Auf den Dächern von mehreren Häusern sind Photovoltaikanlagen auf dem Dach installiert. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Fabian Sommer)

Erneuerbare Energien in BW

Grüner Strom statt Atom? Die Energiewende und ihre Tücken

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Natalie Meyer
Natalie Meyer ist Teil des Teams von "Zur Sache! Baden-Württemberg". (Foto: SWR, Patricia Neligan)

Seit der Abschaltung von Neckarwestheim vor rund einem Jahr gibt es keinen Atomstrom mehr im Land. Was hat sich seither bei den Erneuerbaren Energien getan?

Frank Holzappel blickt auf seine riesige Photovoltaik-Anlage auf dem Mehrparteienhaus, in dem er in Holzgerlingen (Kreis Böblingen) lebt. Auf einer Fläche von 100 Quadratmeter hat er 50 Solarmodule angebracht. Ganz schön dreckig seien die, sagt der 57-Jährige - und meint vor allem damit die Pollen. Was ihn aber noch mehr ärgert als der Pollenflug ist die Rentabilität seiner Anlage. Die existiert aus seiner Sicht nicht.

Für 60.000 Euro hat er mitten in der Energiekrise die Solarzellen gekauft. Damals sei er überzeugt gewesen, dass sich das bei den hohen Energiepreisen lohnt und dass auch die anderen Bewohner in seinem Mehrparteienhaus seinen selbstproduzierten Strom abnehmen würden. Beides ist nicht passiert. "Das ist eine Sache - die hat mich jetzt drei, vier Jahre gekostet. Und diese Zeit können Sie nicht umrechnen. Momentan reden wir von Amortisierungszeit von deutlich über 25 bis 30 Jahren", sagt der Holzgerlinger. Denn die Anlage produziert mehr Strom als er allein verbrauchen kann. Jetzt bekommt er für das Einspeisen des Stroms nur 8 Cent pro Kilowattstunde.

Von der Photovoltaik-Anlage zur Ladesäule - Die Hürden sind groß

Holzapfel wollte aber nicht, dass alles umsonst war. Er besorgte sich eine Ladestation, für sein E-Auto, aber auch für Anwohner und Nachbarn zur Nutzung. Diese hat er an seinem Haus angebracht, der E-Dienstwagen steht davor. Und dennoch: Nutzen kann er sie aus verschiedenen Gründen nicht.

Das größte Hindernis: Die Stadt Holzgerlingen. Die private Ladesäule verstoße gegen eine Stellplatzverordnung. Nachbarn und Anwohner, deren Nutzung die Ladesäule erst rentabel machen würden, können hier nicht laden. Zudem kann er den Strom für den Dienstwagen nicht über den Arbeitgeber abrechnen. Holzapfel will nicht aufgeben, wendet sich an mehrere Ministerien. Doch auch dort kann man ihm nicht helfen. Der Holzgerlinger fragt sich, ob er das Geld, mit dem er eigentlich seinen Beitrag zur Energiewende leisten wollte jemals wiedersieht. "Es zeigt das Frustpotential von Erneuerbarer Energie und Verkehrswende in Deutschland. Meine Hoffnung ist, dass sich die Gesetzgebung ändert über die Jahre, dass Interesse an elektrischem Strom wächst", so der 57-Jährige.

Mehr Solaranlagen in Baden-Württemberg installiert

Auch wenn es bei Windkraft und Photovoltaik hohe Hürden und zahlreiche Probleme wie bei Holzapfel in Holzgerlingen gibt: Insgesamt hat der Anteil von Erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung in den vergangenen zehn Monaten seit dem Atomausstieg deutlich zugelegt. Während sie in 2022/23 bei rund 39 Prozent lagen, machen die Erneuerbaren mit 61 Prozent mehr als die Hälfte der Stromproduktion im Land aus. Das zeigen Erhebungen der Bundesnetzagentur. Steinkohle hat mit rund 19 Prozent aber immer noch einen verhältnismäßig großen Anteil an der Stromerzeugung.

Bis Ende März 2024 lag der Zubau für dieses Jahr, also die neu installierte Leistung bei der Solarenergie, bei rund 490 Megawatt und somit um rund 30 Megawatt über dem Wert im ersten Quartal des Vorjahreszeitraums, wie der Verein Solar Cluster Baden-Württemberg in Stuttgart mitteilte. Der Verein verwies auf vorläufige Daten der Bundesnetzagentur, die vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) korrigiert worden sind. Von Januar bis März wurden in Baden-Württemberg insgesamt rund 35.000 neue Solarstromanlagen installiert.

Grafik zeigt, woher der Strom in Baden-Württemberg kommt (Foto: SWR)
Quelle: Bundesnetzagentur

Atomkraft adé - Sonne ja bitte!

Eine positive Entwicklung weg von der Atomkraft hin zu den Erneuerbaren Energien zeigt sich im Land besonders deutlich in Philippsburg (Kreis Karlsruhe). Vor fast vier Jahren hat man dort die beiden Kühltürme des Kernkraftwerks nach rund 40 Jahren gesprengt. Schon lange vor der Abschaltung des Atomkraftwerks hatte die 14.000-Einwohner-Stadt nach Alternativen gesucht. Photovoltaik entstand auf dem Rathaus und auf Firmendächern. Eine erfolgreiche Energiewende, denn Philippsburg liegt in Baden-Württemberg inzwischen auf einem Spitzenplatz bei der Photovoltaik. Das hat der in Karlsruhe ansässige Verein "Wattbewerb" nach Zahlen des Marktstammdatenregisters der Bundesnetzagentur ausgerechnet.

Demnach gewinnt Philippsburg mit seinen insgesamt 855 PV-Anlagen 36.000 kWp Strom. Das ist so viel Strom, dass rechnerisch jeder Einwohner mit 2.607 kWp versorgt werden kann. Im bundesweiten Vergleicht ist das ein hoher Wert. 

Auf SWR-Anfrage bestätigte Bürgermeister Stefan Martus (parteilos), dass die Stadt sogar noch weiter gehen möchte: Feuerwehrdächer mit Solar in Huttenheim und Rheinsheim seien geplant, sogar die vier Dächer des Bildungscampus kommen noch dazu. Insgesamt sei das Ziel eine CO2-Einsparung von 247 Tonnen pro Jahr. Martus sieht aber auch Probleme bei der Solarwende: "Allerdings verzögern sich Projekte, weil die Netzeinspeisung nicht genügend ausgebaut ist. Alternativ kann man Speichermöglichkeiten prüfen. Die können den Strom dann immerhin mit Verzögerung abgeben. Da könnte es in einigen Monaten Lösungen geben."

Das Ziel ist klar: Klimaneutralität bis 2040

Das ambitionierte Ziel Deutschlands: bis 2045 klimaneutral werden, Baden-Württemberg sogar bis 2040. Ist das ohne Atomkraft umsetzbar? Die FDP im Land glaubt nicht daran. FDP-Landtagsfraktionschef Hans-Ulrich Rülke sagte am Donnerstagabend in der SWR-Sendung "Zur Sache Baden-Württemberg": "Es wird auch zu bedenken sein, dass seit wir die Kernkraftwerke abgeschaltet haben - der Anteil der Fossilen am Energiemix wieder gestiegen ist. Und das kann doch nicht das Ziel sein einer Klimaschutzpolitik."

Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme hat Anfang des Jahres berechnet, ob die Klimaneutralität im Land bis 2040 realistisch ist. Das Ergebnis: Laut dieser "BW-Stromstudie" sei man selbst bei einer Vervierfachung der heutigen Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien noch auf Stromimporte angewiesen. Vor allem in den Stadtkreisen gäbe es noch zu wenig erneuerbare Energien, in ländlichen Regionen könnte das Potenzial den Strombedarf sogar übersteigen.

Hier können Sie die komplette Sendung - inklusive der Diskussion zum Ende der Atomkraft in Baden-Württemberg - nachverfolgen:

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