Luftaufnahme vom Park "Planten un Blomen" in Hamburg. © NDR Foto: Heiko Block
Luftaufnahme vom Park "Planten un Blomen" in Hamburg. © NDR Foto: Heiko Block
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AUDIO: Starke soziale Trennung auch in vielen Städten im Norden (5 Min)

So stark sind Arm und Reich in norddeutschen Städten getrennt

Stand: 05.04.2024 15:58 Uhr

Eine Studie zeigt, wie stark arme und reiche Menschen getrennt leben - in Hamburg sowie den größten Städten in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Am stärksten ist der Effekt in Schwerin.

von Isabel Lerch

Wenn man es auf eine einfache Formel bringen will, lautet sie so: Wer arm ist, lebt am Stadtrand. Das zeigt eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Sozialforscher nennen eine solche soziale Spaltung auch Segregation. Mit Zahlen der Bundesagentur für Arbeit und der Bevölkerungsstatistik haben die WZB-Wissenschaftler jeweils einen Wert für jede Stadt berechnet. Für 24 Städte im Norden liegen die Daten vor. Sie zeigen: Wie stark Arm und Reich getrennt voneinander leben, unterscheidet sich - je nach Stadt - deutlich. Das messen die Forschenden durch den sogenannten Segregationsindex: Je höher er ist, desto stärker die räumliche Trennung von Arm und Reich.

Schwerin: Nirgendwo leben Arm und Reich stärker getrennt

An der Spitze steht eine vergleichsweise kleine Stadt: Nirgendwo - weder im Norden noch sonst irgendwo in Deutschland - leben die Menschen so stark voneinander getrennt wie in Schwerin. In der Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns leben die rund 100.000 Einwohner in sehr unterschiedlichen Stadtteilen - wobei ein klarer Zusammenhang mit der Größe ihres Geldbeutels besteht. Die Wohlstandsgrenze lässt sich sehr genau auf der Karte zeichnen. Sie zeigt den Anteil der unter 65-Jährigen, die im Jahr 2022 Grundsicherung (heute "Bürgergeld") bezogen haben. Je dunkler ein Kästchen gefärbt ist, desto mehr Grundsicherungsempfänger wohnen anteilig in dem betreffenden Gebiet.

Wer wohlhabend ist, wohnt meist in der Innenstadt oder in der Altstadt rund um das Schloss. Ärmere Menschen wohnen hingegen eher in bestimmten Vierteln am südlichen Stadtrand - zum Beispiel in Großer Dreesch, Neu Zippendorf, Mueßer Holz oder Lankow. "Gerade das südliche Schwerin sticht wirklich extrem ins Auge", sagt Wissenschaftler Marcel Helbig, der die Daten ausgewertet hat.

Leerstand und nur geringe Investitionen befeuern Segregation

Helbig erklärt sich die hohen Segegrationswerte in Schwerin mit einer besonderen Entwicklung des Wohnungsmarkts: "Während sich in anderen Plattenbaugebieten im Osten die Zahl der Bewohner stabilisierte, nahm sie in den entsprechenden Stadtteilen Schwerins weiter ab. Das heißt also: Die Leerstände wurden enorm groß", sagt der Forscher. Den vielen Platz habe man genutzt, um vor allem Neuzugewanderte unterzubringen.

"Da haben sehr viele private Investoren investiert. Die haben dann so eine Art Geschäftsmodell daraus gemacht", sagt Helbig. Die Investoren hätten oft nur wenig Geld in die Plattenbauten investiert, um sie dann für Asylbewerber oder Grundsicherungsempfänger zur Verfügung zu stellen und sichere Mieten von staatlichen Stellen zu bekommen. Dies habe die Segregation vorangetrieben.

Auch in anderen ostdeutschen Städten wie Leipzig zeigt sich dieses Muster auffällig häufig - reiches Zentrum, arme Peripherie. Ein wesentlicher Grund für diese scharfe Trennung sind architektonische Strukturen. So sind in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der ehemaligen DDR die typischen Plattenbausiedlungen entstanden. Bezahlbarer Wohnraum für eine große Menge an Menschen - dieses Versprechen sorgt bis heute dafür, dass Menschen mit weniger Geld am Stadtrand leben.

Hannover: Reiches Zentrum, armer Stadtrand

Doch auch in westdeutschen Städten markieren große Hochhaussiedlungen am Stadtrand nach wie vor eine starke Segregation. Hannover ist im Norden ein gutes Beispiel dafür: Auch dort zeigt sich eine klare räumliche Trennung von Gutverdienern und finanziell schlechter gestellten Bewohnern. Im Stadtteil Hannover-Mühlenberg leben beispielsweise ärmere Menschen konzentrierter auf einem Fleck. Die Bewohner im Stadtzentrum sind dagegen im Schnitt finanziell bessergestellt.

Stadtplanung und architektonische Muster sind jedoch nur ein Grund für die geografische Trennung von Armen und Reichen. "Um heutige Segregationsprozesse erklären zu können, muss man teilweise relativ weit zurückblicken", sagt der Forscher. Aus der wissenschaftlichen Forschung ist bekannt, so Helbig: "Jede Stadt ist auf eine bestimmte Art aufgebaut und hat ihre ganz eigene geschichtliche Entwicklung."

Wo alte Industrien sterben, verschärft sich die Trennung

Für einige Städte in Norddeutschland sieht Forscher Helbig ein bestimmtes Muster: "Insgesamt gibt es eine Reihe von norddeutschen Städten, wo insbesondere alte Industrien gestorben sind", sagt er.

Metallarbeiter sind am 15.02.1957 in der größten Werft Schleswig-Holsteins, der Kieler Howaldtswerke, auf dem Weg zur Arbeit. © picture alliance / Walter Grosser Foto: Walter Grosser
Kieler Werftarbeiter in den Sechzigerjahren auf dem Weg zur Arbeit.

Als Beispiel nennt er Kiel, Bremerhaven und Wilhelmshaven - alles Städte, in denen die einst starke Werftindustrie mit der Zeit verschwand.

"Da verloren viele ihre Arbeit. Und die, die ihre Arbeit verloren, hatten zwei Möglichkeiten: gehen oder bleiben", sagt Helbig. Diejenigen, die blieben, und keine Arbeit mehr fanden, rutschten in die Armut - ein urbanes Muster, das sich bis heute in den Städten spiegelt.

Wilhelmshaven: Armut konzentriert sich in alten Arbeitervierteln

So zeigt die Karte von Wilhelmshaven deutlich, wo in der Stadt sich die Armut am stärksten konzentriert: Es sind vor allem die alten Arbeiterviertel nahe des Hafens Bant, Siebethsburg und Heppens, in denen heute vergleichsweise viele Empfänger von Grundsicherung leben.

Dieses Muster wiederum deckt sich mit anderen norddeutschen Städten, die ihre Werftindustrie verloren haben. "Wenn man sich heute die soziale Ungleichheit in Städten wie Kiel, Wilhelmshaven und Bremerhaven anschaut, dann sind das immer die alten Arbeiterquartiere", erklärt Forscher Helbig. In der obigen Landkarte ist Kiel durch Klick auf den Umschalter zu sehen.

Hamburg: Viele Gutverdiener nördlich der Elbe

Auch Hamburg ist eine Stadt mit ausgeprägter Einkommenssegregation. Bei den Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern belegt die Elbmetropole bundesweit Platz drei. Menschen mit hohem Einkommen - und oft auch hohem Bildungsstand - ballen sich im Zentrum und nördlich davon - vor allem in begehrter Lage rund um die Außenalster. Im Westen von Hamburg ist Blankenese am Nordrand der Elbe Inbegriff eines wohlhabenden Stadtteils. Drittes Wohlstandsgebiet ist der Nordosten.

Südlich der Elbe und im Südosten von Hamburg leben hingegen weniger Menschen mit hohem Einkommen - allerdings sind dies auch nicht durchgängig Gebiete mit hoher Armutsquote, wie die obige Landkarte zum Umschalten zeigt.

Mitarbeit Grafiken: Anna Behrend

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Themen des Tages | 05.04.2024 | 17:15 Uhr

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