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Wieder mehr Start-up-Gründungen "Frischzellenkur für die deutsche Wirtschaft"

Stand: 11.07.2023 11:09 Uhr

Nach schwierigen Corona-Jahren erholt sich die Start-up-Branche aktuell wieder. Vor allem in der Software-Branche und in der Medizin gibt es deutlich mehr Neugründungen von Firmen.

Dass sie mal ein Start-up gründen würde, hatte Alice Martin zu Beginn ihres Medizinstudiums nicht auf dem Schirm. Die Karrieren, die Ärztinnen und Ärzte einschlagen können, scheinen vorgegeben: Arbeit im Krankenhaus, in der Forschung oder irgendwann in einer eigenen Praxis.

Doch während ihrer Facharztausbildung zur Dermatologin in einer Klinik entdecken sie und ihre Kollegin Estefanía Lang eine medizinische Versorgungslücke. Menschen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis schicken den beiden Fotos von ihren Wehwehchen und bitten um schnelle Erstdiagnose. "Wir haben immer mehr solcher Fotos als Direktnachricht bekommen, auch von Fremden, die zeitnah keinen Termin beim Arzt bekommen haben", erzählt Martin.

Schnell stellen sie und ihre Kollegin fest, dass sie die meisten Probleme schnell diagnostizieren und aus der Ferne behandeln können und entscheiden sich dafür, eine App zu entwickeln. Im Mai 2020 starten sie Dermanostic. Seitdem haben sie über die App rund 150.000 Behandlungen durchgeführt. 14 Hautfachärztinnen und -ärzte arbeiten für sie, in Voll- und Teilzeit. 

Bürokratische Hürden

Während des Gründungsprozesses haben sie nicht nur positive Erfahrungen gemacht. "In Deutschland dürfen Ärztinnen und Ärzte erst seit 2019 digital Patienten erstbehandeln", sagt Hautärztin Martin. "Für vieles von dem, was wir machen, gibt es noch keine richtige Rechtsgrundlage, im Gegensatz zu Ländern wie der Schweiz oder den Niederlanden. Wir erschaffen das Gesetz durch unsere Arbeit quasi erst." Das bringe auch viele bürokratische Herausforderungen mit sich.

Deutschland könne sich glücklich schätzen, wenn Gründerinnen und Gründer sich trotz vieler Hürden durchbeißen, heißt es beim Deutschen Start-up-Verband. "Wir sind die Frischzellenkur der deutschen Wirtschaft. Schnell Innovationen in die Praxis bringen, neue Wege gehen, kluge Geschäftsmodelle aufsetzen: So wird der Grundstein für Technologiekonzerne von Weltformat gelegt", sagt Christian Miele, Vorstandsvorsitzender des Start-up-Verbands. 

1300 Neugründungen in sechs Monaten

Jedenfalls in der Theorie. Denn 2022 war kein leichtes Jahr für die deutsche Start-up-Szene. Die Erhöhung der Leitzinsen durch die Europäische Zentralbank verteuerte die Kredite. Dazu kamen gestörte Lieferketten und die geopolitischen Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, die auch der Start-up-Branche zu schaffen machten. Die Zahl der Neugründungen ging im zweiten Halbjahr 2022 deutlich zurück. 

Während in der Umwelttechnologie oder der Landwirtschaft auch im ersten Halbjahr 2023 die Zahl der Gründungen rückläufig ist, ziehen sie in fast allen anderen Branchen wieder deutlich an - allen voran in der Software- und Medizin-Branche. Mit insgesamt 1300 Neugründungen im ersten Halbjahr 2023 schaut Verbandschef Miele deshalb wieder optimistisch in die Zukunft.

Wichtig sei nun, dass es politischen Rückenwind für diese Entwicklung gebe, beispielsweise in Form des von der Bundesregierung geplanten Zukunftsfinanzierungsgesetzes, sagt Miele. Denn wer ein erfolgreiches Start-up gründe, brauche qualifizierte Mitarbeitende. Die im Gesetz enthaltenen Regelungen für Mitarbeiterbeteiligungen seien für Start-ups ein entscheidendes Instrument, um Top-Talente zu gewinnen.

"Wir können das"

Wie schnell aus einem Start-up ein weltweiter Player werden kann, zeigt André Christ mit seinem Software-Unternehmen LeanIX aus Bonn. Er führt die Firma im zwölften Jahr, hat 540 Mitarbeitende. Christ und sein Team helfen internationalen Unternehmen dabei, einen Überblick über ihre oft mehrere Tausend Software-Anwendungen zu bekommen, indem sie selbst eine Software anbieten, die eine Art Landkarte erzeugt. 

Im Vergleich zu anderen Ländern hinkte Deutschland im Start-up-Bereich lange hinterher, beobachtet Christ. "Vor über 50 Jahren wurde SAP gegründet, dann ist lange nicht mehr viel passiert, was Software-Innovationen aus Deutschland angeht. Dabei können wir das doch eigentlich." Christ selbst ist unter anderem durch ein Praktikum beim High-Tech-Gründerfonds mit dem Thema Gründen in Kontakt gekommen. Er glaubt, dass es viel mehr Programme geben sollte, unter anderem an Universitäten, um die Schwelle fürs Gründen zu senken.

Dass genügend gute Ideen in Deutschland vorhanden sind, davon ist auch Hautärztin Martin überzeugt. Was oft fehle, seien Ansprechpartner, ein Netzwerk. Aus Martins Sicht würde Deutschland davon profitieren, wenn man schon bei Schülerinnen und Schülern anfangen würde, ein Bewusstsein zu erschaffen - für das Gründen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 11. Juli 2023 um 10:22 Uhr.