Säugling liegt zwischen seinen Eltern auf dem Bett in einer Geburtshilfestation (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Marcus Brandt)

neue Regelung ab 2024

Chefärzte warnen vor Schließung vieler Frühchenstationen in BW

Stand

Ab 2024 müssen spezialisierte Krankenhäuser mehr Frühchen behandeln, um Geld von der Krankenkasse zu bekommen. Chefärztinnen und Chefärzte im Land warnen vor Schließungen von Frühgeborenenstationen.

Die Chefärztinnen und -ärzte der Kinderkliniken in Baden-Württemberg befürchten, dass ab 2024 viele Stationen zur Versorgung von extrem Frühgeborenen schließen müssen. Die Versorgung sei akut gefährdet, sagte Christian von Schnakenburg, Vorsitzender des Verbands leitender Kinder- und Jugendärzte Baden-Württemberg in Stuttgart. "Die Versorgung von Frühgeborenen wird qualitativ deutlich schlechter werden. Ich bin hochgradig besorgt", sagte er.

Hintergrund ist eine Änderung der sogenannten Mindestmengenregelung, die der gemeinsame Bundesausschuss von Ärztinnen und Ärzten, Kliniken und Krankenkassen (G-BA) bereits 2020 beschlossen hatte. Demnach müssen Kinderkliniken in ganz Deutschland ab 2024 pro Jahr mindestens 25 Frühgeborene unter 1.250 Gramm Geburtsgewicht behandeln, um auch weiter die Versorgung der extrem Frühgeborenen von den Krankenkassen bezahlt zu bekommen. Bislang lag die Mindestmenge bei 14 Frühgeborenen pro Jahr, in diesem Jahr gilt eine Übergangsregelung von 20.

Analyse: Regelung habe massive Auswirkungen auf Versorgungslage

Einer Analyse des Chefarzt-Verbandes zufolge hätte die neue Regelung massive Auswirkungen auf die Versorgungslage in Baden-Württemberg. Bislang gibt es im Land 21 Kinderkliniken, die der höchsten Versorgungsstufe Level 1 zugeordnet sind. In diesen Krankenhäusern, sogenannten Perinatalzentren, können auch besonders früh geborene Kinder versorgt werden.

"Bleibt es bei der neuen Mindestmenge, würde das bedeuten, dass elf der 21 Kliniken Kinder unter 1.250 Gramm nicht mehr versorgen dürften", sagte von Schnakenburg, der auch Chefarzt am Klinikum Esslingen ist. In den vergangenen beiden Jahren versorgten diese elf Kliniken knapp ein Drittel aller Frühgeborenen unter 1.250 Gramm. Das geht aus einer Erhebung des Verbandes hervor.

Wo und von wem diese Kinder künftig versorgt werden sollen, sei völlig offen, warnte von Schnakenburg. "Diese Kinder können nicht einfach auf die zehn verbleibenden Kliniken verteilt werden. Dort gibt es gar nicht ausreichend Kapazitäten, hinzu kommt der große Pflegemangel", sagte von Schnakenburg.

Mindestmengen stellt Land laut Sozialministerium vor Herausforderungen

Das sieht auch das Sozialministerium so. Eine rein rechnerische Betrachtung, wie sie der Bundesausschuss vornehme, halte man für nicht realistisch, sagte ein Sprecher. "Vor allem ist nicht berücksichtigt, ob die "verbliebenen" Perinatalzentren weitere Kapazitäten haben." Die neuen Mindestmengen stellten das Land vor Herausforderungen, sagte der Sprecher. Man wolle sich deswegen dafür einsetzen, beim G-BA die Aussetzung von Sanktionen zu erwirken. Langfristig setze man auf die Krankenhausreform, die Bund und Länder derzeit aushandeln. Diese könnte auch bei der Frühchenversorgung "sinnvolle Lösungen anbieten", etwa durch eine Vergütung für das Vorhalten bestimmter Strukturen.

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Der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) begründet die Regelung mit Studien, die zeigten, dass mehr Behandlungen mehr Sicherheit und mehr Qualität für die Familien bedeuten würden. Es gebe einen wissenschaftlich belegten Zusammenhang zwischen der Zahl der behandelten extremen Frühgeborenen und deren Überleben. 

Auch auf die Notfallversorgung habe die Neuregelung Auswirkungen, erklärte Chefarzt von Schnakenburg. Die Notfallversorgung für Schwangere und Frühgeborene bleibe zwar weiter gesichert, Mütter könnten ihre Kinder also auch weiter in einer der elf bedrohten Kliniken auf die Welt bringen. "Direkt nach der Geburt müssten wir das Kind aber so schnell wie möglich in eine andere Klinik verlegen", sagte von Schnakenburg.

Verlegung in andere Klinik für Frühchen mit Risiken verbunden

Das sei mit großen Risiken für die kleinen Frühgeborenen verbunden. "Eigentlich sollte man die Kinder in den ersten drei Tagen nicht herumfahren, weil das Risiko für Hirnblutungen in dieser Zeit sehr hoch ist." Unklar sei zudem, was der Wegfall vieler Frühgeborenen-Stationen für die Notfallversorgung in anderen Kliniken bedeute. Bislang müssen nur Perinatalzentren einen sogenannten Babynotarzt vorhalten. Mit diesem fahren Kinderärzte aus den Zentren bei Notfällen in Geburtskliniken ohne Kinderklinik, um dort Kinder nach der Geburt zu versorgen.

"Es gibt viele Kinder, die wegen einer Nabelschnurumschlingung oder einer Anpassungsstörung maximal intensivmedizinisch versorgt werden müssen", sagte von Schnakenburg. Diese Kinder müssten bei einem Wegfall vieler Frühgeborenen-Stationen deutlich länger auf Hilfe warten, warnte der Chefarzt. "Das sind Kollateralschäden, die überhaupt nicht bedacht werden."

Laut G-BA betreffe die Regelung zur Frühchenversorgung ausdrücklich komplexe, planbare Eingriffe bei extrem früh geborenen Kindern unter 1.250 Gramm. Die festgelegte Mindestmenge von 25 sei zudem bereits ein Kompromiss zwischen Qualität und Erreichbarkeit. Der G-BA habe die Menge im mittleren Bereich gewählt und dabei potenzielle Risiken durch Wegstrecken- und Fahrzeitverlängerung bereits in die Überlegung einbezogen.

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