Grundschüler aus der Ukraine sitzen in einem Klassenzimmer.

"Jede Besenkammer wird genutzt, um zu unterrichten"

Zahl der ukrainischen Schüler in BW steigt nach Sommerferien um ein Viertel

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Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik

Schon jetzt sehen die Kommunen die Schulen am Anschlag. Es gibt zu wenige Räume und zu wenige Lehrkräfte für ukrainische Kinder und Jugendliche. Doch die Herausforderung wird noch größer.

Die Zahl der ukrainischen Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg wird nach den Sommerferien noch einmal um fast ein Viertel ansteigen. "Die Prognosen gehen dahin, dass wir fast 40.000 Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine bekommen", sagte Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) dem Südwestrundfunk (SWR).

Bisher sind etwa 31.500 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine an den Schulen in Baden-Württemberg. Die meisten von ihnen sind in Vorbereitungsklassen, in denen sie vor allem Deutsch lernen, und zu bestimmten Zeiten auch in Regelklassen. Wie der SWR erfuhr, hat die grün-schwarze Landesregierung diese Woche insgesamt 220 Millionen Euro für dieses und die zwei nächsten Jahre bewilligt, um die Beschulung ukrainischer Schülerinnen und Schüler zu bewältigen.  

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Mehr ukrainische Familien entscheiden sich zum Bleiben

Der hohe Anstieg an ukrainischen Schülerinnen und Schülern nach den Sommerferien kommt laut Kultusministerium daher, dass viele Mütter mit ihren Kindern nun entschieden hätten, vorerst in Deutschland zu bleiben und ihre Kinder auch hier in die Schule zu schicken.

"Es ist ja nicht abzusehen, wann der Krieg beendet ist", so Schopper. Bisher gebe es noch ukrainische Schülerinnen und Schüler, die online aus der Heimat unterrichtet würden. Das ändere sich jetzt mehr und mehr. So kämen immer mehr Kinder und Jugendliche in die Schulen, obwohl im ersten Halbjahr deutlich weniger ukrainische Flüchtlinge nach Baden-Württemberg gekommen sind.

"Das ist schon eine riesig große Herausforderung für die Schulen", so die Grünen-Politikerin weiter. Sie sei sehr dankbar, dass die Schulen das so "geräuschlos" gemeistert hätten. Schopper zeigte Verständnis für die Klagen der Kommunen, dass es an Räumen für die zusätzlichen Klassen fehle.

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Schopper: "Jede Besenkammer wird genutzt, um zu unterrichten"

Der Platzmangel sei schon groß, weil man vorher schon Schulen gehabt habe, die kaum noch Räume zur Verfügung hatten. "Da wird wirklich jetzt jede Besenkammer genutzt, um zu unterrichten", sagte die Kultusministerin. Zugleich habe man wegen des Fachkräftemangels Probleme, Lehrkräfte zu finden, die Deutsch als Fremdsprache unterrichten können.

Der Landkreistag forderte, die steigende Belastung auf mehr Schultern zu verteilen. "Dabei spielen auch die allgemeinbildenden Gymnasien eine wichtige Rolle, die teilweise noch ausbaufähig scheint", sagte Alexis von Komorowski, Hauptgeschäftsführer des Landkreistags, dem SWR. Die Gymnasien könnten aus seiner Sicht mehr Vorbereitungsklassen anbieten. Das Kultusministerium habe betont, dass alle Schularten einbezogen würden. "Dies muss auch so in die Umsetzung, denn wir brauchen eine solidarische Verteilung der ukrainischen sowie insgesamt der geflüchteten Schülerinnen und Schüler auf alle Schularten."

Auch die Zahl der Kinder von Asylbewerbern aus anderen Ländern steigt

Neben den ukrainischen Schülerinnen und Schülern müssen auch noch Kinder und Jugendliche von Asylbewerbern unterrichtet werden. Laut Kultusministerium sind das derzeit insgesamt rund 52.000. Steigt die Zahl der Ukrainer wie angenommen, wären es im neuen Schuljahr über 60.000. Und auch dieser Wert dürfte noch weiter steigen, weil es bei den Asylanträgen zuletzt ein deutliches Plus gab. Bisher gibt es rund 2.200 Vorbereitungsklassen und etwa 460 solcher Klassen an Berufsschulen.

Die Landesregierung hat entschieden, für das nächste Schulhalbjahr noch einmal 40 Millionen Euro für die ukrainischen Kinder und Jugendlichen zu investieren, damit sind es in diesem Jahr insgesamt 82 Millionen Euro. Für das Jahr 2024 sind 93,7 Millionen Euro vorgesehen, für das Jahr danach noch mal 85,8 Millionen Euro. Das Geld kommt aus der Rücklage für Haushaltsrisiken, erklärte das Finanzministerium dem SWR. Mit den Mitteln werden zum Beispiel Kosten für befristete Verträge von Lehrkräften bezahlt. Aus dem Topf werden auch die befristeten Aufstockungen des Lehrauftrags von verbeamteten Lehrerinnen und Lehrern finanziert. Darüber hinaus werden mit dem Geld Sprachkurse für ukrainische Lehr- und Unterstützungskräfte bezahlt.

Gewerkschaftschef hält das Geld für Ukrainer für gut angelegt

Gerhard Brand, Vorsitzender des Lehrerverband VBE, hält eine Neiddebatte wegen dieser Investitionen für ukrainische Schülerinnen und Schüler für unangebracht. Zwar stimme es, dass im Bildungsbereich an allen Ecken und Ende Geld fehle. Doch die Unterstützung für die Geflüchteten sei eine "humanitäre Pflicht". Brand sagte dem SWR: "Das gehört sich einfach, dass man die Menschen nicht im Regen stehen lässt." Darüber hinaus sei es klug, angesichts des Fachkräftemangels in Deutschland aus der Not eine Tugend zu machen. "Es ist eine Chance für Baden-Württemberg, Fachkräfte zu gewinnen. Das Geld ist gut angelegt."

Fast 1.250 Lehrkräfte extra für ukrainische Kinder angeworben

Seit März 2022 wirbt das Kultusministerium um Lehrkräfte für ukrainische Kinder und Jugendliche. Auf der Online-Plattform hätten sich bisher mehr als 4.400 Personen dafür registriert. "Daraus sind bislang fast 1.250 Verträge entstanden. Darunter sind etwa 380 Personen mit ausländischem Lehramt, mehr als 190 aus der Ukraine. Hinzu kommen gut 40 pensionierte Lehrkräfte", erklärte ein Ministeriumssprecher.

Es gebe auch eine Reihe von Programmen, die geflüchtete Kinder und Jugendliche in den Sommerferien unterstützen. So gebe es zum Beispiel Sommerschulen. "Sie stehen für alle Schülerinnen und Schüler mit Unterstützungsbedarf offen", sagte der Sprecher. Zusätzlich finden seit 2022 sogenannte Ferienschulen als Teil des Programms "Lernen mit Rückenwind" statt. Hier wird auch "Deutsch als Zweitsprache" gelehrt.

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