Symbolbild: Eine Krankenpflegerin schiebt ein Krankenbett durch einen Krankenhausflur.

Gegner kritisieren Abstimmung

Geplante Pflegekammer in BW: Vorgehen sorgt für Frust

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Michael Ströbel

Eine Pflegekammer soll allen Pflegefachkräften in Baden-Württemberg eine Stimme geben. Doch anstatt die Branche zu einen, sorgt sie schon vor ihrer Gründung für Streit.

Eigentlich sollte die Pflegekammer den Pflegefachkräften aus Baden-Württemberg eine gemeinsame Stimme geben, ihnen politisches Gewicht verleihen - und die Lage der in der Branche Beschäftigten verbessern. So zumindest die Idee von Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) und der Landesregierung. Doch schon vor der Einführung sorgt das Vorgehen für viel Frust. Und das ausgerechnet bei jenen, denen die Institution zugutekommen soll.

Rund 114.000 Pflegefachpersonen in Baden-Württemberg sind derzeit vom Statistischen Landesamt erfasst, teilt der Gründungsausschuss der Pflegekammer mit. Sie wurden nun angeschrieben, um darüber abzustimmen, ob die Kammer gegründet werden soll. Genau genommen ist es umgekehrt - die Pflegekammer kommt nur dann nicht zustande, wenn mindestens 40 Prozent der Pflegefachpersonen einen Einwand einreichen. Das ist schriftlich oder online möglich.

So läuft das Gründungsverfahren ab:

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Gewerkschaft hält Abstimmung für undemokratisch Geplante Pflegekammer in BW: Wer schweigt, stimmt zu

Die Landesregierung in BW plant, dass alle Pflegefachkräfte Kammermitglieder werden müssen. Die Gewerkschaft ver.di ist dagegen - und gegen die Art, über die Gründung abzustimmen.

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Betroffene erhalten keine Benachrichtigung

Doch genau dieser Prozess sorgt für Frust, sowohl bei vielen Betroffenen als auch bei der Gewerkschaft ver.di. Denn nach SWR-Recherchen haben einerseits zahlreiche an Kliniken oder anderen Einrichtungen beschäftigte Pflegekräfte ein solches Anschreiben gar nicht erhalten. Das meldet beispielsweise eine entsprechende Gruppe auf Facebook, einige Betroffene haben sich auch selbst beim SWR gemeldet.

Andererseits wurden laut ver.di auch Personen angeschrieben, die längst in Rente sind, die eine Pflegekammer also gar nicht mehr betreffen würde. Während Erstere also keinen Widerspruch einlegen können, werden Letztere als Zustimmende gewertet, wenn sie nicht reagieren.

Gründungsausschuss bestätigt tausende Fehlermeldungen

Der Gründungsausschuss teilte auf SWR-Anfrage mit, diese Probleme beträfen nur "eine in Relation zur Gesamtheit stehende überschaubare Anzahl von Pflegefachpersonen". Lange war sogar die Rede von Einzelfällen. In einer aktuellen Mitteilung von Freitag heißt es nun, dem Gründungsausschuss seien 8.300 Fälle bekannt, in denen es zu technischen Problemen gekommen sei.

Jana Langer, Personalrätin der Universitätsklinik Ulm, macht das fassunglos. "Das Problem ist nicht die Kammer an sich, sondern die Art und Weise, wie sie eingeführt wird und wie sie umgesetzt werden soll", sagte die Fachkrankenschwester dem SWR.

Nicht-Registrierte können nicht mehr abstimmen

In einer Mitteilung vom 10. Januar hatte der Gründungsausschuss noch betont, dass jede Pflegefachperson die Möglichkeit bekommen werde, abzustimmen. Das klingt inzwischen anders: "Wir können die (...) Fragen und Unsicherheiten nachvollziehen, möchten aber dennoch mit dem Irrglauben aufräumen, dass - ähnlich einer Vollbefragung - alle Pflegefachpersonen ihr Votum abgeben können", weil eine vollständige Liste aller Pflegefachpersonen dem Gründungsausschuss nicht vorliege, wie es in einer Mitteilung vom 2. Februar heißt.

In einer neuen Mail vom Freitag heißt es jetzt, dass rund 3.100 der 6.300 Fälle "wahrscheinlich nicht in der Lage sein (werden), sich zu beteiligen", weil es nicht möglich sei, die entsprechenden Adressen zu ermitteln. Das entspräche rund 2,5 Prozent der angeschriebenen Personen.

"Das Verfahren ist undemokratisch und dazu noch fehlerhaft durchgeführt. Eine demokratische Legitimation kann so nicht erreicht werden."

Aufgrund der Unregelmäßigkeiten fordert ver.di nun zumindest die Aussetzung der Einwendungsfrist. Dann solle erst einmal die Datenbasis geklärt werden, ehe der Prozess weitergehen könne, fordert ver.di-Gewerkschaftssekretär Simon Wiese. Trotzdem will der Gründungsausschuss auch die Frist für die Einwendung nicht verlängern. Man sehe dazu keinen Anlass, heißt es auf Anfrage. Die Frist allerdings läuft bereits in rund zwei Wochen ab, am 23. Februar.

"Da die Grundgesamtheit der angeschriebenen Personen knapp 120.000 Pflegefachpersonen" beinhalte, die angeschrieben worden seien, "gesetzlich aber nur 113.435 gefordert waren, ist das daher unerheblich", teilte eine Sprecherin auf SWR-Anfrage mit. Denn, so die Argumentation, "selbst wenn man diese 3.100 Rückläufer abzieht", läge man "auch mit 116.900 angeschriebenen Pflegefachpersonen über dem geforderten statistischen 100 Prozentwert".

Gewerkschaft ver.di fordert Notbremse für das Verfahren

So oder so hält ver.di-Gewerkschaftssekretär Simon Wiese das Verfahren für undemokratisch: Das werde es nur, "wenn man eine echte Abstimmung durchführt", sagt er. Sein Vorwurf: "Das Ministerium scheut offensichtlich den Ausgang einer echten Abstimmung." ver.di-Bezirksleiter Martin Gross fordert gar die Notbremse.

Möglicher Interessenskonflikt?

Dass ausgerechnet ver.di sich so für die Gegner der Pflegekammer stark macht, sorgt ebenfalls für Kritik, schließlich wäre die Kammer eine weitere Konkurrenz für die Gewerkschaft. Auch deshalb scheinen die Fronten zwischen ver.di und dem Gründungsausschuss verhärtet. Letzterer spricht gar von Falschbehauptungen, die im Umlauf seien, um die Pflegekammergründung zu diskreditieren.

Für Jana Langer ist so oder so klar, dass sie sich wehren will, sollte die Pflegekammer zustande kommen, möglicherweise auch juristisch. Sie hat Angst, von einer Pflegekammer zu stark reguliert zu werden und als Angestellte die Verantwortung für eine gute Pflege aufgebürdet zu bekommen, die sie aufgrund fehlender Zeit aber gar nicht erfüllen kann. Dabei liegt für sie der Schlüssel dafür vor allem bei mehr Personal. Dass sie dann auch noch den Beitrag für die Kammer selbst bezahlen soll und eine Mitgliedschaft verpflichtend wäre, ärgert sie.

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