Eine Flüssigkeit tropft aus der Kanüle einer Spritze.

Medizinforschung Mit Gentherapie gegen die Bluterkrankheit

Stand: 17.04.2024 12:00 Uhr

Hämophilie ist eine genetisch bedingte Blutgerinnungsstörung. Den Betroffenen fehlt ein wichtiges Eiweiß. Das lässt sich nun per Genfähre in die Leberzellen schleusen.

Von Birgit Augustin, NDR

Wenn wir uns verletzen, startet unser Körper eine sogenannte "Gerinnungskaskade" - spezielle, in der Leber produzierte Eiweiße sorgen dafür, dass Blutplättchen die Wunde verschließen und ein stabiles Netz um den Pfropf gebildet wird. Der Blutfluss ist so gestoppt. Menschen, die an Hämophilie leiden, fehlt eines der benötigten Eiweiße, ein sogenannter Gerinnungsfaktor - der gesamte Prozess ist gestört.

Seltene, aber gefährliche Erkankung

Mit der Folge, dass bei den schwer Erkrankten schon kleine Risse zu großen Hämatomen führen können. Noch schlimmer: spontane Einblutungen in die Gelenke ohne jede äußere Einwirkung. Diese Blutungen können auf Dauer massive Schäden in Gelenken anrichten, nicht selten brauchen Bluter schon in jungen Jahren künstliche Gelenke.

Die bekanntesten Formen der Bluterkrankheit sind Hämophilie A und B. Bei der einen Variante fehlt der Gerinnungsfaktor VIII, bei der anderen Gerinnungsfaktor IX. Betroffen sind fast ausschließlich Jungen und Männer: Die Gene für die Gerinnungsfaktor-Eiweiße liegen auf den X-Chromosomen. Die Zellen von Männern haben nur ein X-Chromosom - weshalb sie, anders als Frauen, über kein intaktes Reserve-Gen verfügen.

Von 10.000 Männern sind etwa zwei an einer Hämophilie erkrankt. In Deutschland leben schätzungsweise 10.000 Jungen und Männer mit dieser Erkrankung, etwa 3.000 bis 5.000 haben eine schwere Form.

Klassische Therapie: Lebenslanges Spritzen

Bislang mussten Bluter die fehlenden Gerinnungsfaktor-Eiweiße regelmäßig zwei bis drei Mal pro Woche spritzen - und zwar ein Leben lang. Eine mühselige Therapie: In der Regel haben die Erkrankten zwar gelernt, sich selbst eine Infusion zu legen. Aber die Medikamente müssen teils gekühlt werden und gehören bei jeder Reise, ob beruflich oder privat, mit ins Gepäck. Denn die Konzentration des zugeführten Gerinnungsfaktors im Blut sinkt nach wenigen Stunden wieder ab.

Gentherapie statt Medikamente

Doch nun stellen zwei neuartige Gentherapeutika den Betroffenen ein blutungsfreies Leben ohne regelmäßige Medikamentengabe in Aussicht. Dabei wird einmalig über die Vene das intakte Faktor VIII beziehungsweise Faktor IX-Gen verabreicht. Und zwar mittels einer Virus-Fähre, die sich im Menschen nicht vermehrt. Die Hoffnung: Zumindest einigen der adressierten Leberzellen eine funktionsfähige Kopie des benötigten Gerinnungsfaktors zur Verfügung zu stellen.

Teure Therapie

Kosten für die einmalige Gabe der Gentherapie: 800.000 Euro. Allerdings ist auch die lebenslange Gabe des fehlenden Gerinnungsfaktors eine kostspielige Angelegenheit: Zwischen 150.000 und 300.000 Euro pro Jahr - je nach individuellem Bedarf des Patienten. Nach wenigen Jahren könnte sich die Gentherapie für die Krankenkassen also sogar rechnen - vorausgesetzt, die Leber schüttet nachhaltig die benötigten Mengen des fehlenden Gerinnungsfaktors aus.

Chancen und Risiken

Das allerdings ist individuell sehr unterschiedlich. Bei den Patienten mit Hämophilie A, die Faktor VIII-Gerinnungsfaktor-Gene bekommen haben, profitieren manche nur über wenige Jahre, bei den Hämophilie-B-Patienten erreichen andere ausreichende Gerinnungsfaktor-Spiegel über mehr als zehn Jahre. Über die Ursachen gibt es verschiedene Vermutungen, etwa, dass die intakte Gen-Information verlorengeht, wenn sich Leberzellen teilen. Oder dass die speziellen Leberzellen, in die das intakte Gen eingeschleust wird, nicht für beide Gerinnungsfaktor-Eiweiße die richtige Zieladresse sind.

Zudem muss bei Menschen, die die Gentherapie bekommen, vor allem in der Anfangszeit engmaschig kontrolliert werden, ob das Abwehrsystem der Leberzellen die eingeschleusten Gene attackiert. Bei vier von fünf Hämophilie-A-Patienten war das bisher der Fall. Mit der Konsequenz, dass sie Kortison oder andere, die Immunabwehr unterdrückende, Medikamente nehmen mussten - mit teils erheblichen Nebenwirkungen.

Ein weiteres, ungelöstes Problem: Wenn der Faktorspiegel im Blut absinkt, lässt sich die Gentherapie nicht wiederholen. Denn unser Immunsystem würde die Transporterviren beim zweiten Mal erkennen und sie sofort bekämpfen - und dabei die korrekten Gene in ihren Hüllen vernichten.

Trotz solcher Probleme halten Ärztinnen und Ärzten die Gentherapie bei Hämophilie für einen Meilenstein der Medizin. Mittlerweile wird aber auch an weiteren, nicht viren-basierten Verfahren gearbeitet. Die allerdings sind - anders als die jetzt verfügbare Gentherapie - von einer Marktreife noch Jahre entfernt.