Constanze Spieß, Sprachwissenschaftlerin an der Philipps-Universität Marburg und Jury-Sprecherin, präsentiert den Begriff "Remigration" auf einem Tablet. Das «Unwort des Jahres» 2023 in Deutschland lautet «Remigration». Das gab die sprachkritische «Unwort»-Aktion am Montag in Marburg bekannt. (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)

Debatte nach "CORRECTIV"-Recherche

Was Menschen mit Migrationsgeschichte über Pläne zur "Remigration" sagen

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AUTOR/IN
Susanne Babila
Michael Ströbel

Laut aktueller Recherchen wollen Rechtsextreme und einzelne AfD-Mitglieder die "Remigration" von Menschen mit Migrationsgeschichte. Zur Not auch mit Gewalt. Das sagen potenziell Betroffene dazu.

Das "Unwort des Jahres" 2023 lautet "Remigration" - die Wahl fällt mitten hinein in eine hochaktuelle Debatte. Bei Menschen mit Migrationsgeschichte in Baden-Württemberg sorgen die Pläne indes für Angst - aber auch Widerstand.

Das Wort sei ein "rechter Kampfbegriff, beschönigende Tarnvokabel und ein die tatsächlichen Absichten verschleiernder Ausdruck", wie die sprachkritische "Unwort"-Aktion in Marburg mitteilte.

Am vergangenen Mittwoch hatte das Recherchenetzwerk "CORRECTIV" Rechercheergebnisse zu einem Treffen in einer Potsdamer Villa veröffentlicht, an dem im November auch einzelne AfD-Funktionäre sowie einzelne Mitglieder der CDU und der erzkonservativen Werteunion teilgenommen hatten.

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Betroffene aus Baden-Württemberg äußern sich

Der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, hatte bestätigt, dass er dort über "Remigration" gesprochen habe. Wenn Rechtsextremisten den Begriff "Remigration" verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll - auch unter Zwang.

Der SWR wollte wissen, was Deutsche mit Migrationsgeschichte zu den "Remigrationsplänen" der AfD sagen, die bei dem Treffen in Potsdam thematisiert wurden. 

"Das nimmt einen krass mit", sagt Mehmet Ildes. Der Deutsche mit kurdischen Wurzeln hat den Verein "Local-Diversity" gegründet. "Deutschland ist meine Heimat und ich bin hier geboren. Ich liebe Stuttgart und will auch hier bleiben", so der 22-Jährige. Er mache sich immer wieder Gedanken, woanders hinzugehen, denn er "verspüre mittlerweile auch eine andere Art von Angst", sagte er.

Mehmet Ildes: Der Deutsche mit kurdischen Wurzeln hat den Verein "Local-Diversity" gegründet. (Foto: Mehmet Ildes)
Mehmet Ildes: Der Deutsche mit kurdischen Wurzeln hat den Verein "Local-Diversity" gegründet.

Angst vor der AfD und Rechtsextremen

Wie Ildes haben viele Menschen mit Migrationsgeschichte Angst vor einer sich stärker radikalisierenden AfD, die immer mehr Zuspruch in der Bevölkerung findet. Diese Entwicklung zeichne sich schon länger ab, sagte der promovierte Sozialwissenschaftler und Bürgermeister von Heubach (Ostalbkreis), Joy Alemazung (CDU).

Deshalb sei Alemazung nicht überrascht: "Wir als Menschen mit internationalen Wurzeln, insbesondere wir Schwarze Menschen, erleben das auf der Straße im Alltag", sagte er. Nur passiere das nun auf höherer politischer Ebene mit Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern. "Dann wird das gefährlich für uns alle". 

Für ihn bedeute dies jedoch nicht, dass er Koffer packe: "Ich leiste meinen Beitrag, das Land hat mich aufgenommen, das Land ist meine Heimat geworden, ich bin ein Teil davon", sagte er.

Ich leiste meinen Beitrag, das Land hat mich aufgenommen, das Land ist meine Heimat geworden, ich bin ein Teil davon.

Der promovierte Sozialwissenschaftler Joy Alemazung (CDU) ist Bürgermeister in Heubach (Ostalbkreis). (Foto: SWR)
Der promovierte Sozialwissenschaftler Joy Alemazung (CDU) ist Bürgermeister in Heubach (Ostalbkreis).

Viele Deutsche mit Migrationsgeschichte

Der 49-Jährige ist der erste Bürgermeister mit afrikanischen Wurzeln in Baden-Württemberg. Vor zwei Jahren wurde der CDU-Politiker mit absoluter Mehrheit von den Bürgerinnen und Bürgern in Heubach (Ostalbkreis) gewählt. Deutschland sei inzwischen seine Heimat geworden und er fühle sich als Teil davon. Wie Alemazung hat jede und jeder Dritte in Baden-Württemberg - und jede und jeder Vierte in Deutschland - eine Migrationsgeschichte.

"Es kann doch nicht sein, dass wir 2024 solche Diskussionen führen", sagt Florence Brokowski-Shekete, Schulamtsdirektorin in Mannheim. Die Deutsche mit nigerianischen Wurzeln wuchs in Hamburg auf und wohnt im Rhein-Neckar-Kreis. In manchen Klassenzimmern in Deutschland hat jedes zweite Kind eine Migrationsgeschichte. "Ich habe Sorge, dass Schülerinnen und Schüler durch diese Debatten verunsichert werden", so Brokowski-Shekete.

Florence Brokowski-Shekete, Schulamtsdirektorin in Mannheim (Foto: Florence Brokowski-Shekete)
Florence Brokowski-Shekete, Schulamtsdirektorin in Mannheim

Landtagspräsidentin Aras: Lasse mich nicht einschüchtern

Auch Muhterem Aras kam mit zwölf Jahren aus Ostanatolien nach Deutschland. Heute ist die Grünen-Politikerin Landtagspräsidentin in Baden-Württemberg: "Das ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich hier integriert haben, die ein Teil der Gesellschaft sind", sagte sie über die "Remigrationspläne".

"Unsere Eltern haben immer gesagt, wenn ihr anständig und fleißig seid, dann stehen euch alle Türen offen. Und so habe ich es auch erlebt". Für sie sei klar: "Das ist meine Heimat hier und ich lasse mich von diesen Rassisten weder einschüchtern noch beeindrucken. Jetzt erst recht nicht."

Bei der nächsten Landtagswahl in Baden-Württemberg würde jeder Fünfte sein Kreuz hinter der AfD machen, so die repräsentativen Ergebnisse auf die jüngste Sonntagsfrage zur Landtagswahl. Für Muhterem Aras, die seit Jahrzehnten gegen Rechtsextremismus und Rassismus kämpft, ist das eine bittere politische Erkenntnis. Sie sei froh, dass der Verfassungsschutz die AfD auch in Baden-Württemberg auf dem Schirm hat, sagte sie.

Das ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich hier integriert haben.

Muhterem Aras (Grüne), Landtagspräsidentin in Baden-Württemberg (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)
Muhterem Aras (Grüne), Landtagspräsidentin in Baden-Württemberg.

Erinnerung an Pläne der Nationalsozialisten

Die AfD gibt sich laut Aras nach außen gerne gutbürgerlich oder konservativ, "aber spätestens jetzt haben sie die Maske komplett fallen lassen. Sie sind völkisch, nationalistisch und agieren zum Teil nach nationalsozialistischem Vorbild." Denn auch die Nationalsozialisten hatten 1940 sogenannte "Remigrationspläne", nämlich alle Juden in ein Großghetto auf die ostafrikanische Insel Madagaskar zu deportieren.

Angesichts der Enthüllungen um die Vertreibungspläne der Rechtsextremen und die Nähe der AfD zum rechtsextremen Spektrum lohne es sich, ein Verbotsverfahren zu prüfen, so die 58-jährige Politikerin. Wichtiger sei jedoch, "dass wir als Demokratinnen und Demokraten hinstehen und Haltung zeigen gegen Antisemiten, gegen Rassisten und unsere Demokratie verteidigen", so Aras.

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