Deutschlandticket 2024: Streit um Finanzierung

Aktuelle Stunde 11.08.2023 42:36 Min. UT Verfügbar bis 11.08.2025 WDR Von Sebastian Galle

Streit um Finanzierung: Ist das Deutschlandticket in Gefahr?

Stand: 11.08.2023, 15:09 Uhr

Kaum gestartet, steht das 49-Euro-Ticket schon wieder in Frage: Bund und Länder zanken sich darüber, wer zahlt, wenn es mehr kosten sollte, als kalkuliert.

Von Nina Magoley

Bund und Länder hatten sich darauf geeinigt, dass die Kosten für das Deutschlandticket hälftig aufgeteilt würden - insgesamt drei Miliarden Euro. So weit war alles klar. Doch unklar ist immer noch die Frage, wer bezahlt, wenn das Ticket mehr kosten sollte als gedacht. Es geht um die sogenannte "Nachschusspflicht".

Nach Information aus dem NRW-Verkehrsministerium wird zurzeit eruiert, wie hoch die Kosten tatsächlich sein könnten. Das Ergebnis soll Anfang September vorliegen. Doch schon vorab erwarten die Länder von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) eine feste Zusage, dass der Bund auch mitbezahlt, wenn das Ticket mehr kosten sollte. Doch genau diese Zusage will Wissing nicht geben.

Brandbrief aus NRW: "Klarheit" bis Oktober

Ende Juli hatte NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne), zurzeit auch Vorsitzer der Verkehrsministerkonferenz, einen Brief an Wissing geschrieben. Der Brief liegt dem WDR vor. "Spätestens bis Oktober", mahnt Krischer darin an, müsse "Klarheit über den Preis und die Finanzierung des Deutschlandtickets herrschen".

Mit Nachdruck fordert der grüne Verkehrsminister, der Bund solle sich bereits jetzt zu seiner "Nachschusspflicht" bekennen - selbst, wenn das Ticket am Ende gar nicht mehr als drei Millarden Euro koste. Ohne dieses Bekenntnis sähen die Länder die Durchführung des Deutschlandtickets "ernsthaft gefährdet".

Krischer: "Wissing brüstet sich mit dem Projekt"

NRW Verkehrsminister Oliver Krischer

"Irritiert": NRW Verkehrsminister Oliver Krischer

Im WDR-Interview erläuterte Krischer am Freitag, warum er öffentlich Druck macht: Vor allem die Verkehrsbetriebe bräuchten Klarheit, weil sie ihre Tarife, Löhne und Gehälter für 2024 kalkulieren müssten. Dass der Bund auch eventuelle Mehrkosten zur Hälfte mitschultern würde, sei von Anfang an verabredet gewesen. "Umso irritierter" sei er, dass die Zusage immer noch auf sich warten lasse. Zumal das Deutschlandticket ein Projekt sei, mit dem sich der Bundesverkehrsminister "durchaus brüstet".

Um welche Höhe an Mehrkosten es überhaupt gehen könnte, ist offenbar noch völlig unklar. Er gehe sogar davon aus, dass die veranschlagten drei Milliarden Euro ausreichen, sagte Krischer dem WDR. Dennoch müssten die Verkehrsunternehmen unbedingt Sicherheit haben.

Finanzexperte: Verkehrsunternehmen werden Abstriche machen

Dabei sei bei der Idee zum 49-Euro-Ticket ohnehin ein Punkt möglicherweise gar nicht bedacht worden, meint Marcel Thum, Professor für Finanzwissenschaft an der TU Dresden: Er gehe davon aus, dass die Verkehrsunternehmen mit dem Ticket Einnahmenverluste machen. Und das würde dazu führen, dass sie an anderen Stellen Abstriche machen müssten - zum Beispiel darauf verzichten, neue Strecken zu bauen, Netze ausdünnen oder Fahrpläne reduzieren.

Bislang hätten die Unternehmen über spezielle Angebote oder Preissteigerungen die Möglichkeit gehabt, ihre Preisstrategien selber zu steuern und damit auch zusätzliche Leistungen zu finanzieren. Das, fürchtet Thum, sei mit dem Deutschlandticket nicht mehr möglich.

Positiver Effekt könnte sein, dass mit dem neuen Ticket auch neue Bahnkunden gewonnen werden, die dafür das Auto stehen lassen, sagt Thum. Aber: "Sehr viele, die vorher mehr bezahlt haben, werden aber jetzt das Deutschlandticket wählen, was Einnahmeausfälle für die Unternehmen bedeutet."

Neue Kunden, aber weniger Einnahmen

Zum Vergleich: Ein 30-Tage-Ticket im VRR kostet, je nach Preisstufe, zwischen 85,90 Euro und 218,70 Euro. Mit dem Deutschlandticket ist dasselbe Angebot für 49 Euro zu haben, und obendrein kann man damit kreuz und quer durch Deutschland fahren.

Matthias Hehl, Geschäftsführer beim Verkehrsverbund Westfalentarif

"Ticket rechnet sich nicht": Matthias Hehl, Westfalentarif

Tatsächlich hätten die Preise für Tickets bislang meist deutlich über 49 Euro gelegen, sagt auch Matthias Hehl, Geschäftsführer beim Verkehrsverbund Westfalentarif. Bei der Kostenkalkulation von "drei Millarden Euro plus x" für das Deutschlandticket seien die damit verbundenen Einnahmeausfälle zwar schon mit berücksichtigt worden - der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen habe aber ausgerechnet, dass drei Milliarden nicht ausreichen werden.

"Deutschlandticket ist Verlustgeschäft"

Menschenmenge an einem Bahnsteig stehen vor einem Zug

"Manche lassen das Auto stehen"

Erste Betrachtungen für Mai würden zeigen, dass die Einnahmerückgänge nicht eingefangen werden könnten, sagt Hehl: "Das Deutschlandticket für 49 Euro rechnet sich nicht, es ist ein Verlustgeschäft." Deshalb seien sich die Verkehrsunternehmen "jetzt schon sicher, dass wir einen Zuschuss benötigen". Sollte der nicht vom Staat kommen, müssten Städte und Gemeinden finanziell einspringen - oder bestehende Angebote reduziert werden.

Das Deutschlandticket für 49 Euro im Monat gibt es seit 1. Mai. Es kann nur digital und im Abo gebucht werden und gilt im Nah- und Regionalverkehr in ganz Deutschland. Rund elf Millionen Menschen haben das Ticket bereits abonniert. Nach Angaben der Bahn sind im Juni 25 Prozent mehr Menschen Zug gefahren als im April.

Über das Thema berichtet der WDR am 11.08.23 u.a. in der Aktuellen Stunde im WDR Fernsehen.

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