Zecken ganzjährig aktiv Hohe Fallzahlen bei FSME erwartet
Begünstigt durch milde Temperaturen sind Zecken inzwischen ganzjährig aktiv. Die Blutsauger sind nicht ungefährlich, sie können unter anderem FSME übertragen. Und in diesem Jahr könnte es viele Zecken geben.
Wenn Parasitologin Ute Mackenstedt von der Universität Hohenheim bei Stuttgart auf Zeckenjagd geht, dann ist zum Schutz vor den kleinen Tierchen lange Kleidung und festes Schuhwerk wichtig. Ihr Werkzeug: ein langer Stock, an dessen Ende ein großes, weißes Tuch aufgespannt ist. Regelmäßig gehen sie und ihr Forscherteam zu Wiesen und Waldwegen, um Zecken zu sammeln. Dabei darf es nicht zu nass und nicht zu kalt sein, sonst findet das Team kaum Zecken.
Parasitologin Ute Mackenstedt ist eine der renommiertesten Zeckenspezialistinnen in Deutschland.
Mit dem Stock wird das große Tuch über den Boden gestreift. "Es ist rauh, damit die Zecken daran hängen bleiben, weiß, damit man sie gut sieht", erklärt Mackenstedt. Nach zehn Metern wird das Tuch umgedreht und dann sieht man darauf die Zecken krabbeln. "In Hochphasen können nach zehn Metern bis zu 50 Zecken drauf sein."
Mit einer Pinzette sammelt sie die Zecken ein und steckt sie in ein Glasröhrchen. Gesammelt werden die Zecken an Orten, wo auch Jogger laufen, Spaziergänger schlendern oder Menschen picknicken. "Zecken können überall sein, auch im eigenen Garten, und da hält man sich viel häufiger und länger auf als im Wald", so Mackenstedt. "Wir haben durch die milden Temperaturen inzwischen ganzjährige Zeckenaktivität."
FSME kann tödlich enden
Das Gefährliche: Zecken wie der gemeine Holzbock oder die Auwaldzecke können unter anderem Frühsommer-Meningoenzephalitis, kurz FSME übertragen. "Nach etwa zehn Tagen bekommen sie Kopfweh und Fieber wie bei einer Grippe", erklärt die Forscherin. Später komme es zu einer zweiten Krankheitsphase. "Bei schwereren Verläufen kann es zu Koordinationsstörungen und Lähmungen kommen. Für rund ein Prozent der Patienten endet die Krankheit tödlich", so Mackenstedt. Schützen könne nur eine Impfung.
Forschende erwarten hohe Fallzahlen für 2024
Am Dienstag haben die Forschenden ihre Ergebnisse an der Universität Hohenheim in Stuttgart vorgestellt und einen Ausblick auf das kommende Zeckenjahr gegeben. Für das Jahr 2023 meldete das RKI in ganz Deutschland 527 Fälle, im Jahr 2022 waren es noch 627. Zwar seien die FSME-Fälle zurückgegangen, so die Forschenden, doch sie geben keine Entwarnung für dieses Jahr. "Infektionszahlen unterliegen immer jährlichen Schwankungen. Doch der längerfristige Trend zeigt deutlich nach oben", sagt Rainer Oehme, Laborleiter des Landesgesundheitsamts Baden-Württemberg.
Die Ergebnisse zeigen auch: Süddeutschland ist weiterhin ein Hotspot: 85 Prozent der FSME-Fälle würden nach wie vor in Baden-Württemberg und Bayern auftreten. "Die deutschen Mittelgebirge stellen eine Grenzlinie dar", so Oehme. Doch auch in den Regionen, die bisher nur wenige Fälle verzeichneten, sei ein deutlicher Anstieg festzustellen. "Im Norden und Osten Deutschlands steigen die Fallzahlen massiv, beispielsweise in Sachsen, Brandenburg, Niedersachsen oder Thüringen."
Immer mehr FSME-Naturherde
Es gibt immer wieder sehr kleine Gebiete, "Naturherde" wie sie Ute Mackenstedt nennt, in denen viele FSME-positive Zecken vorkommen. "Diese Bereiche können die Größe eines halben Fußballfeldes haben, und nur ein paar Meter weiter ist nichts", erklärt die Forscherin. "Im Kreis Ravensburg etwa hatten wir 2007 acht solche Naturherde, 2023 waren es bereits 25." Die infizierten Zecken werden aus Tschechien, Polen und der Schweiz durch Tiere eingeschleppt. In Norddeutschland stammen sie aus dem Baltikum, so die Forschenden. "Doch viele Fragen, auch warum diese Gebiete räumlich so begrenzt sind, können wir noch nicht beantworten."
Zecken sind inzwischen ganzjährig aktiv
Erst kürzlich hat Ute Mackenstedt Zecken zugeschickt bekommen, die Spaziergänger von ihrem Hund entfernt haben. Zwölf Exemplare an einem Hund und das im Februar. "Zecken haben keine Winterpause mehr", so Mackenstedt. Das sehe man auch daran, dass dem RKI schon sehr früh im Jahr FSME-Fälle gemeldet werden.
Verkürzter Rhythmus
Und noch eine Auffälligkeit stellen die Forschenden vor: "Früher hatten wir in Baden-Württemberg alle drei Jahre besonders hohe FSME-Zahlen, seit etwa 2017 beobachten wir einen zweijährigen Rhythmus", sagt Rainer Oehme. Statt zwei Jahre mit geringen Zahlen ist es also nur noch eines. "Demnach wäre im Südwesten in diesem Jahr mit hohen FSME-Zahlen zu rechen."
Woran das liegt - auch das ist Gegenstand der Forschung. Eine Vielzahl an Faktoren komme da zusammen, so Mackenstedt. Ein Grund könnte die ganzjährige Aktivität durch die milden Temperaturen sein. Doch auch die Tiere, bei denen sich die Zecken anstecken, sollen in den Blick genommen werden.
Hohe Dunkelziffer bei FSME-Fällen
Es gibt eine hohe Dunkelziffer an FSME-Infektionen. Das zeigen neue Forschungsergebnisse von Gerhard Dobler, Leiter des Nationalen Konsiliarlabors FSME am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München. Im Ortenaukreis hat er Blutproben von Blutspendenden untersucht. Mit entsprechenden Tests kann man sehen, wer tatsächlich eine FSME-Infektion durch eine Zecke durchgemacht hat, möglicherweise ohne es zu wissen.
"Wenn man die nicht erkannten Infektionen einbezieht, ist das Risiko einer FSME-Infektion in dem Kreis um ein siebenfaches höher als bisher angenommen. Das Infektionsgeschehen ist also sehr hoch, auch wenn eine Infektion nicht immer zur Erkrankung führt", so Dobler. Der Mediziner rät daher zur FSME-Impfung, da auch bei schweren Infektionen Langzeitfolgen möglich seien. "Auch bei Kindern kann es einen schweren Verlauf geben - bis hin zu künstlicher Beatmung und Ernährung. Vor dem Hintergrund der steigenden Fallzahlen ist daher auch eine Impfung von Kindern dringend anzuraten."