterstützung, dagegen umso mehr von seinem ebenfalls ehrenamtlichen Beigeordneten. Ein wenig ernüchtert blickt Bacharachs Stadtbürgermeister nach Lahnstein und Rüdesheim: "Auch dort gibt es Flächen für die Bundesgartenschau. Beide Städte werden hauptamtlich geführt."

Barbara Krenzer, Ortsbürgermeisterin in Dienheim (Foto: Michaela Goldmann)
Barbara Krenzer, Ortsbürgermeisterin in Dienheim

Ehrenamtliche Ortsbürgermeister werden ständig angesprochen

Auch wenn Barbara Krenzer und Philipp Rahn den Computer abgeschaltet und die Bürotür hinter sich geschlossen haben: Feierabend haben sie nie, sagen sie. Egal, wo sie in ihrer Gemeinde unterwegs sind: Sie werden immer als Ortsbürgermeister wahrgenommen. "Bürger, Nachbarn und auch der Freundeskreis gehen davon aus, dass ich immer im Amt und ansprechbar bin - auch wenn ich privat unterwegs bin", sagt die Dienheimer Ortschefin Krenzer. "Der Spruch 'Barbara, wo ich dich gerade sehe', auf den reagiere ich innerlich schon fast allergisch. Das ist neben der Zeit, die ich investiere, im Moment das allergrößte Opfer."

Ihr anfänglicher Versuch, sich dagegen zu wehren, half nichts. So ist sie beispielsweise "extra verlottert, also vom Joggen ungewaschen und in Joggingklamotten durch den Ort zum Supermarkt gegangen oder in den Kindergarten, um mein Kind abzugeben, um zu demonstrieren: Ich bin gerade keine Amtsperson." Mittlerweile bittet sie die Bürgerinnen und Bürger immer wieder darum, ihr Anfragen per Mail zu schicken oder in die wöchentliche Sprechstunde zu kommen. Respektiert wird das nur teilweise.

Das System mit ehrenamtlich geführten Städten und Gemeinden ist gescheitert.

Forderung: Bürgermeister muss Hauptamt werden

All das zusammengenommen lässt für Krenzer und Rahn nur einen Schluss zu: Ortsbürgermeister müssen künftig hauptamtlich tätig sein. Rahn: "Ich bin der Meinung, dass wir in der Form nicht weitermachen können und dass das kein zukunftsfähiges System ist, alles auf Ehrenamtlern abzuladen, die die Städte und Kommunen verwalten müssen." Dieses System sei klar gescheitert, sagt er.

Hauptamtlicher Bürgermeister: (K)eine Frage des Geldes?

Ortsbürgermeisterin Krenzer kann sich generell vorstellen, den Vertrag ihres Hauptjobs wieder auf Vollzeit zu erhöhen. Dann könne sie aber das Amt der Ortsbürgermeisterin nicht mehr ausüben. Um diesen Gegensatz aufzulösen, schlägt sie vor: "Ich könnte mich nach der Erhöhung für ein oder zwei Tage in der Woche beurlauben lassen. Diesen Gehaltsausfall müsste dann die Ortsgemeinde übernehmen." Für sie sei es selbstverständlich, dass "für den Chef, für den Kapitän" einer Gemeinde Geld da sein müsse, "um ihn angemessen zu entlohnen."

Woher das Geld in Zeiten klammer Kassen kommen soll? Rahn hat die Umlagen im Blick, die die Ortsgemeinden bezahlen müssen: "Als unterste Kommune sind wir durch die Umlagen an die Verbandsgemeinde und den Kreis sehr belastet. Die zweifache Umlage führt natürlich auch dazu, dass am Ende weniger Geld da ist, um einen hauptamtlichen Bürgermeister zu bezahlen."

Philipp Rahn, Ortsbürgermeister in Bacharach (Foto: privat)
Philipp Rahn, Ortsbürgermeister in Bacharach

Rahn: "Wir müssen Orte zusammenlegen."

Bacharachs Stadtbürgermeister Rahn geht sogar noch weiter. Er spricht sich für eine Gebietsreform aus. Rheinland-Pfalz habe 2.400 eigenständige Kommunen - so viele wie kein anderes Bundesland. "Natürlich tut es weh, wenn Orte und Gemeinden zusammengelegt werden, aber irgendwann ist man an einem Punkt, an dem es auch weh tun muss, weil es anders nicht mehr funktioniert."

Eine weitere Möglichkeit sei ein Modell aus Bayern, so Rahn. Dort hätten sich mehrere Kommunen freiwillig zu Verwaltungsgemeinschaften zusammengeschlossen. "Auf diese Weise muss nicht mehr jede Kommune ein eigenes Bauamt, eine eigene Verkehrsbehörde und so weiter betreiben."

Warnendes Beispiel Bacharach: drei Jahre ohne Bürgermeister

Was passiert, wenn sich an dem System der ehrenamtlichen Bürgermeister nichts ändert, zeigt das Beispiel Bacharach. Bevor Rahn dort im vergangenen Jahr das Amt übernommen hat, war es drei Jahre lang unbesetzt. Der amtierende Bürgermeister war nicht mehr angetreten. Keiner wollte das Amt übernehmen. In dieser Zeit führte der Beigeordnete die Geschäfte, so gut er konnte. Dabei spielte ihm die Corona-Pandemie in die Karten. "Das hat er auch nur machen können, weil er wegen Corona seinen Hauptjob nicht mehr richtig hat ausüben können. Für ihn sind viele Dienstreisen weggefallen. Heute würde das nicht mehr funktionieren", so Rahn.

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