Ein Mann lehnt an einem Fenster

Krankheitsangststörung Hypochonder sterben früher

Stand: 27.12.2023 06:26 Uhr

Es klingt paradox: Menschen mit der Diagnose "Krankheitsangststörung" sterben tendenziell früher als andere. Entwarnung gibt es aber für die, die einfach nur ein bisschen mehr auf sich achten.

Von Anja Braun, Ralf Kölbel und Lilly Zerbst, SWR

Menschen, die an einer übermäßigen Angst leiden, dass bei ihnen eine schwere Krankheit diagnostiziert werden könnte, sterben früher als Menschen, die hinsichtlich gesundheitlicher Bedenken nicht übermäßig wachsam sind. Das legt eine große schwedische Studie nahe, die jetzt im Fachblatt "JAMA Psychiatry" veröffentlicht wurde.

Zur Beruhigung: Leichte Formen der "Alltagshypochondrie", eine Form der gesteigerten Wachsamkeit gegenüber körperlichen Symptomen, sind für die Gesundheit in der Regel eher förderlich. Von echter, klinischer "Hypochondrie" Betroffene sind hingegen psychisch schwer erkrankt und können mitunter auch erheblich belastende Symptome verspüren.

Ernstzunehmende Angststörung

Dass Menschen mit der Diagnose "Krankheitsangststörung" - auch Hypochondrie genannt - tatsächlich ein erhöhtes Risiko haben, frühzeitig zu sterben, ergab die Datenanalyse von Tausenden von Menschen über einen Zeitraum von 24 Jahren.

Die Betroffenen zeigten Symptome, die über durchschnittliche Gesundheitsprobleme hinausgehen. Hypochonder erleben ihre Beschwerden als real, interpretieren sie jedoch aufgrund ihrer Angst falsch: als Symptom einer schweren Krankheit wie zum Beispiel Krebs, AIDS oder Multiple Sklerose (MS).

Menschen mit dieser Angststörung leben in einem ständigen Zustand der Sorge und des Leidens, dass sie möglicherweise eine schwere lebensbedrohende Krankheit haben. Sie sind dadurch in chronischem Stress und psychisch stark unter Druck.

Erhöhte Suizid-Gefahr

Das geht sogar so weit, dass manche Menschen mit Hypochondrie sich das Leben nehmen - auch das geht aus der schwedischen Studie hervor. In der Studie war das Risiko eines Suizids für Menschen mit der Diagnose viermal höher als in der gesunden Vergleichsgruppe.

Bei den Betroffenen führt der ständige Stress durch die vermeintliche Bedrohung durch Krankheiten längerfristig zu tatsächlichen Gesundheitsproblemen wie zum Beispiel Herz-Kreislauf-Krankheiten und Atemwegserkrankungen. Insgesamt starben Menschen mit der Diagnose "Krankheitsangststörung" früher als Menschen in der Vergleichsgruppe. Allerdings starben sie nicht häufiger an Krebs. Da war das Sterberisiko ungefähr gleich.

Keine "eingebildete Krankheit"

Im Alltagssprachgebrauch wird der Begriff "Hypochondrie" oft unklar und in abwertender Form für Menschen verwendet, die besonders wehleidig und um ihre Gesundheit besorgt sind. Sie achten vermehrt auf Veränderungen von Körperfunktionen und interpretieren selbst geringfügige Körpersignale als möglichen Ausdruck von Erkrankungen. Laienhaft wird daher auch von einer "eingebildeten Krankheit" gesprochen.

Von echter, klinischer Hypochondrie Betroffene nur als "wehleidig" abzutun, wird diesen Menschen allerdings nicht gerecht. Sie sind psychisch schwer erkrankt und sollten unbedingt professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.

Angst vor schwerer Krankheit ist behandelbar

Zunächst ist es wichtig, Betroffene mit dieser Störung ernst zu nehmen. Denn Menschen, denen vorgeworfen wird, sich Krankheitssymptome einzubilden, wenden sich oft ganz vom medizinischen System ab.

Dabei ist die Krankheitsangststörung durchaus behandelbar. In erster Linie kommt eine kognitive Verhaltenstherapie zum Einsatz. Dazu können Entspannungstechniken kommen. In manchen Fällen hilft auch die Einnahme von Antidepressiva.

"Alltagshypochonder" leben oft gesünder

Im Unterschied zu der schweren Krankheitsangststörung, die relativ selten auftritt, gibt es unter uns viele "Alltagshypochonder". Das bedeutet, dass Betroffene ihre körperlichen Empfindungen ziemlich genau beobachten und Symptome rasch ärztlich abklären lassen.

Eine schottische Studie mit 320.000 Teilnehmern aus dem Jahr 2017 hat einen klaren Überlebensvorteil dieser übermäßig wachsamen Gruppe nachgewiesen. Menschen, die sich als besorgt beschreiben und ihre Gesundheit als schlechter beurteilten als sie tatsächlich war, hatten in der Studie ein um acht Prozent niedrigeres Risiko, an Krebs, Herz- und Atemwegserkrankungen zu sterben als die Vergleichsgruppe.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erklären, dass diese Menschen in Bezug auf ihre Gesundheit wachsamer waren. Dadurch, dass sie schneller besorgniserregende Symptome untersuchen ließen, kam es zum Teil zu einer früheren Diagnose ernster Krankheiten. Ein bisschen stärker auf seine Gesundheit zu achten und vielleicht alle Vorsorge-Untersuchungen wahrzunehmen, ist also durchaus sinnvoll.

Anja Braun, SWR, tagesschau, 27.12.2023 13:00 Uhr