Ein Bus in Heidelberg (Foto: rnv GmbH/Haubner)

Nach langem Koalitionsstreit um Mobilitätsgesetz

BW will Nahverkehrsabgabe in Kommunen bald möglich machen

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Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik (Foto: Henning Otte)

Die "Verkehrswende" ist ein zentrales, teures Projekt im Koalitionsvertrag von Grünen und CDU. Doch das Vorhaben kommt nur langsam voran. Nun sollen die Kommunen stärker helfen.

Die baden-württembergische Landesregierung will demnächst die gesetzliche Grundlage für eine Nahverkehrsabgabe in den Kommunen schaffen. Dann können Städte und Kreise entscheiden, ob sie den sogenannten Mobilitätspass einführen. Das geht aus dem Entwurf von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) für ein Mobilitätsgesetz hervor, der dem SWR vorliegt.

Nachdem sich Grüne und CDU im Frühjahr heftig über das Konzept gestritten hatten, legte Hermann vor Kurzem eine neue, deutlich kürzere Version vor. Eigentlich wollten die Grünen den Entwurf noch in diesem Jahr im Kabinett beschließen. Doch das dürfte sich noch etwas hinziehen. Wie der SWR erfuhr, gibt es bei CDU, den Kommunen und Verkehrsunternehmen weiter Vorbehalte gegen das Gesetz.

Der Entwurf enthält drei Kernpunkte: Er soll die Basis dafür schaffen, dass Kommunen ab 20.000 Einwohnern eine Nahverkehrsabgabe einführen können. Städte und Gemeinden sollen entscheiden, ob sie Einwohner, Kfz-Halter, Arbeitgeber oder Autofahrer zur Kasse bitten wollen. Darüber hinaus will Hermann, dass alle 44 Stadt- und Landkreise eine Koordinationsstelle für Radverkehrsnetze einrichten. Zudem möchte das Ministerium den Verkehrsunternehmen und Kommunen strenge Vorgaben machen, bis wann ihre Busse im Öffentlichen Nahverkehr emissionsfrei unterwegs sein müssen. Vor allem an diesem Punkt stören sich dem Vernehmen nach CDU, Kommunen und Unternehmen.

Für Zahler soll es Gutscheine für den ÖPNV geben

Bei der Nahverkehrsabgabe haben die Kommunen die Wahl zwischen vier Alternativen. Alle Modelle sehen vor, dass die Gebührenzahlerinnen und -zahler im Gegenzug Gutscheine für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) erhalten. Eine erste Möglichkeit wäre bei allen Einwohnerinnen und Einwohnern eine Gebühr einzuziehen. Wer in dem Gebiet nur seinen Nebenwohnsitz hat, kann sich befreien lassen, wenn er am Hauptwohnsitz schon zur Kasse gebeten wird.

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Es könnte aber auch so laufen, dass die Kfz-Halter belastet werden. Eine weitere Option wäre, die Abgabe über die Arbeitgeber einzuziehen. Diese kämen aber nur infrage, wenn sie mehr als zehn Beschäftigte haben. Das Mobilitätsguthaben soll dann den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zugutekommen. Die vierte Variante wäre eine Art Maut für Autofahrerinnen und Autofahrer. Hier wäre aber die Erfassung komplizierter, da Autobahnen und Bundesstraßen ausgeklammert werden müssten.

Kommunen dürfen die Abgabe laut dem Entwurf aber nur einführen, wenn ein "ausreichendes Angebot des öffentlichen Personennahverkehrs" zur Verfügung steht. Als "ausreichend" gilt, wenn der ÖPNV "zu den gängigen Verkehrszeiten als zumutbare Alternative" zum Auto eingestuft werden kann. Wie hoch die Gebühr sein kann, soll die Kommune festlegen. Bei einem Modellversuch in vier Kommunen waren Monatsbeiträge von 10 bis 57 Euro im Gespräch. Damit sollen die Kommunen das Angebot im Nahverkehr ausweiten und Tickets günstiger anbieten können. Als mögliche Kandidaten für die Einführung der Abgabe gelten Freiburg und Karlsruhe.

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Der Entwurf von Hermann hat statt 180 Seiten nur noch 133 Seiten und auch inhaltlich musste der Grünen-Politiker nach der CDU-Kritik an zu viel Bürokratie Abstriche machen. Zur Erinnerung: Um die eigenen Klimaziele zu erreichen, müsste das Land die Treibhausgase im Verkehr bis 2030 um 55 Prozent verringern. Zuletzt sind die CO2-Emissionen im Verkehr aber sogar gestiegen, der Sektor ist für 28 Prozent des Ausstoßes verantwortlich.

Eigentlich strebt Hermann eine Verdopplung der Fahrgastzahlen im ÖPNV bis 2030 an und dass jedes zweite Auto bis dahin klimaneutral unterwegs sein soll. Doch wie diese ehrgeizigen Ziele erreicht werden sollen, bleibt unklar. Hinzu kommt: Das Ministerium hat die Lkw-Maut auf Landes- und kommunalen Straßen vor kurzem auf 2027 verschoben - also auf das Jahr nach der Landtagswahl.

Die ursprünglich bis 2026 vorgesehene Mobilitätsgarantie im Öffentlichen Nahverkehr kommt im Entwurf nur als unverbindliches Leitbild vor. Die im Koalitionsvertrag geplante Garantie sieht vor, dass alle Orte im Südwesten von 5 Uhr früh bis Mitternacht mit dem ÖPNV erreichbar sein sollen. Eigentlich will das Land es bis 2026 schaffen, dass im ländlichen Raum in den Hauptverkehrszeiten der Halbstundentakt gilt und im Ballungsraum der Viertelstundentakt. Doch die Mobilitätsgarantie ist bisher im Landeshaushalt nicht mit Geld unterfüttert. Hermann und die grüne Landtagsfraktion hoffen, dass der Einstieg in die Finanzierung im Doppelhaushalt 2025/2026 gelingt. Zuletzt hatte es geheißen, man benötige rund 120 Millionen Euro pro Jahr, um die Pläne zu realisieren.

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Der neue Entwurf wird derzeit zwischen dem grünen Verkehrs- und dem CDU-geführten Innenministerium abgestimmt, nachdem die CDU-Fraktion im Frühjahr das erste Konzept als unhaltbar zurückgewiesen hatte. Bei den Verkehrsunternehmen kommt das Vorhaben des Ministeriums zum Austausch der Busflotte von Diesel- zu E-Fahrzeugen nicht gut an. Ulrich Weber, Landeschef des Verbands deutscher Verkehrsunternehmen, warnte davor, unrealistische Ziele in das Mobilitätsgesetz zu schreiben. "Das könnte sonst eine Luftnummer werden", sagte Weber dem SWR. Hermann will, dass von 2030 nur noch emissionsfreie Busse für den Stadtverkehr angeschafft werden dürfen - ursprünglich hatte er sogar 2028 angepeilt. Ab 2032 sollen auch neue Überlandbusse emissionsfrei sein. Das Problem: Ein batteriebetriebener E-Bus kostet mit etwa 550.000 Euro derzeit knapp doppelt so viel wie ein Dieselbus.

Baden-Württemberg würde damit über die Anforderungen der Europäischen Union, die die Bundesregierung im Gesetz zur Beschaffung sauberer Straßenfahrzeuge umgesetzt hat, hinausgehen. Dort heißt es, dass zwischen 2026 und Ende 2030 mindestens 32,5 Prozent der neu beschafften Busse emissionsfrei sein müssen. Im Koalitionsvertrag von Grünen und CDU ist das so nicht vorgesehen.

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In Baden-Württemberg sind im ÖPNV etwa 6.000 Busse unterwegs. Davon seien gut 200 emissionsfrei, schätzt Weber. Der geplante Tausch werde hunderte Millionen Euro kosten, ohne staatliche Förderung seien Kommunen und Verkehrsunternehmen überfordert. Hermann setzt hier weiter auf den Bund. Weber sagte dagegen, es sei absehbar, dass der Bund seine Mittel nach dem Haushaltsurteil aus Karlsruhe zusammenstreichen werde. Weber sagte deshalb: "Das wird sich wahrscheinlich nicht realisieren lassen." 

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