Hintergrund

OPEC-Treffen in Wien Der niedrige Ölpreis und die Folgen

Stand: 27.11.2014 04:52 Uhr

Seit Wochen sinken die Rohölpreise und erreichten nun den tiefsten Stand seit vier Jahren - ganz zur Freude von Autofahrern und Besitzern von Ölheizungen. Doch die Freude ist nicht ungeteilt. Der Preisverfall birgt auch Nachteile und Risiken - nicht nur für die erdölexportierenden Staaten, die sich heute in Wien treffen.

Als der Ölpreis vor knapp zehn Jahren zum ersten Mal die Marke von 50 US-Dollar pro Barrel (159 Liter) durchbrach, war die Aufregung groß. Innerhalb weniger Monate hatte sich der Preis für den wichtigsten Schmierstoff der modernen Welt mehr als verdoppelt. Krisenszenarien machten die Runde. Die Preise stiegen weiter und die Krise kam 2008/2009 tatsächlich.

Doch der Anteil des Ölpreises daran dürfte eher gering gewesen sein. Inzwischen hat sich die Weltwirtschaft nicht nur erholt, sondern sogar auf einen hohen Ölpreis eingestellt: Seit 2011 notiert der Durchschnittspreis für die europäische Leitsorte Brent bei über 100 Dollar pro Barrel. Produzenten und Verbraucher-Staaten hatten mit der 100-Dollar-Marke offenbar einen goldenen Mittelweg gefunden, mit dem alle leben konnten. Durch Anpassung der Förderung an die Nachfrage wurde der Preis fast vier Jahre lang nahezu stabil gehalten. Es herrschte Frieden auf dem weltweiten Erdölmarkt.

Doch dieser Frieden scheint nun hinfällig zu sein. Seit Juli dieses Jahres befinden sich die Rohölnotierungen im freien Fall. Die europäische Leitsorte Brent stürzte von 113 auf 79 US-Dollar pro Barrel, die US-Sorte WTI von 105 auf 74 Dollar - ein Absturz von jeweils rund 30 Prozent in weniger als einem halben Jahr.

Spekulationen - mit realem Effekt

Die Szene steht Kopf, Spekulationen über Ursachen und Urheber machen die Runde, Verschwörungstheorien schießen ins Kraut. Eine lautet: Die USA haben einen geheimen Pakt mit Saudi-Arabien geschlossen, um Russland und möglicherweise auch Iran in die Knie zu zwingen. Sie überschwemmen die Welt mit ihrem Fracking- und Wüstenöl, treiben den Preis nach unten und drehen so Moskau und Teheran den größten und wichtigsten Geldhahn zu.

Der Effekt jedenfalls ist real: Russland wird nach eigenen Angaben allein in diesem Jahr rund 100 Milliarden US-Dollar an Staatseinnahmen durch den niedrigen Ölpreis verlieren. Zum Vergleich: Das Einnahmeloch durch die Sanktionen wegen der Ukraine-Krise soll nur 40 Milliarden Dollar groß sein.

Wie so manche Verschwörungstheorie hat auch diese natürlich ihre Haken. Der größte ist in diesem Fall zugleich der Aufhänger für die zweite Verschwörungstheorie. Denn fallende Erdöl-Notierungen treffen auch die USA selbst - und zwar recht hart. Denn der dortige Fracking-Boom basiert auf einem relativ hohen Ölpreis.

Fachleute sprechen von einer Wirtschaftlichkeitsgrenze zwischen 60 und 80 Dollar pro Barrel für die meisten Bohrungen. Anfang November hat der WTI-Preis erstmals die kritische Marke von 80 Dollar unterschritten. Erste Firmen mussten aufgeben. Das, so lautet die zweite Verschwörungstheorie, sei genau die Absicht Saudi Arabiens - über einen sinkenden Ölpreis die lästige Fracking-Konkurrenz in den USA los zu werden. Eine ähnliche Strategie hatte die OPEC seinerzeit tatsächlich im Fall des Nordseeöls angewandt, allerdings ohne Erfolg.

Keine klaren Gewinner und Verlierer

Nun könnten gerade wir Verbraucher, wir Autofahrer, Flugreisende und Betreiber von Ölheizungen, uns eigentlich zurücklehnen und uns als lachende Dritte über den sinkenden Ölpreis einfach nur freuen. Doch das wäre gleich aus mehreren Gründen zu kurz gegriffen. Denn Verlierer und Gewinner dieses Ölpreis-Verfalls sind keineswegs so klar getrennt, wie man denken könnte.

Beispiel Deutschland: Als großer Erdölverbraucher und -importeur profitiert Deutschland natürlich von sinkenden Notierungen. Allerdings: Je schlechter es den Ölproduzenten wie Russland oder Saudi-Arabien geht, desto weniger Autos, Maschinen und andere Waren wird Deutschland dorthin verkaufen.

Die Exporte nach Russland zum Beispiel sind bereits um fast 20 Prozent gesunken, und das hat weniger mit den Ukraine-Sanktionen als mit dem Ölpreis zu tun. Gerade uns als Exportweltmeister wird diese Entwicklung, sollte sie noch länger anhalten, hart treffen.

Sinkende Ölpreise bremsen den US-Fracking-Boom

Zweites Beispiel USA: Keine andere Nation verbraucht pro Kopf so viel Erdöl. Keine andere Nation war so stark auf Erdölimporte angewiesen, reagierte so empfindlich auf steigende Preise. Doch seit Beginn des Fracking-Booms, seit man mit Hilfe von Chemie, Wasser und Sand auch Erdöl aus bislang unerreichbaren Gesteinsschichten herausholt, sind die Verantwortlichen in den USA den Scheichs näher als den Autofahrern.

Nachhaltig niedrige Ölpreise könnten dem Fracking-Boom ein schnelles Ende, zumindest aber erhebliche Probleme bereiten. Weil diese kapitalintensive Fördermethode zudem weitgehend über Kredite und hoch verzinste Risikoanleihen finanziert wird, befürchten manche Ökonomen bei weiter sinkenden Ölpreisen sogar eine globale Finanzkrise.

Keine Drosselung der Ölförderung?

Soweit dürfte es allerdings kaum kommen. Selbst wenn die OPEC heute, wie von vielen Fachleuten erwartet, die Ölförderung nicht nennenswert drosselt und der Preis noch weiter fallen sollte: Viele Faktoren sprechen dafür, dass der gegenwärtige Preisrutsch nur ein vorübergehendes Phänomen ist. Und spätestens 2020, so die Internationale Energieagentur (IEA), wird die Ölförderung in den USA ohnehin ihren Höhepunkt überschreiten.

Die Freude des Autofahrers in diesen Tagen ist berechtigt und sei jedem unbenommen. Doch niemand sollte sich durch die niedrigen Spritpreise verleiten lassen, nun doch ein dickeres Auto zu kaufen. So, wie wir insgesamt nicht den Fehler begehen dürfen, wegen des vorübergehenden Verfalls der Rohölpreise in unseren Anstrengungen zur Verringerung des Ölverbrauchs und bei der Suche nach Alternativen zum Öl nachzulassen.