Enno Bahrs ist Professor für landwirtschaftliche Betriebslehre an der Universität Hohenheim.

Interview zu Protest der Landwirte

Experte zu Bauernprotesten: "Fass des Unmutes ist übergelaufen"

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Thomas Fritzmann
Thomas Fritzmann
Siri Warrlich
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Enno Bahrs forscht seit vielen Jahren an der Universität Hohenheim zur finanziellen Lage von Landwirten. Im Interview erklärt er, woher der große Frust vieler Landwirte kommt.

Im Großraum Stuttgart und in ganz Baden-Württemberg haben Landwirtinnen und Landwirte am Montag den Verkehr lahmgelegt. Der Bauernverband hat zu einer Aktionswoche aufgerufen, um gegen die Streichung von Subventionen für Bauern zu demonstrieren. Viele fragen sich nun: Wie ist die wirtschaftliche Lage von Landwirten wirklich? Experte Enno Bahrs ist Professor für landwirtschaftliche Betriebslehre an der Universität Hohenheim und ordnet die Proteste im Interview ein.

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SWR Aktuell: Herr Bahrs, die bisherige Steuerbegünstigung beim Agrardiesel soll in den nächsten Jahren schrittweise reduziert werden und letztendlich ganz wegfallen. Wie wichtig ist diese Subvention für die Bauern?

Enno Bahrs: Die Agrardiesel-Subvention ist für viele Betriebe ein wichtiger Bestandteil ihres Gewinns. Und wer gibt schon gern einen Teil seines Gewinns ab? Wenngleich viele Akteure sagen würden: Naja, zwei, drei oder vier Prozent des Gewinns, das ist ja nicht so viel, darauf kann man verzichten. Wenn es aber um viele Tausend Euro pro Jahr geht, tut das schon weh. Viele Landwirte fühlen sich deshalb motiviert, jetzt zu protestieren, um dafür zu kämpfen, die Subvention zu erhalten.

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SWR Aktuell: Auf einigen Plakaten der Landwirte steht: „Wenn der Bauer stirbt, stirbt das Land“. Sind Bauern wirklich in ihrer Existenz bedroht, weil die Agrardiesel-Subvention schrittweise wegfällt?

Bahrs: Man muss die Subventionskürzungen im historischen Kontext sehen. Die Landwirtschaft wurde in den letzten Jahren mit vielen ordnungsrechtlichen Einschränkungen und daraus resultierenden Kostenerhöhungen konfrontiert. Und diese Kürzungen haben das Fass des Unmutes jetzt zum Überlaufen gebracht.

SWR Aktuell: Was waren das denn für Einschränkungen?

Bahrs: Das waren Einschränkungen in der Tierhaltung, aber auch in der Bodenbewirtschaftung, im Einsatz von Pflanzenschutzmitteln oder beim Düngerecht. Viele Landwirte fühlen sich eingeschränkt in ihrer unternehmerischen Freiheit, sehen die Stückkostenerhöhung und damit auch eine Unterminierung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Gleichzeitig erkennen die Landwirte, dass die Politik ihnen in vielen Kommissionen den Dialog anbietet, wie zum Beispiel in der Zukunftskommission des Bundeskabinetts oder der sogenannten Borchert-Kommission zum Umbau der Nutztierhaltung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Vor diesem Hintergrund empfinden die Landwirte die aktuellen Kürzungen im Grunde genommen als Dolchstoß. Auf der einen Seite wird diskutiert und es resultiert nichts daraus, und auf der anderen Seite werden Subventionen erheblich gekürzt. Das wird als Vertrauensverlust empfunden.

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SWR Aktuell: Wie geht es den Bauern in Baden-Württemberg zur Zeit finanziell?

Bahrs: Die vergangenen Wirtschaftsjahre waren gar nicht schlecht. Man kann sagen, sie waren überdurchschnittlich. Aber das Erstaunliche daran ist: Die vergangenen Jahre waren wirtschaftlich gut, aber die Stimmung war ganz schlecht. Das hat viel mit dem zu tun, was ich eben beschrieben habe.

SWR Aktuell: Halten Sie das Ausmaß der Bauernproteste für gerechtfertigt?

Bahrs: Es ist grundsätzlich erlaubt, seinen Unmut zu zeigen und zu demonstrieren, solange es im Rahmen des rechtlich Erlaubten bleibt. Ich bin mir sicher, dass die Mehrzahl der Landwirte und Landwirtinnen sich daran hält. Und ich hoffe, dass die Demonstrationen in einem angemessenen Rahmen umgesetzt werden. Alles andere wäre unschön.

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SWR Aktuell: Die Bauern kritisieren auch, dass es in Deutschland mehr Auflagen gebe als in anderen EU-Ländern. Stimmt das?

Bahrs: Für manche Produktionsbereiche ist das zutreffend. Wir haben aber glücklicherweise EU-weite Standards, die bei den meisten landwirtschaftlichen Produkten auch zu vergleichbaren Standards führen. Anders kann es sein, wenn wir über den EU-Tellerrand hinausschauen. Dort sind die Standards manchmal geringer, und hier wünschen sich viele Landwirte, auf Augenhöhe miteinander interagieren zu können. Das ist sicherlich etwas, an dem in der Politik noch gearbeitet werden sollte, diese Augenhöhe in Zukunft besser herzustellen.

SWR Aktuell: Was muss passieren, damit der Unmut der Landwirte abnimmt?

SWR Aktuell: Die Politik sollte der Landwirtschaft wieder mehr Planungssicherheit geben. Denn genau das kann die Landwirtschaft im Augenblick nicht erkennen. Die Subventionskürzungen, die ad hoc und auch in erheblicher Höhe vorgenommen werden sollten, waren ein Fingerzeig dafür, dass die Planungssicherheit gerade sehr gering ist. Und die Politik würde gut daran tun, der Landwirtschaft sowohl im Rahmen der Tierhaltung als auch der Bodenbewirtschaftung Signale zu setzen, die langfristig und vertrauenswürdig sind und es der Landwirtschaft erlauben, wieder in einem größeren Maß Investitionen zu tätigen. Damit wäre allen geholfen.

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SWR Aktuell: Zum Beispiel?

Im Rahmen der Tierhaltung wäre dafür zu sorgen, dass die höheren Produktionskosten im Rahmen der erwünschten höheren Tierwohlstandards auch angemessen kompensiert werden, weil an der Ladentheke nicht zu erkennen ist, dass die Verbraucher und Verbraucherinnen bereit wären, die vollen Kosten für erhöhte Tierwohlstandards zu zahlen. Und in der Außenwirtschaft und Bodenbewirtschaftung wäre es sinnvoll, klare Zeichen zu setzen, wie es weitergeht mit dem Pflanzenschutz und dem Düngereinsatz, mit verlässlichen Rahmenbedingungen, auf die sich die Landwirte und Landwirtinnen über viele, viele Jahre verlassen können.

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