Kühe auf durch Brandrodung entstandenem Weideland im Amazonas-Regenwald.
hintergrund

Leder-Importe aus Brasilien Wie deutsche Autobauer den Regenwald bedrohen

Stand: 06.04.2024 15:44 Uhr

Was haben die hochwertigen Ledersitze deutscher Luxusautos mit der Abholzung des Amazonas zu tun? Das decken erstmals umfangreiche Recherchen des hr auf. Sie zeigen Umweltverstöße und Menschenrechtsverletzungen.

Von Jan-Philipp Scholz, Annkathrin Weis und Johannes Meier, hr

Es ist ein riesiges Geschäft: Jedes Jahr exportiert Brasilien rund 500.000 Tonnen Rindsleder in alle Welt. Damit gehört das Land zu den Hauptproduzenten von Leder. Fast die Hälfte davon geht an internationale Automobilkonzerne - vor allem für Ledersitze, die in Luxusautos verbaut werden. Um den weltweiten Lederbedarf der Autobranche zu decken, braucht es die Häute von schätzungsweise 50 bis 60 Millionen Rindern.

In Brasiliens Amazonas-Regionen werden jährlich Millionen Rinder gezüchtet, verarbeitet und exportiert. Doch der Platz ist knapp - und so nutzen Farmer auch gerodete Gebiete, um ihre Rinder zu halten. "Man muss einsehen, dass wir - auch alle, die nicht daran beteiligt sein wollen - wirklich die Quellen des Geldes sind, das die Kriminalität finanziert", erklärt der Direktor der Umweltorganisation Environmental Investigation Agency (EIA), Alexander von Bismarck.

Drohungen gegen die Ureinwohner

Rodungen, Landraub, kriminelle Verstrickungen: Es sind Umweltverbrechen, von denen auch Europa und Deutschland profitieren. Und mit den Geschäfte in den brasilianischen Schutzgebieten lässt sich viel Geld verdienen: Etwa durch Holzabbau. Oder eben durch Rinderzucht, um günstig Produkte wie Leder und Fleisch zu produzieren. Leder, das auch in deutschen Luxusautos landet, wie Recherchen des hr belegen.

Für die Einwohner des betroffenen Amazonas-Gebietes hat das gravierende Folgen. Auf die Jagd zu gehen, um Nahrung zu gewinnen, bedeutet für Iori und seine Männer vom Volk der Parakana eine immer größere Herausforderung. Nicht wegen der Tiere - denn jagen kann das Volk der Parakana gut. Doch sie müssen immer tiefer und länger in den Dschungel vordringen, um ihre Dorfgemeinschaft zu versorgen.

Und dort, im geschützten Amazonasgebiet Apyterewa, warten nicht nur wilde Tiere. Sondern auch bewaffnete Kriminelle, die die Region kontrollieren wollen: "Drohungen erhalten wir schon lange. Aber es wird immer schlimmer. Inzwischen versuchen sie, uns ununterbrochen einzuschüchtern", erzählt der Häuptling der Parakana. Denn die indigene Bevölkerung stört die illegalen Farmer bei ihrem Landraub. Immer mehr kostbare Regenwaldfläche fällt der Rodung zum Opfer, um dort Rinder zu züchten.

Datenanalyse belegt "Rinderwäsche"

Doch wie wird aus den Häuten illegal gezüchteter Rinder Leder, das legal auf dem internationalen Markt gehandelt wird? Mithilfe von Satellitenbildern, Fotoanalysen und statistischen Auswertungen konnte ein Team aus Ermittlern und Datenanalysten der amerikanischen Umweltorganisation EIA belegen, wie die Rinder "gewaschen" werden.

Die Vorgehensweise ist simpel: Indem die Rinder nach der Aufzucht zwischen zahlreichen Farmen hin und her transportiert werden, verschleiern Farmer gegenüber den Schlachtunternehmen die Herkunft der Tiere. Diese Taktik mache es schwierig, die illegale Entwaldung für Weideland mit Schlachthäusern in Verbindung zu bringen, erklärt EIA-Teamleiter Rick Jacobsen.

Er sieht ein strukturelles Problem: "Seit Jahren verzeichnet die Rinderindustrie im Amazonas riesige Zuwachsraten. Überall werden Schlachtereien und Gerbereien aus dem Boden gestampft - mitten im Herzen dieser Abholzungsgebiete."

Leder für BMW, Mercedes und VW

Das System der "Rinderwäsche" macht sich dabei die komplexe und unübersichtliche Lieferkette zunutze. So werden vermeintlich "saubere" Rinder an große Schlachthöfe und Manufakturen verkauft. Etwa an JBS, einen der größten Tierverarbeitungskonzerne. Der wiederum beliefert das US-Unternehmen Lear, einen der Marktführer in der Autositzherstellung. Zu dessen Kunden gehören seit Jahren wiederum Automobilkonzerne wie BMW, Mercedes-Benz, Stellantis und auch die Volkswagen-Group.

Auf Anfrage des hr geben BMW, Stellantis, Mercedes-Benz und die Volkswagen-Group an, zu den Vorwürfen mit der Lear Corporation im Austausch zu stehen. Volkswagen verweist auf den "Code of Conduct" und die darin vereinbarten Nachhaltigkeitsanforderungen für unmittelbare Zulieferer. BMW teilt mit, man reduziere den Bezug von Leder aus Südamerika kontinuierlich. Und auch Mercedes verweist auf eine Initiative, gemeinsam mit den Lieferanten für entwaldungsfreie Lieferketten für Leder zu arbeiten.

Wie wirksam ist das Lieferkettengesetz?

Doch können die Hersteller ausschließen, brasilianisches und sogar illegales Leder in ihren Autos zu verwenden? Sicherheit könnte laut Experten ein digitales Tracking der Lederhaut bieten - also eine Nachverfolgbarkeit vom Tier bis zum finalen Produkt. Erste Pilotprojekte laufen, etwa bei Mercedes-Benz.

Doch gemäß dem 2023 in Kraft getretenen deutschen Lieferkettengesetz sind sie dazu noch gar nicht verpflichtet. So müssen Unternehmen bisher in der Regel nur den direkten Zulieferer überprüfen - also in diesem Fall den US-Konzern Lear. Kontrolliert wird das vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa). Im ersten Jahr des Gesetzes hat das Amt allerdings keine einzige Strafe verhängt.

Für das Bundesentwicklungsministerium (BMZ) bedeutet das jedoch nicht, dass das Lieferkettengesetz unwirksam ist. "Das Gesetz muss ja auch evaluiert werden: Was greift, was greift noch nicht ausreichend, und hier ist dann auch Veränderungsbedarf nötig", erklärt die zuständige Staatssekretärin Bärbel Kofler (SPD). Sie sagt aber auch: "Wir haben als BMZ von Anfang an weitergehende Vorstellungen gehabt."

Umweltverbände kritisieren fehlende Haftung

Umweltverbände kritisieren die fehlende zivilrechtliche Haftung für Unternehmen, wie Tina Lutz von der Deutschen Umwelthilfe erklärt: "Die Möglichkeit für Betroffene, zu ihrem Recht zu kommen, und Schadensersatz zu stellen, ist natürlich ein sehr starkes Mittel, Unternehmen stärker zu zwingen, wirklich Menschenrechte und Umweltschutz einzuhalten."

Eine Verschärfung würde das europäische Lieferkettengesetz bedeuten, auf das sich am 15. März 2024 die EU-Mitgliedsstaaten überraschend geeinigt hatten - trotz der Enthaltung Deutschlands. Demnach sollen künftig bei allen Lieferanten Transparenz und die Einhaltung von Menschenrechtsstandards eingefordert werden.

Vor allem die geplante zivilrechtliche Haftung der Konzerne könnte den Indigenen in Apyterewa künftig dabei helfen, sich gegen die Kriminalität und die Rodungen in ihrer Heimat wehren. "Wir werden nicht aufhören, für unseren Wald zu kämpfen. Denn er ist die Zukunft für unsere Kinder und auch die Zukunft für unseren ganzen Planeten", sagt Dorfvorsteherin Wenatoa Parakana.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste am 26. März 2024 um 23:50 Uhr.