Abstimmung zur Stärkung des Rettungsschirms Bundestag gibt den Hebel frei

Stand: 26.10.2011 16:25 Uhr

Von einem "vertretbaren Risiko" sprach die Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung mit Blick auf die geplante Stärkung des Euro-Rettungsschirms EFSF. Die Abgeordneten folgten überwiegend ihrem Kurs: Mit breiter Mehrheit stimmte das Parlament zu. Es reichte sogar für die Kanzlermehrheit.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kann mit breiter Rückendeckung des Parlaments zum entscheidenden Krisengipfel der Euro-Länder nach Brüssel reisen. Der Bundestag billigte in Berlin mit großer Mehrheit von 503 der 596 abgegebenen Stimmen ein Mandat für die Kanzlerin, mit der sie über die Stärkung des Euro-Rettungsfonds EFSF verhandeln kann. 89 Parlamentarier votierten mit Nein, vier enthielten sich.

Koalition schafft Kanzlermehrheit

Es reichte sogar für die politisch wichtige Kanzlermehrheit. Von insgesamt 596 abgegebenen Stimmen kamen 311 aus den Reihen von CDU, CSU und FDP, ergibt sich aus den Abstimmungslisten, die der Bundestag verbreitete. 311 ist genau die für eine absolute Mehrheit notwendige Stimmenzahl der insgesamt 620 Abgeordneten. Neun Unionsabgeordnete und fünf FDP-Parlamentarier stimmten mit Nein, ein weiterer Unionspolitiker enthielt sich der Stimme.

Auch bei der Abstimmung über die EFSF-Ausweitung Ende September hatte es 15 Abweichler in den Reihen der Koalition gegeben.

Zur Abstimmung stand ein gemeinsamer Entschließungsantrag von CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen. Dieser sieht unter anderem vor, dass der Euro-Rettungsfonds EFSF mittels so genannter Hebel weitere Milliarden mobilisieren kann. Eingeräumt wird auch, dass durch die Erhöhung der EFSF-Schlagkraft auch das Verlustrisiko verändert werden kann.

Regierungserklärung im Bundestag

Merkel lobte den gemeinsamen Antrag von Union, FDP, SPD und Grünen: "Er sendet eine Botschaft, die weit über die finanzpolitischen Aussagen des Antrags hinausreicht." Zuvor hatte sie in ihrer Regierungserklärung im Bundestag den Kurs für die Brüsseler Verhandlungen abgesteckt. Sie hält es für geboten, die Schlagkraft des Euro-Rettungsfonds EFSF deutlich zu erhöhen. Das Risiko nannte sie "vertretbar". Merkel fügte hinzu: "Es wäre nicht vertretbar und nicht verantwortlich, das Risiko nicht einzugehen."

Nach intensiver Prüfung aller Vorschläge liege ihr eine "bessere, vernünftigere Alternative" nicht vor. Ihren Worten zufolge soll die Europäische Zentralbank (EZB) nicht eingebunden werde. Frankreich hatte ursprünglich gefordert, die EZB an den Konzepten zur Lösung der Euro-Schulden- und Bankenkrise zu beteiligen.

Schuldenschnitt löst Probleme nicht

Mit Blick auf Griechenland sagte Merkel: Ein Schuldenerlass allein löst die Probleme des Landes nicht. "Sonst sind wir in Kürze wieder dort, wo wir heute schon sind." Es müssten schmerzhafte Reformen umgesetzt werden. Sie stellte klar: Hilfe muss immer an klare Bedingungen geknüpft werden."

"Wir wollen, dass Griechenland schnell wieder auf die Beine kommt", machte Merkel klar. Man müsse aber aufpassen, dass andere Länder von der Schuldenkrise nicht weiter angesteckt werden. Daher sei ein großer Schutzwall gegen Ansteckungsgefahren, die von Griechenland ausgehen können, notwendig. Bei den 211 Milliarden Euro Obergrenze für Deutschland beim Rettungsschirm EFSF bleibe es aber, machte Merkel klar.

Forderung an private Anleger

Zudem forderte sie einen weit größeren Anteil der Privatgläubiger an einem zweiten Rettungspaket für Griechenland über die Vereinbarungen vom Juli hinaus. Ziel müsse sein, dass Griechenland im Jahr 2020 seinen Schuldenstand auf 120 Prozent der Wirtschaftsleistung drückt. Dies gehe nicht, wenn sich die privaten Gläubiger nicht in erheblich größerem Umfang beteiligten.

Eine Beteiligung der privaten Gläubiger durch einen Schuldenschnitt bedeute auch, dass vermieden werden müsse, dass andere Länder angesteckt würden. Dazu müssten die Banken rekapitalisiert werden. Gleichzeitig sei klar, dass die Banken zunächst aufgefordert seien, sich selbst Kapital zu besorgen.

Merkel machte zudem klar: "Deutschland kann es auf Dauer nicht gut gehen, wenn es Europa schlecht geht." Daher müsse Europa eine Stabilitätsunion werden. Zunächst müsse aber die akute Krise gelöst werden. Dann aber, so die Kanzlerin, gelte es die Fundamente der Wirtschafts- und Währungsunion maximal zu verstärken.

Steinmeier: "Operation am offenen Herzen"

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier machte in der anschließenden Aussprache klar, warum die SPD den Euro-Kurs der Kanzlerin stützt, obwohl die Regierung die Unterstützung der Opposition "eigentlich nicht verdient" habe. Die Euro-Rettung bezeichnete er als "Operation am offenen Herzen". Und die SPD stehe zu ihrer europäischen Verantwortung. Harsche Kritik übte Steinmeier an der Informationspolitik der Regierung: "Sie gehen nicht offen und ehrlich mit dem Parlament um." Die Regierung verspiele so den Rest an Vertrauen.

Er erinnerte an die Plenardebatte über den Euro-Rettungsschirm EFSF Ende September. Damals habe die Regierung dementiert, dass eine Hebelung des Schirms geplant sei. Angesichts der Tatsache, dass die Ausweitung des EFSF nun doch kommen werde, sei das "unverschämt" gewesen.

Gysi sieht "Chaos in der Koalition"

Von einem Chaos in der Koalition sprach Linkspartei-Fraktionschef Gregor Gysi. "Sie haben ein Chaos verursacht, die eine Wirrnis organisiert, die alle überfordert."Auch das Recht der Bundesregierung, die Bevölkerung in Verwirrung zu bringen, habe Grenzen. CSU-Chef Horst Seehofer und FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle hätten einen Hebelmechanismus für den Rettungsfonds vor kurzem noch ausgeschlossen. Nun werde er beschlossen. Am Ende bezahlten die Bürger für die Griechenland- und Banken-Hilfen.

Auch der Fraktionschef der Grünen, Jürgen Trittin, sagte, die Bürger seien angesichts der Billionen-Summen zutiefst verunsichert. Daran trage die Regierung eine Mitschuld.

FDP-Fraktionschef Brüderle ließ die Kritik nicht gelten. "Wir haben mit der Parlamentsbeteiligung einen demokratischen Meilenstein gesetzt." Merkel brauchte vorab grünes Licht, um in Brüssel ein volles Verhandlungsmandat zu haben.