Babies im Krankenhaus (Archivbild)

Auswirkungen von Corona Fast vier Jahre kürzere Lebenserwartung

Stand: 22.10.2022 08:38 Uhr

Durch die Pandemie ist die statistische Lebenserwartung in fast allen Ländern gesunken. Eine Studie hat nun die Daten von 29 Staaten miteinander verglichen. Am schlechtesten schneiden osteuropäische Länder ab - und die USA.

Die Lebenserwartung hat sich einer Analyse unter Leitung Rostocker Wissenschaftler zufolge in den europäischen Staaten in der Corona-Pandemie sehr unterschiedlich entwickelt. Während sie demnach in Bulgarien Ende 2021 um 43 Monate niedriger lag als 2019 noch, stieg sie in Norwegen um 1,7 Monate. Deutschland lag mit einer um 5,7 Monate geringeren Lebenserwartung im oberen Mittelfeld, wie die Gruppe um Jonas Schöley vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung herausfand.

"Die periodische Lebenserwartung ist ein zusammenfassendes Maß für den aktuellen Gesundheitszustand der Bevölkerung; wenn die Sterblichkeit in einer Bevölkerung zunimmt, sinkt die Lebenserwartung", erläutern die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Fachjournal "Nature Human Behaviour".

Osteuropa schneidet schlecht ab

Sie untersuchten die Entwicklung in 29 Staaten in den Jahren 2015 bis 2021, mit besonderem Augenmerk auf die beiden Pandemiejahre. Viele europäische Staaten wie Belgien, Frankreich, Schweden und die Schweiz konnten das Sinken der Lebenserwartung im Jahr 2020 durch eine Steigerung der Lebenserwartung im folgenden Jahr demnach weitgehend ausgleichen. Auch Italien und Spanien zeigten 2021 eine deutliche Anhebung der Lebenserwartung, haben allerdings beide in der Summe der Pandemiejahre mehr eingebüßt, als sie wieder gutmachen konnten. In Großbritannien verloren Länder wie Schottland, England oder Wales jeweils knapp zehn Monate.

Die stärkste Verringerung der Lebenserwartung in beiden Pandemiejahren hatten - mit Ausnahme Sloweniens - osteuropäische Staaten zu verbuchen. Schlusslicht der Studie ist Bulgarien, wo die Menschen im Schnitt 43 Monate an Lebenserwartung einbüßten. Aber auch in der Slowakei, Polen oder Ungarn sank die Lebenserwartung um teilweise mehr als zwei Jahre.

USA mit starkem Verlust

Den drittgrößten Verlust gab es in den USA: Hier sank die Lebenserwartung 2020 und 2021 um 28,2 Monate - ein historischer Verlust. "Da müssen sie in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg schauen, um eine vergleichbare Statistik zu finden", sagte Schöley im Deutschlandfunk. Während 2020 vor allem Menschen im Alter von 60 oder mehr Jahren starben, erhöhte sich 2021 die Sterberate bei den Unter-60-Jährigen. Das führen die Studienautoren unter anderem auf den besseren Impfstatus der älteren Bevölkerung im zweiten Pandemiejahr zurück.

Deutschland verlor zwar in beiden Jahren an Lebenserwartung, allerdings mit insgesamt 5,7 Monaten nur moderat. Dennoch gibt Schöley zu bedenken: "In den Jahren davor ist die Lebenserwartung jeweils etwa um zwei Monate gestiegen. In der Nachwendezeit gab es kein einziges Paar an Jahren, wo zwei Jahre hintereinander die Lebenserwartung gesunken ist."

Zusammenhang zwischen Impfquote und Lebenserwartung

Insgesamt fanden sie einen deutlichen Zusammenhang zu den Impfungen: Je geringer der Anteil der vollständig Geimpften in einer Bevölkerung war, desto stärker sank auch die Lebenserwartung. In den meisten Staaten vergrößerte sich zudem der Unterschied zwischen den Lebenserwartungen von Frauen und Männern, besonders in den USA: Hatten Frauen vor der Pandemie eine um 5,72 Jahre höhere Lebenserwartung als Männer, so waren es 2021 nun 6,69 Jahre.

In Dänemark, Finnland und Norwegen änderte sich die Lebenserwartung während der Pandemie nur geringfügig. Hier gebe es ein positives Zusammenspiel zwischen erfolgreichen Impfkampagnen und "hohen Basiskapazitäten der Gesundheitssysteme".

In den USA hingegen verstärkte sich ein Trend, der sich schon vor der Pandemie abzeichnete: ein Sinken der Lebenserwartung im Erwerbsalter. Übergewicht und Krankheiten wie Diabetes könnten mit Gründe dafür sein. Durch statistische Analysen ermittelten die Forscher, dass das Sinken der Lebenserwartung überwiegend auf Covid-19 als Todesursache zurückzuführen war.

Brasilien und Mexiko verlieren wohl noch mehr

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die periodische Lebenserwartung in anderen Ländern, die nicht untersucht wurden, noch stärker zurückgegangen sein könnte. "Im Jahr 2020 überstiegen die in Brasilien und Mexiko erlittenen Verluste der Lebenserwartung die in den USA erlittenen Verluste, so dass es wahrscheinlich ist, dass diese Länder im Jahr 2021 weiterhin unter den Auswirkungen der Sterblichkeit gelitten haben", erklärt José Manuel Aburto von der University of Oxford (Großbritannien), einer der Co-Autoren der Studie. Damit könnten diese Länder wohl noch schlechter abschneiden als das Schlusslicht der Studie, Bulgarien.

Das Team um Schöley verglich den Rückgang der Lebenserwartung mit anderen Ereignissen in den vergangenen 120 Jahren. Demnach sorgten nur die beiden Weltkriege und die Spanische Grippe 1918 für einen stärkeren Verlust bei der Lebenserwartung in Europa. "Die Covid-19-Pandemie führte zu einem weltweiten Anstieg der Sterblichkeit und einem Rückgang der periodischen Lebenserwartung, die in den letzten 70 Jahren beispiellos waren", schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 18. Oktober 2022 um 16:35 Uhr in der Sendung "Forschung aktuell".