Martin Walser im Arbeitszimmer März 2022

Schriftsteller mit 96 Jahren gestorben

Zum Tod von Martin Walser: Was ihm der Bodensee bedeutet hat

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AUTOR/IN
Karin Wehrheim
SWR-Redakteurin Karin Wehrheim Autorin Bild

Im Alter von 96 Jahren ist der Schriftsteller Martin Walser gestorben. Den größten Teil seines Lebens hat er am Bodensee verbracht - in Wasserburg (Kreis Lindau) und Nußdorf (Bodenseekreis).

Der Schriftsteller Martin Walser ist am Mittwoch (26. Juli 2023) im Alter von 96 Jahren gestorben. Er gilt als einer der wichtigsten Autoren der deutschen Nachkriegszeit. Die einen nennen ihn den Chronisten der Bundesrepublik, andere den Romantiker vom Bodensee.

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Was der Bodensee ihm bedeutet, das ist Martin Walser immer wieder gefragt worden. Seine Antwort lautete:

"Lebenslänglich. Wie eine Strafe, aber das Gegenteil. Aber lebenslänglich."

Wasserburg

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Bereits gut 30 Jahre zuvor, in seinem Büchlein "Heimatlob", schwärmte Walser vom silbrig glänzenden See bei Föhnwind, von Goschewellen, die den Schwimmenden in die Gosch schwappen, von Möven und Schwänen, Heiligen und Hügeln. Und von Uferwiesen voller blühender Obstbäume. In seinem ersten großen Erfolg, der Novelle "Ein fliehendes Pferd" von 1978, machen zwei Paare Urlaub am Bodensee und geraten beim Segeln in einen Sturm. Das Werk wurde 2007 neu verfilmt.

Die einstige Bahnhofsrestauration - das Geburtshaus von Martin Walser in Wasserburg am Bodensee.
Die einstige Bahnhofsrestauration - das Geburtshaus von Martin Walser in Wasserburg am Bodensee. Bild in Detailansicht öffnen
Gedenkplakette am Geburtshaus von Martin Walser in Wasserburg am Bodensee
Seit seinem 90. Geburtstag 2017 prangt an Martin Walsers Geburtshaus in Wasserburg eine Erinnerungsplakette. Sie zitiert aus einem Essay Walsers von 1981. Bild in Detailansicht öffnen
Das historische Malhaus in Wasserburg am Bodensee.
Das historische Malhaus steht direkt am Bodenseeufer in Wasserburg. Bild in Detailansicht öffnen
Im Museum im Malhaus  in Wasserburg am Bodensee sind Erinnerungsstücke von Martin Walser.
Im Museum im Malhaus in Wasserburg am Bodensee sind Erinnerungsstücke von Martin Walser. Bild in Detailansicht öffnen
Die katholische Pfarrkirche St. Georg in Wasserburg am Bodensee
Die katholische Pfarrkirche St. Georg in Wasserburg am Bodensee. Bild in Detailansicht öffnen
Die Familiengrabstätte Walser in Wasserburg am Bodensee
In dieser Familiengrabstätte in Wasserburg liegen Martin Walsers Eltern und sein im Zweiten Weltkrieg gefallener Bruder Josef. Bild in Detailansicht öffnen
Das Ortsschild von Nußdorf
Nußdorf, ein Teilort von Überlingen im Bodenseekreis. Bild in Detailansicht öffnen
Im einstigen Fischerdorf Nußdorf tragen mehrere Straßen die Namen von Bodenseefischen. Martin Walser wohnte "Zum Hecht".
Im einstigen Fischerdorf Nußdorf tragen mehrere Straßen die Namen von Bodenseefischen. Martin Walser wohnte "Zum Hecht". Bild in Detailansicht öffnen
Martin Walser in Überlingen
Martin Walser im Garten seines Hauses in Überlingen-Nußdorf, direkt am Bodenseeufer, 2010. Bis ins hohe Alter ging er regelmäßig im See schwimmen. Bild in Detailansicht öffnen
Martin Walser als Skulptur von Peter Lenk in Überlingen
Der Bildhauer Peter Lenk aus Bodman, nicht weit von Überlingen entfernt, hat Martin Walser 1999 als groteske Karikatur des Reiters aus Gustav Schwabs Ballade "Der Reiter und der Bodensee" verewigt - mitten in Überlingen. Es heißt, Walser habe seitdem einen anderen Weg durch die Stadt genommen. Bild in Detailansicht öffnen
Walser-Skulptur im Garten von Peter Lenk
Walser-Skulptur im Garten von Peter Lenk Bild in Detailansicht öffnen
Walser-Skulptur im Garten von Peter Lenk
Walser-Skulptur im Garten von Peter Lenk Bild in Detailansicht öffnen
Martin Walser in Überlingen
Martin Walser bei den Dreharbeiten zu "Mein Diesseits" vor der Birnau 2016. Die Dreharbeiten liefen im Vorfeld seines 90. Geburtstags. Der Oldtimer trug eigens Walsers Initialen und Geburtsjahr. Bild in Detailansicht öffnen
Martin Walser in Überlingen
Martin Walser in seinem Arbeitszimmer im März 2022 - vor seinem 95. Geburtstag. Er hatte gerade seinen Vorlass dem Literaturarchiv Marbach überantwortet, rund 75.000 Seiten. Bild in Detailansicht öffnen

Walsers Spitzname in der Schule: "Griesemus"

Martin Walser ist am 24. März 1927 in Wasserburg (Kreis Lindau) geboren und am Bodensee und zwischen Obstbäumen aufgewachsen. Sein Lindauer Schulkamerad Karl Bachmann erinnerte sich einst:

"Walser hat den Spitznamen 'Griesemus' gehabt, das ist eine Speise, die aus Kirschen hergestellt wurde. In Wasserburg waren die Kirschen zuhause."

In Walsers Geburtshaus, der einstigen Wasserburger Bahnhofsrestauration (Kreis Lindau) mit Speisesaal und Kohlenhandlung, ist heute eine Ballettschule. Eine Gedenktafel an der rosa Hauswand erinnert an den Ehrenbürger.

Gedenkplakette am Geburtshaus von Martin Walser in Wasserburg am Bodensee
Seit seinem 90. Geburtstag 2017 prangt an Martin Walsers Geburtshaus in Wasserburg eine Erinnerungsplakette. Sie zitiert aus einem Essay Walsers von 1981.

Im Dorfmuseum, dem Museum im Malhaus, ist Walser eine kleine Dauerausstellung gewidmet, mit alten Schulfotos und seiner Schreibmaschine. Aus seinen Werken gelesen hat Martin Walser in Wasserburg allerdings selten. Zu viele da, die seine Bücher nicht lesen, sagte er einmal. Gefeiert wurde er trotzdem.

Erst Friedrichshafen, dann Überlingen-Nußdorf

In Wasserburg hat Martin Walser Kindheit und Jugend verbracht, hier lernte er auch seine spätere Frau Käthe kennen. Mit ihr zog er erst nach Friedrichshafen und dann, 1967, nach Nußdorf bei Überlingen. Dort feierten sie 2020, nach 70 Jahren Ehe, die Gnadenhochzeit. Seit der Corona-Pandemie lebte der betagte Autor, der vier Töchter, einen Sohn und mehrere Enkel hat, sehr zurückgezogen, aber auch zuvor hat er sich nicht gern als Berühmtheit feiern lassen und ironisch angemerkt:

"Es gibt natürlich, nehme ich an, Nußdorfer, die auch meine Bücher lesen, und ein paar davon kenne ich auch, aber ich komme auch nicht andauernd ins Dorf, aber manche Leute kann ich schon grüßen, weil ich glaube, wir kennen uns vom Sehen."

Von Nußdorf aus beobachtete und beeinflusste Martin Walser die literarische Szene am Bodensee, vom Garten seines Einfamilienhäuschens aus stieg er bis ins hohe Alter täglich in den Bodensee. Sobald der 18 Grad hatte, erklärte er gern.

"Ich bin halt völlig frei. Links und rechts die Nachbarn – niemand geht außer mir ins Wasser. Ich bin wie der einzige Mensch im einzigen Bodensee."

Das Schwimmen im Bodensee entspanne ihn vom Schreiben mit der Hand. Hoch oben unter dem Dach tat Walser das, in seinem Arbeitszimmer voller Bücher und mit Blick auf den See. Nicht lieb war ihm, dass er in Überlingen weithin sichtbar als Brunnenfigur auf dem zentralen Landungsplatz verewigt ist. Der Bildhauer Peter Lenk aus Bodman, nur wenige Kilometer von Überlingen entfernt, hatte Walser als feisten Alten auf einem Esel gestaltet, in satirischer Anlehnung an Gustav Schwabs Ballade "Der Reiter und der Bodensee".

Martin Walser als Skulptur von Peter Lenk in Überlingen
Der Bildhauer Peter Lenk aus Bodman, nicht weit von Überlingen entfernt, hat Martin Walser 1999 als groteske Karikatur des Reiters aus Gustav Schwabs Ballade "Der Reiter und der Bodensee" verewigt - mitten in Überlingen. Es heißt, Walser habe seitdem einen anderen Weg durch die Stadt genommen.

Sein letztes Buch veröffentlichte Martin Walser im Frühjahr 2022, mit 95. Es enthält Träume aus 25 Jahren. Dafür ließ er sich eigens von Nußdorf nach Stuttgart fahren, um es vorzustellen, und witzelte:

"Für so eine 95-jährige Halbleiche ein ungeheurer Bewegungsaufwand, der mir gar nicht mehr liegt eigentlich."

Jetzt wird Martin Walser wohl von Nußdorf nach Wasserburg zurückkehren. Das hatte er unlängst in einem Interview erklärt. Denn zu Füßen der Kirche St. Georg auf der Wasserburger Halbinsel, direkt oberhalb des Bodensees, liegt das Walsersche Familiengrab. Hier ruhen auch Martin Walsers Eltern und sein im Krieg gefallener Bruder, unter feuerroten Eisbegonien.

Die Familiengrabstätte Walser in Wasserburg am Bodensee
In dieser Familiengrabstätte in Wasserburg liegen Martin Walsers Eltern und sein im Zweiten Weltkrieg gefallener Bruder Josef.

Stationen seines Lebens am Bodensee besuchte Martin Walser noch einmal anlässlich seines 90. Geburtstags im März 2017 für die SWR-Doku "Mein Diesseits". Darin begleitete Denis Scheck den Autor und plauderte mit ihm über sein Leben und die Region:

Nun ist Walser im Alter von 96 Jahren gestorben.

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