Geiselnahme Prozess Karlsruhe (Foto: SWR)

Auch Opfer haben ausgesagt

So begründet der Angeklagte die Geiselnahme von Karlsruhe

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Matthias Stauss
Ein Bild von Matthias Stauss (Foto: SWR)

Im Prozess um die Geiselnahme in Karlsruhe hat der Angeklagte ein Geständnis abgelegt. Eine wichtige Rolle spielt dabei seine Ex-Freundin. Auch die Geiseln selbst haben vor Gericht ausgesagt.

Für mehrere Sekunden war es komplett still im Gerichtssaal. Der mutmaßliche Geiselnehmer von Karlsruhe hatte vor dem Landgericht Karlsruhe gerade eine der Geiseln um Entschuldigung für die Tat gebeten. Die 62-jährige Frau saß nur ein paar Meter entfernt von ihm auf der Zeugenbank. „Es tut mir unfassbar leid. Ich wünschte, ich könnte es rückgängig machen“, sagte der 21-jährige Angeklagte mit brüchiger, tiefer Stimme. Die 62-Jährige zögerte und nahm die Entschuldigung dann an.

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Angeklagter: Geiselnahme in Karlsruhe war geplant

Der zweite Verhandlungstag im Geiselnahmeprozess startete am Montag mit einem ausführlichen Geständnis des 21-jährigen Angeklagten. Der Mann - zugeknöpftes weißes Hemd, kurz rasierte dunkle Haare - schilderte minutenlang, wie sich die Geiselnahme am 10. März 2023 in einer Karlsruher Apotheke aus seiner Sicht abgespielt hat.

Die Entscheidung für eine Geiselnahme sei am Vorabend der Tat gefallen, so der Angeklagte vor dem Karlsruher Landgericht. Sein vorrangiges Ziel: Er wollte damit Kontakt zu seiner Ex-Freundin erzwingen. Er habe den ganzen Tag über Alkohol getrunken, geraucht und sich eine Schreckschusswaffe gekauft.

Sein Plan sei ursprünglich gewesen, eine Bankfiliale am Mendelssohnplatz in Karlsruhe zu überfallen. Davon sah der 21-Jährige dann aber spontan ab. "Es waren zu viele Menschen dort." Stattdessen lief er weiter durch die Stadt und kam dann durch Zufall an der Apotheke am Kongresszentrum in der Karlsruher Innenstadt vorbei. "Ich habe gesehen, dass dort Licht brennt und mir gesagt, komm mach es, zieh es durch!"

Ich wollte eine Geiselnahme machen, um meine Ex-Freundin wiederzusehen.

Geiseln schildern Tat aus ihrer Perspektive

Der mutmaßliche Täter nahm zwei Frauen, die als Kundinnen in der Apotheke waren, als Geiseln und hielt sie stundenlang im hinteren Teil der Apotheke fest. Eine dritte Geisel, eine Angestellte, konnte fliehen. Alle Frauen sagten als Zeuginnen nach dem Angeklagten aus.

Ihre Aussagen über die Tat deckten sich weitestgehend mit denen des Angeklagten. Die Zeuginnen berichteten, dass der Angeklagte ihnen trotz Schüssen aus seiner Schreckschusspistole mehrfach zugesichert habe, ihnen würde nichts passieren. Er habe ihnen sogar Medikamente und etwas zu Trinken besorgt.

Er hat mehrmals gesagt, er möchte niemand verletzen.

Gleichzeitig beschrieben die Zeuginnen den Angeklagten als "nervös und angespannt." Er habe ihr mehrfach die Schreckschusswaffe an den Kopf gehalten, um der Polizei draußen zu zeigen, dass er es ernst meint, erinnert sich die die 24-jährige Zeugin. Sie habe Todesangst gehabt und mehrfach geweint.

Sieben Millionen Euro Lösegeld hatte der mutmaßliche Täter von der Polizei gefordert und Kontakt zu seiner Ex-Freundin. Beides klappte nicht. SEK-Beamte stürmten das Gebäude, befreiten die Geiseln und weitere Angestellte, die sich in der Apotheke versteckt hatten. Alle waren unverletzt. Der mutmaßliche Täter wurde festgenommen.

Apotheke nach Geiselnahme in Karlsruhe (Foto: SWR)
Spuren der Geiselnahme waren in der Karlsruher Apotheke deutlich sichtbar

Von der Größe des Einsatzes überrascht

Mit dem Ausmaß des Einsatzes habe er nicht gerechnet, gab der Angeklagte zu. Auf die Nachfragen der Richterinnen, der Staatsanwältin und der Nebenklage antwortete er unaufgeregt und einsichtig. An einige Details der Tat könne er sich aber nicht mehr erinnern. Immer wieder fielen Aussagen wie: "Ich habe mich reingesteigert" oder "Ich war überfordert." Als die Zeuginnen nacheinander ihre Erlebnisse schilderten, schaute der 21-Jährige meistens weg und vermied den Augenkontakt.

Neben den drei Geiseln sagte auch eine Angestellte aus, die sich in der Apotheke versteckt hatte und deswegen nicht vom mutmaßlichen Täter gefunden wurde. Alle gehen ihren Schilderungen nach unterschiedlich mit dem Erlebten um.

Arbeitsunfähigkeit bis Schlafstörungen - Opfer reagieren unterschiedlich

Die 24-jährige Geisel etwa hat die Tat nach eigenen Angaben mittlerweile verarbeiten können. Vielmehr beschäftige sie, dass sie direkt nach der Tat als mutmaßliche Mittäterin vorläufig festgenommen und verhört worden sei. Erst in der Nacht sei sie wieder frei gekommen und habe zu ihrer Familie gehen könne. Das sei eine Demütigung für sie gewesen. Auch bei ihr entschuldigte sich der mutmaßliche Täter nochmal persönlich.

Andere Zeuginnen berichten von anhaltenden Schlafstörungen und Traumata. Einige Angestellte der Apotheke seien nach wie vor nicht zu ihrem Arbeitsplatz zurückgekehrt, weil sie die Tat immer noch so beschäftigt. Am nächsten Verhandlungstag am Freitag werden noch weitere Zeugen gehört. Ein Urteil gegen den Angeklagten wird für Ende Februar erwartet.

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