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Energiekosten Ist deutscher Industriestrom wirklich am teuersten?

Stand: 11.08.2023 12:18 Uhr

Wirtschaftsminister Habeck will einen verbilligten Industriestrom einführen, Finanzminister Lindner ist dagegen. Oft wird behauptet, in Deutschland seien die Kosten so hoch wie nirgends sonst. Stimmt das?

Von Martin Polansky, ARD Berlin

Deutschland hat viel Industrie - und die wiederum einen riesigen Energiebedarf. Das gilt für Aluminiumwerke, Hersteller von Baustoffen oder die auch Chemieindustrie. Die allein verbraucht rund zehn Prozent des deutschen Stroms. Und der Branchenverband VCI klagt, dass die Strompreise insbesondere seit der Energiekrise deutlich zu hoch seien. "Man kann es nicht anders sagen: Es ist drei Minuten vor Zwölf", sagt VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. "Unsere energieintensive Industrie am Standort Deutschland ist schlichtweg nicht mehr wettbewerbsfähig."

Sprich: Statt in Deutschland wird anderswo produziert - absehbar auf Kosten von Arbeitsplätzen, so die Warnung. Aber wo steht Deutschland tatsächlich bei den Industriestrompreisen?

Wie haben sich die Preise entwickelt?

Laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft liegt der Industriestrompreis hierzulande immer noch höher als vor der Energiekrise in Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine. Mit Steuern und Umlagen rangierte der Preis im Jahr 2021 bei gut 21 Cent pro Kilowattstunde; 26,5 Cent sind es im bisherigen Jahresschnitt 2023. In der zweiten Hälfte 2022 lag der Preis wegen der akuten Energiekrise noch doppelt so hoch.

Wo steht Deutschland im europäischen Vergleich?

Laut der europäischen Statistikbehörde Eurostat entspricht der hiesige Industriestrompreis ziemlich genau dem Durchschnitt der EU. In Ländern wie Dänemark, Italien oder Belgien ist er zum Teil erheblich höher. In Polen, Portugal oder Frankreich ist der Preis niedriger. Insbesondere Frankreich spielt eine Sonderrolle. Denn dort muss der Staatskonzern EDF eine erhebliche Menge an Strom zu regulierten Preisen abgeben - wovon viele Industriebetriebe profitieren.

Gibt es überhaupt "den" Industriestrompreis?

Nein. Denn der Strompreis besteht aus vielen Komponenten. "Es gibt die Großhandelspreise, die sind in Deutschland relativ hoch wie in ganz Europa. Aber die Unternehmen zahlen auch für die Netze, sie bezahlen Steuern, sie bezahlen Umlagen", erklärt Georg Zachmann, Energieexperte bei der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. "Oder sie sind von den Umlagen und Steuern befreit. Und das ist für jedes Unternehmen ein ziemlich spezifischer Mix."

Generell kann man sagen: Je größer ein energieintensives Unternehmen ist, desto wahrscheinlicher profitiert es auch von diversen Sonderregelungen bezüglich der Stromsteuern, der Netzentgelte oder auch im kostspieligen europäischen Emissionshandel. Zudem haben größere Unternehmen mit den Versorgungsunternehmen oftmals Verträge mit besseren Konditionen; diese sind jedoch meist nicht öffentlich.

Wie steht Deutschland global da?

Daten der Internationalen Energieagentur zeigen: Deutschland und Europa sind in Sachen Industriestrom vergleichsweise teuer - die Preise liegen etwa drei Mal so hoch wie in den USA oder Kanada und um rund ein Drittel höher als in Japan. Aber auch global gilt: Genaue Vergleiche sind schwer.

"Wenn wir uns die Zahlen der internationalen Energieagentur oder von Eurostat anschauen, dann bekommt man wirklich nur sehr, sehr grobe Durchschnittswerte", sagt Energieexperte Zachmann. "Und die verdecken dann, dass es riesige Unterschiede geben kann zwischen einer Großbäckerei und einem Stahlwerk. Und wir haben keinen Zugriff auf die entsprechenden Zahlen. Und jeder, der Zugriff auf diese Zahlen hat, hat kein großes Interesse daran, die transparent zu machen."

So zeigt sich: Zuverlässige Vergleichsdaten, wie viel Industriebetriebe rund um den Globus für ihren Strom bezahlen, gibt es nicht. Was die politische Debatte über einen Industriestrompreis nicht gerade erleichtert.

Martin Polansky, ARD Berlin, tagesschau, 11.08.2023 11:08 Uhr