Schülerinnen und Schüler einer 9. Klasse nehmen mit Hilfe von Laptops und Tablets am Unterricht teil.

Bundesweit auf Platz Fünf

Bildungsmonitor: BW verliert im Ländervergleich langfristig am stärksten

Stand

Am Donnerstag hat die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) den Bildungsmonitor 2023 vorgestellt. Seit 2013 geht das Bildungsniveau deutschlandweit zurück - vor allem in BW.

Das Bildungsniveau in Deutschland hat sich laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in den vergangenen Jahren dramatisch verschlechtert. Vor allem in Sachen Schulqualität, Integration und Bildungsarmut gebe es negative Entwicklungen, hält der "Bildungsmonitor 2023" der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) fest. Im Ländervergleich macht Baden-Württemberg im Vergleich zum Vorjahr zwar einen Platz gut und landet hinter Sachsen, Bayern, Thüringen und Hamburg auf Platz fünf. Im Langzeitvergleich verliert aber kein anderes Land so stark.

Studie sieht Stärken und Schwächen

Um die Bundesländer zu vergleichen, nutzt die INSM verschiedene Handlungsfelder, an denen jedes Land gemessen wird. In Baden-Württemberg sieht der Bildungsmonitor folgende Stärken: In der Forschung rund um Digitalisierungstechnologien, bei den Betreuungsbedingungen an Kindergärten. Und für Studierende an den BW-Hochschulen gebe es einen guten Personalschlüssel bei den Lehrkräften. Ebenfalls lobt die Initiative die vielen Hochschulabsolventinnen und -absolventen in Ingenieurwissenschaften sowie die höchste Erfolgsquote aller Bundesländer bei der dualen Ausbildung.

Dass der Rückgang des Bildungsniveaus dennoch in keinem anderen Bundesland so stark ausfällt wie in BW, erklärt die INSM mit den Schwächen im Handlungsfeld der Internationalisierung. Konkret falle der Anteil der Bildungsausländerinnen und -ausländer an allen Studierenden mit 10,4 Prozent geringer aus, als im Bundesdurchschnitt, so die Initiative im Bildungsmonitor. Und zu viele Berufs- und Grundschülerinnen und -schüler erhielten keinen Fremdsprachenunterricht. Im Handlungsfeld Förderinfrastruktur weist BW laut der Studie ebenfalls Schwächen auf. "Der Anteil der Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren in einer Ganztagsbetreuung war im Jahr 2022 in Baden-Württemberg mit 24,1 Prozent der niedrigste Wert in ganz Deutschland", so die INSM. Und auch an den Schulen falle der Anteil an Ganztageseinrichtungen gering aus.

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Studie: Bildungsgerechtigkeit hat sich bundesweit verringert

Im Langzeitvergleich des Monitors, der zum zwanzigsten Mal erscheint, ist das deutschlandweite Bildungsniveau bis 2013 in vielen Bereichen gewachsen, dann allerdings kontinuierlich zurückgegangen. Dabei hat sich die Abhängigkeit von Bildungserfolg und sozialer Herkunft vertieft. Einen Grund für die Entwicklung sieht IW-Studienautor Axel Plünnecke darin, dass Kitas und Schulen "noch keine gute Antwort darauf gefunden haben, dass die Schülerschaft in den vergangenen Jahren deutlich heterogener wurde". So seien die Ergebnisse von Kindern aus bildungsfernen Haushalten oder mit Migrationshintergrund besonders stark gesunken.

Leichte Verbesserungen beim Ausbau frühkindlicher Bildung, der Ganztagsinfrastruktur sowie der Betreuungsrelation konnten dies laut Studie nicht ausgleichen. "Es fehlt an Qualität beim Ganztag und an gezielter Förderung", so Plünnecke. Die Durchschnittswerte im Lesen und Zuhören bei Viertklässlern lagen im Langzeitvergleich 2021 im Bundesdurchschnitt auf dem Niveau des schlechtesten Bundeslandes Bremen im Jahr 2011.

Sachsen erneut an der Spitze des Ländervergleichs

Im aktuellen Ländervergleich schneiden Sachsen, Bayern und Thüringen erneut am besten ab. Allerdings sank in den beiden östlichen Bundesländern das Bildungsniveau gegenüber dem Vorjahr und stieg nur in Bayern "minimal". Danach folgen Hamburg, Baden-Württemberg und das Saarland, sowie ein "breites Mittelfeld". Schlusslichter sind im aktuellen Vergleich Brandenburg, Berlin und Bremen.

Weitere Ergebnisse des Bildungsmonitors 2023

Neben der Verschlechterung bei der Bewertung der Schülerinnen und Schüler, gaben auch 7 Prozent der Befragten an, dass sie glauben, dass sich die Schulbildung durch die Corona-Pandemie verschlechtert hat. Die meisten machen den Lehrkräftemangel (77 Prozent), die fehlenden finanziellen Mittel (68 Prozent) und die Trägheit des Systems (66 Prozent) dafür verantwortlich.

Um gegen den Fachkräftemangel anzukämpfen, unterstützen die Befragten die Nachqualifizierung von Lehrkräften in Mangelfächern (79 Prozent) und die Nachqualifizierung von Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern (64 Prozent). Größere Klassen werden aber von der Mehrheit mit 81 Prozent abgelehnt.

Für die Verbesserung des Bildungsniveaus befürwortet die Mehrheit (86 Prozent) eine bundesweite einheitliche Abiturprüfung und Vergleichstests in Mathematik und Deutsch (68 Prozent). Abgelehnt werden dafür die Abschaffung von Schulnoten (73 Prozent) und die Wiederholung von Klassen bei schlechten Leistungen (78 Prozent). Fast Dreiviertel der Befragten (74 Prozent) sind außerdem für höhere Bildungsausgaben. Diese dürfen ihrer Meinung nach deutlich höher sein, als für andere Staatsausgaben.

Kultusministerium: BW auf "dem richtigen Weg"

Das Landeskultusministerium unter der Leitung von Ministerin Theresa Schopper (Grüne) sieht Baden-Württemberg nach Veröffentlichung des Bildungsmonitors auf "dem richtigen Weg". Das Land zähle zusammen mit Sachsen, Hamburg, Thüringen und Bayern zur Spitzengruppe im Bundesländervergleich. Dennoch seien weitere Anstrengungen nötig, um die aktuellen Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen, so Schopper. Ihr Ministerium verweist auf die bildungsökonomische Sichtweise des Monitors. "Bezugspunkte sind nur zum kleineren Anteil die allgemein gültigen und vereinbarten Bildungsstandards", hieß es. Baden-Württemberg habe aber in allen untersuchten Punkten "seine Hausaufgaben" gemacht.

Die Sichtweise sorgt für Kopfschütteln bei den Gewerkschaften. Er sei entsetzt, sagt Ralf Scholl, der Landesvorsitzende des Philologenverbands. "Beim Kultusministerium scheint es kein Problembewusstsein zu geben", so Scholl.

Bildungsgewerkschaft GEW widerspricht Kultusministerium

Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) bezog Stellung zu den Ergebnissen. Anders als im Kultusministerium überwiegen bei der Bildungsgewerkschaft die negativen Aspekte der Ergebnisse. "Die Bildungsgewerkschaft GEW sieht Baden Württemberg anders als das Kultusministerium nicht auf einem guten Weg, sondern befürchtet für die Schulen im Land eine lange Durststrecke", so die GEW auf SWR-Anfrage. Um dem negativen Trend entgegenzuwirken fordert die GEW schnell wirkende Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel sowie mehr Studienplätze für angehende Pädagoginnen und Pädagogen.

Der Wirtschaftsverband "Unternehmer Baden-Württemberg" (UBW) hat sich in einer Pressemitteilung positiv zu bestimmten Ergebnissen des Bildungsmonitors geäußert. Erfreulich sei der Sprung vom sechsten auf den fünften Platz im Ländervergleich, "allerdings ist es noch ein weiter Weg zu früheren Spitzenplätzen in dem bundesweiten Bildungsranking", so der UBW-Hauptgeschäftsführer Oliver Barta. Insbesondere freue die UBW als Wirtschaftsverband die Erfolge bei der dualen Ausbildung.

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) verweist auf die Ausgaben eines Bundeslandes pro Schülerin und Schüler. Dort lande Baden-Württemberg im Bereich der Grundschule abgeschlagen auf Platz 14, bei den weiterführenden Schulen nur auf Platz 10. "Das sind wahrlich keine Ergebnisse, mit denen man sich brüsten kann", meint der VBE-Landesvorsitzende Gerhard Brand.

CDU BW: Förderangebote sollten im Bedarfsfall verpflichtend sein

Von alarmierenden Zahlen spricht der bildungspolitische Sprecher der CDU, Alexander Becker, in seiner Bewertung der Ergebnisse. "Nicht zum ersten Mal schneidet Baden-Württemberg in einem Bildungsranking schlechter ab, als wir uns das wünschen", sagte er dem SWR. Der Anspruch sei es in der Spitzengruppe dabei zu sein, doch das sei seit zehn Jahren nicht mehr der Fall. Negativen Bildungstrends sollen mit Sprachtests und einer gesonderten Ressourcenzuweisung an Brennpunkten entgegensteuert werden. "Wichtig ist, dass Förderangebote im Bedarfsfall verpflichtend sind. Wir brauchen insgesamt mehr Verbindlichkeit", sagte Becker.

Aus der Opposition meldeten sich kritischere Stimmen zu Wort. Die SPD-Bildungsexpertin Katrin Steinhülb-Joos warf der Landesregierung aus Grünen und CDU vor, das Bildungssystem "auf Verschleiß gefahren" zu haben. "Über zehn Jahre hat sich kein anderes Land im Vergleich so verschlechtert wie Baden-Württemberg. Wer angesichts dieser Tatsache weiterhin die Hände in den Taschen lässt, nimmt unserem Land fundamental wichtige Zukunftschancen", so die schulpolitsche Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion. Für die FDP sprach der Bildungspolitische Sprecher der Fraktion, Timm Kern, von einer "bildungspolitischen Katastrophe". Baden-Württemberg befinde sich in einer "Bildungskrise", die von den Grünen zu verantworten sei.

Schwere Vorwürfe an Bildungsministerin Schopper äußerte der bildungspolitische Sprecher der AfD, Rainer Balzer. Laut diesem verletze Schopper Artikel 11 der Landesverfassung, das Recht auf Bildung, massiv. Probleme seien unter anderem "zu heterogene Klassen" und zu geringe Deutschkenntnise bei Schulanfängern.

Erhebung des Bildungsmonitors seit 2004

Der vom Institut der deutschen Wirtschaft erstellte Bildungsmonitor wird seit 2004 jährlich erhoben. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft beschreibt sich selbst als überparteiliches Bündnis aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Sie wird von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie finanziert. Hauptfragestellung im Bildungsmonitor ist es, in welchem Umfang ein Bildungssystem gute Voraussetzungen zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums und der Bildungsgerechtigkeit schafft.

Untersucht wird dabei etwa, inwieweit das jeweilige Bildungssystem zur Fachkräftesicherung beiträgt oder Aufstiegsmöglichkeiten für den Einzelnen schafft. Dabei wird beispielsweise das Verhältnis der Bildungsausgaben pro Schülerin oder Schüler zu den Gesamtausgaben öffentlicher Haushalte pro Einwohnerin oder Einwohner untersucht, verglichen werden zudem die Investitionen in Schulen und Hochschulen, der Betreuungsschlüssel in Bildungseinrichtungen oder die Klassengrößen. Zudem fließen Ergebnisse aus Bildungsstudien ein, etwa zur Lesekompetenz von Grundschülerinnen und -schülern.

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SWR